Litersum - Musenfluch. Lisa Rosenbecker

Litersum - Musenfluch - Lisa Rosenbecker


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Cover mir gefielen. Einige der Geschichten klangen sehr vielversprechend. Aber der Preis und die Zeit zum Lesen, die man nicht mit dazukaufen konnte, schreckten mich ab. Vielleicht irgendwann mal …

      »So.« Lauren war zurückgekehrt, in den Händen hielt sie eine große braune Pappschachtel. Darin funkelte und blitzte es. Dolche aus Plastik, goldbesprühte Federn, glitzernde Kristalle … Sie hatte keine Kosten und Mühen gespart. Einige der Dekorationen waren bereits älter und öfter verwendet worden, andere jedoch nigelnagelneu. Die Auslage würde am Ende ein Hingucker sein. Lauren hatte immer hervorragende Ideen, um Bücher in Szene zu setzen. Sie erläuterte mir bereits ihre Pläne, während wir die Bücher vom Rollwagen auf dem Tisch platzierten. Das schmückende Beiwerk stellte sie drum herum. Ja, es sah wirklich toll aus. Dann aber hievte sie den Stapel eines Titels auf den Tisch, der keineswegs neu war. Das Cover, auf dem eine Pik-Bube-Spielkarte mit zwei identisch aussehenden Kerlen aufgedruckt war, kannte ich mittlerweile schon gut. Es ging dabei um zwei junge Zwillingsbrüder aus einer High-Fantasy-Welt, der eine ein böser Magier, der andere ein guter König.

      »Lauren.«

      »Ja?«, fragte sie zuckersüß und verriet damit, dass sie genau wusste, worauf ich anspielte.

      »Das ist keine Neuerscheinung.«

      »Ich weiß«, sagte sie. »Aber das Buch ist noch immer zu unbekannt. Alle sollen es lesen! Das ist die Gelegenheit, um den Verkauf noch mal anzukurbeln. Es passt wunderbar zu den Neuheiten.« Sie nahm eines der Hardcover vom Stapel und strich über den Einband. »Du weigerst dich ja auch beharrlich, obwohl wir die Buchwelt schon besucht haben und sie dir gefallen hat.«

      Ja, ich hatte Lauren einen Einblick in die Welt ermöglicht, die sie so verehrte. Zugegeben, auch ich war beeindruckt gewesen, aber die Zeit … Lauren hielt mir das Buch unter die Nase. »Lies es. Bitte. Ich schenke es dir. Probier es wenigstens mal.«

      Zähneknirschend nahm ich ihr das Buch ab. Ich wollte keine Geschenke. Doch Laurens flehender Blick brachte mich ins Wanken. Als wir damals in der Welt von The Silver Throne gewesen waren, hatte sie mit Informationen um sich geschmissen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ihr fehlte jemand zum Austausch. Jemand, mit dem sie von diesem komischen Magier schwärmen konnte, der eigentlich der Bösewicht war, aber irgendwie auch nicht … Sie nannte ihn einen Loki-Verschnitt. Getroffen hatten wir ihn nicht, was vermutlich besser war, sonst wäre Lauren bestimmt in Ohnmacht gefallen. Wie bei dem anderen Typ aus Shadow & Fire. Oder dem aus Kingdom of Hell and Fury. Alle waren von demselben Kaliber, demselben Klischee. Bad Boys und dunkle Prinzen waren gerade in. Ein bisschen konnte ich es sogar verstehen, ich war Lucifer aus der gleichnamigen Serie verfallen … Aber bei seinem Anblick hysterisch kreischen? Nein … Vielleicht sollte ich Lauren beim nächsten Mal ein paar der Blogger und Bloggerinnen vorstellen. Unter ihnen befand sich sicherlich der eine oder andere Fan ihres Lieblingsbuchs.

      »Danke«, presste ich hervor und legte den Titel beiseite. Ich freute mich wirklich. Ein neues Buch hatte ich das letzte Mal gekauft vor … Ewigkeiten. Ich nahm mir fest vor, es zu lesen, es zumindest anzufangen, sollten sich ein paar Minuten dazu finden.

      Lauren klatschte in die Hände. »Lass dir nicht allzu lange Zeit, bis du anfängst. Es warten ja noch zwei weitere Bände auf dich.«

      Ich schnaubte. Na super, dann würde ich vielleicht in drei Jahren mit der Trilogie durch sein …

      Wir platzierten die restlichen Bücher auf dem Tisch, bis Lauren mit der Anordnung zufrieden war. Meine Arme schmerzten, meine Füße spürte ich mittlerweile gar nicht mehr.

      »Wie lief es heute mit den Bloggern? Ich habe einen kurzen Blick auf sie erhascht, als ihr zurückgekommen seid. Sie sahen sehr glücklich aus.« Lauren platzierte einen Stein mit glatten Kanten und roségolden besprühte Mosaiksteinchen auf dem Tisch neben ihrem Lieblingsbuch.

      »Sie haben sich artig verhalten und die Charaktere nicht angeleckt«, sagte ich und grinste. Und ja, es hatte einmal einen Vorfall in dieser Richtung gegeben. Seitdem hatte ich dort Buchwelten-Hausverbot. Lauren wusste von meinem Dasein als Anti-Muse, was eigentlich auch gegen die Regeln verstieß. Doch der Tag, an dem ich mir die Wohnung über dem Laden angesehen hatte, war kein guter gewesen. Meine Laune stand damals auf einem Tiefpunkt, ich hatte gerade einen Kuss-Auftrag versemmelt und meine Schwester … Jedenfalls rutschte es mir heraus, als Lauren mich mit mitfühlendem Blick fragte, ob es mir gut gehe. Schluchzend erzählte ich ihr alles und sie hörte mir zu. Und dann vermietete sie mir die Wohnung über dem Laden. So viel Glück hatte ich noch nie gehabt. Aber sie war so ein Mensch ‒ viel zu gut für jemanden wie mich. Oder ich ihrer nicht würdig genug, je nachdem, wie man es betrachtete. Denn ich hatte ihr nicht viel zurückzugeben. Wäre es nur nach ihr gegangen, hätte ich trotz fehlendem Abschluss und nicht vorhandener Ausbildung einen Job in Books by Bea bekommen. Ihre Mutter hatte allerdings ihr Veto eingelegt und das verhindert. Dass sie mir die Räumlichkeiten über dem Laden vermieteten, war wohl auch nur Lauren zu verdanken, ebenso meine heutige Einnahmequelle. Nach unserem ersten gemeinsamen Ausflug ins Litersum, mit dem ich mich direkt nach meinem Einzug bei ihr bedankt hatte, waren wir auf die Idee mit den Pop-up-Buchwelten gekommen und sie hatte mir ihre Buchhandlung bereitwillig als Treffpunkt und die Tür für den Übergang in das Litersum zur Verfügung gestellt. Seither kamen auch mehr Kunden her, die von den Pop-up-Welten gehört hatten und hofften, abseits der offiziellen Termine einen Blick darauf erhaschen zu können, was für Lauren gut war, weil diese Leute dann in ihrer Buchhandlung strandeten und mir ein bisschen meiner Schuld ihr gegenüber abnahmen. Redete ich mir zumindest ein.

      Ich schnappte mir meine Jacke, und Lauren begleitete mich in den vorderen Verkaufsraum.

      »Willst du noch einen Tee?«, fragte sie. »Oder einen Kaffee für eine Nachtschicht? Du hast ja immer was zu tun. Du könntest mir auch noch etwas über den heutigen Besuch erzählen.«

      Ich lächelte matt. »Danke, aber ich brauche nichts mehr. Vermutlich gehe ich gleich ins Bett.«

      »Das wäre das Beste. Du siehst echt müde aus. Dann vielleicht morgen Abend?«

      »Vielleicht«, antwortete ich.

      Ihren Augen sah ich an, dass sie mir das nicht abkaufte. »Oh, Moment«, sagte sie und verschwand nach hinten. Kurze Zeit später kam sie mit The Silver Throne zurück und drückte es mir in die Hand. »So leicht kommst du mir nicht davon.«

      Ich nahm es ihr ab. »Das war keine Absicht.«

      »Sicher.« Sie zwinkerte mir zu. »Doch an Elian kommst du nicht vorbei. Und auch Kaden und Darren warten noch auf dich! Es gibt so viele tolle Reihen zu entdecken! Und jetzt ab ins Bett mit dir.«

      Ich rollte mit den Augen, verabschiedete mich und ging in meine Wohnung über dem Laden. Wobei Wohnung übertrieben war. Das winzige Einzimmerapartment war verwinkelt und voller Schrägen, aber das Einzige, was ich mir in dieser Gegend Londons leisten konnte. Und das auch nur dank Laurens Großzügigkeit. Ich legte das Buch auf das Tischchen neben dem Sofa, das auch gleichzeitig mein Bett war. Das Kissen und die Decke lagen noch genauso zerknüllt da, wie ich sie am Morgen zurückgelassen hatte. Und dennoch wirkten sie so einladend wie nie zuvor. Meine Tasche stellte ich auf den kleinen Esstisch, den ich vor allem als Ablagefläche nutzte, streifte Jacke und Schuhe ab und warf beides neben die Wohnungstür. Ich streckte mich und meine Muskeln protestierten. Doch es waren meine Füße, die mich anflehten, mich hinzulegen. Ich sah auf die Uhr. Verdammt, schon so spät. In ein paar Stunden musste ich wieder aufstehen. Mein Blick fiel auf den Boden vor der Wohnungstür. In der Unordnung hatte ich gar nicht bemerkt, dass Post gekommen war. Der Postbote hatte sie durch den Schlitz an der Tür geworfen. Ich hob einen braunen Umschlag sowie einen Brief auf.

      Auf dem Umschlag stand lediglich mein Vorname in der mir bekannten Handschrift von Alexandra. Meine Mentorin aus der Musenagentur hatte mir Unterlagen für einen Auftrag vorbeigebracht. Seit den Vorfällen vor einem halben Jahr durften auch die Anti-­Musen die Agentur betreten und die Akten selbst entgegennehmen, doch es war auch möglich, den alten Ablauf mit einer Mentorin als Vermittlerin beizubehalten. Da ich kaum Zeit hatte, nutzte ich diesen Service. Ich sah dann zu, dass ich den Kuss-Auftrag ausführte, wenn ich Zeit hatte, und meldete mich bei ihr, sobald sie die Unterlagen wieder abholen konnte.


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