Litersum - Musenfluch. Lisa Rosenbecker

Litersum - Musenfluch - Lisa Rosenbecker


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gingen rein, dreizehn kamen wieder raus. Ich habe niemanden im Litersum zurückgelassen, und wenn sie später auf andere Weise dort hingelangt sind, kann ich nichts dafür.«

      Noah schnaubte. »Natürlich nicht. Weil Anti-Musen ja nie etwas zum Verschwinden bringen.«

      George schien irritiert von Noahs Reaktion und sah zu Lauren, als wollte er sehen, was sie dazu sagte. Die starrte Noah böse an.

      Ich biss mir auf die Zunge. Es kostete mich alle Mühe, seinen Kommentar zu ignorieren und ihn nicht anzubrüllen.

      »Wir ermitteln in alle Richtungen«, warf George ein. »Trotzdem wäre es gut, wenn du mir sagen könntest, wo du an den Tagen zwischen dem Verschwinden der jungen Frauen und ihrem Auftauchen im Litersum warst.« Er zückte einen kleinen Notizblock aus seiner Jackentasche. Damit er die Hände zum Schreiben frei hatte, nahm Lauren ihm die leere Tasse ab und stellte sie zurück auf das Tablett. George beobachtete jede ihrer Bewegungen ganz genau. Erst als sie fertig war, nannte er mir die Daten, und ich rasselte meinen Tagesablauf herunter, soweit ich mich erinnern konnte. Ich war in den entsprechenden Zeiträumen nicht im Litersum gewesen. Denn außer zu den Besuchen mit den Bloggern betrat ich es so gut wie nie.

      George nickte, als ich fertig war. »Wir werden dich heute mit einer Mahnung davonkommen lassen, Riley. Aber sollte uns noch einmal zu Ohren kommen, dass du Gruppen von Menschen in das Litersum führst, wird das ernste Konsequenzen haben. Falls dir nicht vorher schon Strafen wegen dieser Sache drohen, wenn Mrs Patton von alldem erfährt und entscheidet, in dieser Angelegenheit selbst etwas zu unternehmen. Sollte dir noch etwas einfallen, kannst du in unsere Zentrale im Knotenpunkt kommen. Gleich neben der Agentur.«

      Noah kniff die Augen zusammen und musterte George skeptisch. Oh ja, ihm passte es gar nicht, dass sein Kollege mich laufen ließ. Mein Herz hingegen klopfte schnell. Kam ich wirklich so davon? Dann traf mich die Erkenntnis wie eine eiskalte Dusche. Ich war gerade dabei, eine meiner besten Einnahmequellen zu verlieren. Mehrere Hundert Pfund würden mir in Zukunft durch die Lappen gehen. Die Miete … Meine Knie wurden weich. Laurens Hand legte sich auf meinen Rücken und stützte mich.

      »Danke«, sagte sie an meiner Stelle. »Ihr wisst ja, wo ihr uns finden könnt, falls nötig.«

      George lächelte sie an. »Einen schönen Tag noch.« Er drehte sich um und ging zum Ausgang, wo er auf seinen Kollegen wartete. Noahs Blick war auf mich gerichtet, wie ich erschrocken feststellte. Seine Miene wirkte undurchdringlich, die fein geschwungenen Kiefer­knochen stachen scharf hervor. Ich hielt ihm stand und starrte zurück. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich schließlich ab und folgte George, um ihm die Tür zu öffnen. Sie traten hindurch in eine Welt, die nicht in unserem Universum lag. Offensichtlich hielten auch verschlossene Türen Bureal-Kinder nicht auf und es war möglich und den Mitgliedern der Taskforce erlaubt, auch Buchcharaktere auf diese Weise durch Welten zu schleusen. Im nächsten Moment fiel die Tür mit einem Klingeln ins Schloss und die beiden waren verschwunden.

      »Aus welcher Achtzigerjahre-Sendung haben die denn ihre Jacken geklaut? Ich habe jeden Moment darauf gewartet, dass sie zu singen anfangen«, sagte Lauren und nach einem Moment des Zögerns lachte ich kurz auf.

      »Keine Ahnung. Offensichtlich ist man in Sachen Uniform bei der Taskforce noch nicht ganz beim Optimum angelangt.« Meine Schultern entspannten sich. »Tut mir leid, dass die beiden einfach so hier aufgekreuzt sind. Das wollte ich nicht.«

      »Es ist ja nichts passiert.« Lauren schob mich sanft zu einem Sofa und drückte mich in die Polster. »Du trinkst jetzt auch erst mal einen Tee.«

      »Eine Cola wäre mir lieber«, murmelte ich.

      Sie winkte ab. »Nichts da. Du musst jetzt den Tee probieren, den ich bei dem Fest an die Kunden verteile.« Sie drückte mir eine Tasse mit rotem, heißem Wasser in die Hand. Mehr war Tee für mich nicht. Doch Lauren zuliebe trank ich einen Schluck. Es schmeckte allerdings nach nichts. Was vermutlich an mir lag, nicht an dem Getränk. Wenn ich gestresst, nervös oder ängstlich war, hatte das einen negativen Einfluss auf meinen Geschmackssinn.

      »Lecker«, murmelte ich.

      »Du bist eine schlechte Lügnerin«, erwiderte Lauren. »Trink ihn trotzdem leer, etwas Warmes tut dir gut.« Sie hatte recht. Meine Finger kribbelten dank der Wärme und meine Hände hörten auf zu zittern.

      »Danke.«

      »Die Mädchen«, fuhr Lauren fort und knibbelte an ihrem Pullover. »Du weißt wirklich nicht, wie sie wieder im Litersum gelandet sind? Hast du vielleicht doch weitere Termine vereinbart, ohne es mir zu sagen?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Wenn sie noch einmal in das Litersum gegangen sind, dann nicht mit mir.«

      »Du solltest dich kurz hinlegen. Du siehst ganz blass aus.«

      Mir blieb noch gut eine Stunde bis zu meiner Schicht im Diner. Eigentlich hatte ich sie für ein paar Auftragsarbeiten nutzen wollen. In diesem Zustand würde aber ohnehin nur Mist dabei herauskommen. Ich trank den Tee leer und umarmte Lauren zum Abschied, was sie fast so sehr überraschte wie mich, denn sie versteifte sich kurz, bevor sie auch mich an sich drückte. Als ich mich noch mal umdrehte, ertappte ich sie dabei, wie sie mir mit gerunzelter Stirn hinterhersah. Als müsste sie darüber nachdenken, ob sie mir glauben sollte oder nicht.

      In der Wohnung führte mein erster Weg zum Kühlschrank. Eine eiskalte Cola würde mich munter machen. Mit den Fingern auf die Dose tippend stand ich in der Küche. Der Kühlschrank brummte und blubberte.

      Was jetzt?

      Die Idee mit den Pop-up-Buchwelten war gestorben. Wie sollte ich diesen Ausfall ausgleichen? Noch ein Nebenjob? Einen so flexiblen, wie ich ihn brauchte, würde ich so schnell nicht finden. Mehr Auftragsarbeiten? Möglich, aber dazu müssten erst mal mehr Anfragen reinkommen. Erst vor Kurzem hatte ich etwas Geld in die Hand genommen und ein paar Werbeanzeigen geschaltet, deren Effekt aber noch auf sich warten ließ. Ich hatte mir das mit dem Grafikdesign in den letzten Monaten, nachdem ich Thor gekauft hatte, selbst anhand von Tutorials beigebracht und hoffte, dass es in Zukunft für einen guten Zuverdienst reichte. Ich fand mich recht gut und meine Kunden waren bisher auch zufrieden. Die Chancen standen nicht schlecht. Hoffte ich.

      Ich überschlug kurz mein Erspartes und das Gehalt, das ich diesen Monat noch erhielt. Es würde mich zwei Monate über Wasser halten, bevor ich in Schwierigkeiten kam. Besser als nichts. Ich trank die Cola leer und erweckte Thor zum Leben. Mein erster Impuls wollte mich dazu antreiben, nach Stellenausschreibungen zu suchen. Doch die beiden Mädchen spukten mir im Kopf herum. Traf letzten Endes doch mich die Schuld daran, dass sie im Litersum gestrandet waren? Immerhin war ich es, die sie damit in Berührung gebracht hatte. Und möglicherweise auch mit etwas, was ihnen eine Rückkehr auf eigene Faust ermöglichte? Oder waren sie anderen Bureal-Kindern begegnet und zusammen mit ihnen ins Litersum zurückgekehrt?

      Ich rief das Forum Literabookish auf, das ich als Werbeplattform für die Ausflüge ins Litersum und meine Auftragsarbeiten nutzte, und durchforstete dort die Kommentare unter meinen Beiträgen. Ich ging mehrere Wochen zurück und las mir die zahlreichen Einträge der Leser und Blogger durch, durchwühlte alles. Es gab viele Kommentare dazu, wie schön die Erfahrung in der Welt von River gewesen sei, einige lobende Stimmen über die Charaktere und so weiter. Ich fand sogar einen Eintrag einer der beiden Bloggerinnen, die man ein paar Tage später verwirrt aufgefunden hatte. Zu diesem Zeitpunkt, einen Tag nach dem Besuch in der angeblichen Pop-up-Welt, schien sie noch bei allen Sinnen gewesen zu sein, zumindest las sich die Schilderung ihrer Perspektive so.

      Ich scrollte weiter. Meine Augen schmerzten, ich musste das Bedürfnis unterdrücken, mir ständig mit den Fingern über das Gesicht zu fahren. Vielleicht sollte ich wirklich etwas schlafen. Träge blinzelnd las ich mich durch alle Beiträge, bis ich bei jenen ankam, die nach dem Ausflug gestern gepostet worden waren.

      Lobende Stimmen, Diskussionen über River, Fragen nach dem nächsten Termin. Alle dreizehn Teilnehmer hatten etwas geschrieben. Also waren auch gestern alle wieder mit in die echte Welt gekommen. Wie immer. Seufzend lehnte ich mich zurück in die Sofakissen


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