Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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schickt mich!“ Brachte er schluckend hervor: „Du weißt bestimmt wie überzeugend sie sein kann!“

      Morna ging auf ihren Vater zu bis sie dicht vor ihm stand. Sie hob ihre linke Hand und wischte ihm zärtlich die Träne von der Wange. Dann schloss sie ihn fest in ihre Arme. Elze beobachtete Vater und Tochter, die sich nie zuvor begegnet waren und war sichtlich bewegt. Immer wieder wischte sie sich mit einem Tuch, das sie aus ihrer Schürze gezogen hatte, die Augen trocken. Vitras hielt seine Tochter jetzt ebenfalls fest umschlungen und kümmerte sich in diesem Augenblick keinen Deut um den erneuten Lärm auf dem Korridor. Er wollte nur diesen Moment genießen. Das Dröhnen schwerer Stiefel sowie die Gebrülle wachhabender Offiziere wurde immer lauter. Der kleine Dieb hingegen, kümmerte sich herzlich wenig um die Wiedersehenszeremonie zwischen Vater und Tochter. Er inspizierte aufs gründlichste die Räumlichkeiten des toten Ministers, wobei er das eine oder andere Kleinod in seinem Rucksack verschwinden ließ. In einem der Nebenzimmer war er gerade damit beschäftigt, eines der Schlösser von Lord Reichels Schreibtischschubladen zu knacken, als ihn der aufkommende Lärm aufschreckte. Die ersten Gardisten begannen inzwischen gegen die verbarrikadierte Tür zu schlagen. Entsetzt blickte er durch die offene Tür zu Vitras, dem die neue Gefahr völlig gleichgültig zu sein schien.

      „Vitras!“ Brüllte er lautstark, rannte um den Tisch herum und eilte zu dem Kriegszauberer. Sofort zog er ihm an seinen Ärmel, um ihn auf die neue Gefahr aufmerksam zu machen. Morna blickte zu ihm herunter.

      „Habe ich einen Bruder, von dem ich nichts weiß, Vater?“ Daraufhin musste Vitras laut auflachen. Das Hämmern an der Tür wurde immer heftiger. Der junge Dieb schaute die beiden an, als hätten sie ihren Verstand verloren.

      „Nein!“ Antwortete ihr Vater: „Der kleine Schatten ist nicht dein Bruder. Aber ich werde mich von nun an auch um ihn kümmern.“

      „Vielleicht fängst du am besten gleich damit an, indem du dir schnell etwas einfallen lässt.“ Brachte der Schatten hilflos hervor und deutete zur Tür. Elze ließ das Bücherregal zur Seite gleiten und winkte den anderen zu. Der Dieb rannte als erster ins Dunkel der Geheimgänge, woraufhin Vitras und die beiden Frauen ihm augenblicklich folgten. Elze schloss die Geheimtür und blickte den Kriegszauberer fragend an, als er anfing monoton in einer Sprache zu flüstern, die sie nicht kannte. Staunend beobachtete sie, wie das Holz der geheimen Tür sich in festes Mauerwerk verwandelte. So schnell würde ihnen auf diesem Weg niemand mehr folgen.

      „Wenn wir den Zwillingen folgen wollen, müssen wir hier entlang.“ erklärte Elze und zeigte in eine bestimmte Richtung, als ihnen ein triumphierendes Geschrei verriet, dass die Wachmannschaften es geschafft hatten, in die Gemächer einzudringen.

      „Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren!“ antwortete Vitras, woraufhin Elze ihren Arm um die Schultern des Jungen legte und mit ihm vorausging. Vitras und Morna folgten den beiden.

      „Was ist das eigentlich für ein merkwürdiger Name, den der Junge trägt?“ Flüsterte Morna ihrem Vater zu.

      „Das ist nicht so ganz einfach zu erklären.“ Erwiderte der Kriegszauberer: „Beobachte ihn einfach eine Weile, dann wirst du es schon verstehen.“

      „Aus irgendeinem Grund überkommt mich das Gefühl, dass man seinen Namen in einigen Jahren nur mit Ehrfurcht aussprechen wird.“ Brachte Morna plötzlich in einem Tonfall tiefster Überzeugung hervor.

      „Und irgendwie ist das mit eine meiner schlimmsten Befürchtungen.“ Erwiderte Vitras trocken.

      1.7. Schicksalsschlag

      Godvere Gariens Gesicht war aschfahl, dabei zitterte er vor Wut wie Espenlaub. Der Herrscher konnte einfach die Zusammenhänge nicht begreifen, so sehr er sich auch das Gehirn zermarterte. Der hohe Offizier der vor ihm stand, und von den Ereignissen in Reichels Gemächern berichtete, soweit man davon Kenntnis gewonnen hatte, stand kerzengerade vor seinem Herrn. General Tergold war ein älterer Mann, der schon Godveres Vater gedient hatte. Zudem war er einer der wenigen Untergebenen des Herrschers, der nicht vor ihm katzbuckelte. Eine Eigenschaft die Godvere mehr an ihm schätzte, als der General ahnte. Der Diener, der Vitras aus dem Mauerloch steigen sah und daraufhin in Ohnmacht fiel, war ebenfalls im Thronsaal anwesend. Dem jungen Mann schlotterten die Knie als der Herrscher ihn zu sich heranwinkte.

      „Du hast diesen Unbekannten also gesehen!“ Stellte Godvere fest.

      „Nur kurz!“ Stammelte der Diener: „Es ging alles so furchtbar schnell.“

      Der Herrscher musterte den Diener in seiner völlig verschmutzten Uniform, dabei bemerkte er, welche Angst der Mann vor ihm hatte.

      „Irgendetwas musst du uns doch über diesen fremden Krieger sagen können.“ Fuhr der Herrscher in einem ehrlich gemeinten, freundlichen Tonfall fort: „Egal was du gesehen hast, ich werde dir kein Leid zufügen. Ganz gleich was dort oben geschehen ist, dir gebe ich keine Schuld dafür.“

      Die Worte des Herrschers verfehlten ihre Wirkung nicht, und der Diener fasste seinen ganzen Mut zusammen:

      „Ich weiß,“ begann er verzweifelt: „Die Statuen stellen ihn anders dar. Aber so wie der Fremde aussah, stelle ich mir den Gott des Krieges vor.“ Dann schilderte er seinem Herrn, was er sah. Der Herrscher überlegte eine Weile und musterte den Diener erneut. Godvere war davon überzeugt, dass der ängstliche junge Mann die Wahrheit sagte und bedeutete ihm mit einer Geste, dass er gehen durfte. Dann wandte sich wieder dem General zu:

      „Achtzehn fähige Soldaten, bestens ausgebildet und ausgerüstet, von einem Fremden regelrecht abgeschlachtet, fünf weitere schwer verletzt – und das alles im am besten abgesicherten Teil des Palastes. Lord Reichel ermordet vor seinen Gemächern und obendrauf die Flucht dieser Hexe aus dem Kerker und zur Krönung des Ganzen, dies hier.“

      Dabei hielt Godvere Garien die Babydecke hoch, die man in Reichels Gemächern gefunden hatte.

      General Tergold zuckte mit keiner Miene als er anfing zu sprechen:

      „Ich glaube wir übersehen ein ganz anderes Detail, von dem ich glaube, dass es mit alledem zu tun hat.“

      „Was meint ihr?“ Der Herrscher blickte den älteren Offizier voller Anspannung an.

      „Nun ja!“ Fuhr der General gestenreich fort: „Das rätselhafte Verschwinden der Gesandten von Kushtur. Niemand hat gesehen wie sie den Palast verließen. Reichel hatte verdammt viel mit ihnen zu schaffen. Wenn ich an den unbekannten Angreifer denke, so kann man einfach nicht umhin festzustellen, dass Magie im Spiel war.“

      „Die Stadt der Magier!“ Fluchte Godvere halblaut, dabei gingen ihm die merkwürdigen Verträge durch den Kopf, die Reichel mit Kushtur ausgehandelt hatte. Godvere blickte wieder auf die mit Goldfäden verzierte Babydecke seiner Tochter, die er die ganze Zeit über in den Händen hielt. Der Herrscher bedauerte es zutiefst, dass der Minister ein dermaßen schnelles Ende fand. Kurz schloss er die Augen. Er benötigte einfach einen Augenblick um sich zu sammeln. Als er die Augen wieder öffnete, wirkte er wesentlich gefasster:

      „Vollkommen gleichgültig,“ begann er wieder mit seiner gewohnt kräftigen Stimme zu sprechen: „Reichel ist tot und die Gesandten sind spurlos verschwunden, genauso wie dieser fremde Krieger und diese... die Mutter meiner Kinder. Sie werden versuchen, Darkan auf irgendeine Art zu verlassen. Ich habe das ungute Gefühl, dass wir im Palast niemanden von ihnen mehr finden werden.“

      „Das Nord und das Südtor der Stadt sind auf meinen Befehl hin geschlossen worden, mein Herr.“ Begann der General auszuführen: „Das Osttor halten wir noch geöffnet, um den Warenverkehr nicht gänzlich zum Erliegen zu bringen. Allerdings sind am Osttor jetzt zusätzliche Einheiten postiert. Jeder der rein oder raus will, wird gründlichst durchsucht.“

      Der Herrscher nickte zufrieden: „Ich will trotzdem, dass ihr eine komplette Garnison vor die Tore der Stadt schickt. Sie sollen jeden Stock und jeden Stein umdrehen. Wen auch immer die Soldaten aufgreifen. Ich will ihn lebend. Ich will Antworten. Und vor allem will ich die Kinder zurück.“

      General Tergold nickte und schlug mit seiner


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