Andran und Sanara. Sven Gradert
sie niemand vermuten würde... ich bin beeindruckt.“
Morna vergaß vor Aufregung beinahe zu atmen. War es tatsächlich möglich, dass sich ihre Kinder, nur wenige Meter von ihr entfernt, hinter dieser Tür befanden. Elze, die ebenfalls mit einem Ohr an der Tür lauschte, bekam große Augen, als ihr bewusst wurde, dass tatsächlich der Minister hinter der Entführung steckte.
„Ich würde mich jedenfalls wesentlich wohler fühlen,“ antwortete Reichel dem anderen Mann: „Wenn ihr wie abgemacht, sobald wie möglich Darkan mit den Bälgern verlassen würdet. Selbstverständlich nicht, ohne mich vorher entsprechend zu entlohnen.“
„Reichel! Mein guter Reichel,“ antwortete der andere: „Ohne euch, werden wir Darkan nicht verlassen!“
„Was? Wie war das?“ Erboste sich der Minister.
„Ihr werdet mich und meine Männer begleiten, bis wir alle in Sicherheit sind. Es ist ja wohl anzunehmen, dass der Herrscher die Suche nach seinen Kindern über die Stadtgrenzen hinaus ausdehnen wird. Da werdet ihr doch gewiss Verständnis, für besondere Sicherheitsvorkehrungen haben. Vor allem, da euer Herrscher sich weigert die Verträge zu unterzeichnen und wir hier keine gern gesehenen Gäste mehr sind.“
„Ich habe genug getan!“ Erboste sich Reichel: „Außerdem habt ihr von mir die Karten erhalten, die euch sicher durch die Geheimgänge des Palastes bis zu der Kanalisation hinter der Stadtgrenze führen. Von dort braucht ihr euch nur noch bis zum Schwarzen Wald durchschlagen. Kein Darkanischer Soldat, der bei Verstand ist, wird euch dorthin folgen. Also was wollt ihr noch von mir?“ Reichels Stimme begann verzweifelt zu klingen.
Plötzlich riss Elze erschrocken die Augen auf. Hinter Morna erschienen wie aus heiterem Himmel drei der Gesandten Kushturs. Der vordere Mann hielt eine gespannte Armbrust im Anschlag und zielte mit dem Bolzen auf Mornas Hinterkopf.
„Irgendeine Bewegung,“ brachte er mit dem gleichen fremdartigen Akzent hervor, wie der Mann mit dem sich Reichel unterhielt: „... und ich schicke euch innerhalb eines Wimpernschlages zu euren Göttern.“
Morna erschrak fast zu Tode, doch Elze drückte ihre Hand wodurch sie sich soweit in der Gewalt hatte, absolut regungslos zu verharren. Die Männer hinter dem Armbrustschützen hatten inzwischen ihre Krummsäbel gezogen. Einer von ihnen beugte sich vor und betätigte den Hebel, der die Geheimtür öffnete. Mit einer Kopfbewegung bedeutete der Schütze den beiden Frauen die Gemächer zu betreten. Reichel und sein Gesprächspartner blickten sofort zum Bücherregal, das die Rückseite der Schiebetür bildete, als es zur Seite glitt. Reichel fielen fast die Augen aus dem Kopf und er war einem Herzschlag nahe, als die beiden Frauen eintraten und er Morna erkannte:
„Was, was hat das jetzt wieder zu bedeuten?“ brachte er stotternd hervor.
Ohne den Minister auch nur eines Blickes zu würdigen, wandte sich der Armbrustschütze an den anderen Mann:
„Wir haben diese beiden hier dabei erwischt, wie sie euer Gespräch belauschten, Meister Baldaar.“
Baldaar war ein großer hagerer Mann, mit einem kurzen schwarzen Bart, sowie lange schwarze Haare. Er trug eine scharlachrote Robe, welche ihm bis zum Boden reichte und ihn als Magier auswies. Nur die Kriegszauberer, die eine schwarze Robe trugen, waren mächtiger als ein Magier mit einer scharlachroten Robe. Seine Augen waren schmal und wirkten bösartig.
„Kennt ihr etwa die beiden Weibsbilder?“ schrie der Magier den Minister an. Reichel zeigte zitternd auf die Halbgöttin:
„Das, das ist die Hexe die den Herrscher verführt hat. Die Mutter der Zwillinge.“ Reichel warf Elze lediglich einen flüchtigen Blick zu. Er gehörte nicht zu den Männern die sich Gesichter merkten, die ihm unwichtig erschienen. Die andere kenne ich nicht, vermutlich ist sie ihre Dienerin.“ Dann blickte er panisch zu Baldaar: „Wir sind aufgeflogen!“
„Haltet den Mund!“ Fuhr Baldaar ihn an und wandte sich Morna zu: „Sieh an, sieh an,“ begann er zu spotten: „Die Hure des Herrschers!“ Der Magier schritt gemächlich auf sie zu, als plötzlich aus einem der Nebenzimmer leises Babyweinen zu hören war. Ohne nachzudenken zog Morna den Dolch unter ihrer Schürze hervor und stürzte sich auf den Mann mit der dunkelroten Robe. Bevor der Armbrustschütze reagieren konnte, schlug ihr der Magier so heftig ins Gesicht, dass sie bewusstlos zu Boden stürzte. Der Dolch, der ihr dabei aus der Hand glitt, landete klirrend vor Baldaars Füßen. Elze schrie entsetzt auf und warf sich augenblicklich schützend über Mornas Körper. Der Magier funkelte Reichel wutentbrannt an:
„Habt ihr nicht behauptet, dass die Geheimgänge niemandem bekannt wären?“
„Ich, ich kann mir das nicht erklären.“ stammelte der Minister. Baldaar starrte auf Mornas Dolch und ließ seinen Willen freien Lauf. Augenblicklich schnellte die Waffe vom Boden in seine rechte Hand. Lord Reichel war fassungslos. Er glaubte weder an die Götter noch an Magie. Sicher, es war ihm bekannt, dass die ferne Stadt Kushtur als Stadt der Magier galt. Dennoch hielt er sämtliche Geschichten, die sich um diesen Ort rankten, schlichtweg für absurd. Diese simple kleine Zurschaustellung von Magie, brachte sein Weltbild innerhalb von wenigen Augenblicken ins Wanken. Der Magier wandte sich jetzt an den Armbrustschützen, der seine Waffe auf Elze gerichtet hielt:
„Habt ihr alles vorbereitet?“
„Die anderen warten schon vor der Stadt, dicht beim Ausgang der Kanalisation, auf uns.“ gab er sofort zur Antwort: „Die Pferde stehen dort ebenfalls für uns bereit. Wir können in kürzester Zeit den Schwarzen Wald erreichen.“
„Sehr gut!“ brummte der Magier: „Dieser verfluchte Wald stellt zwar einen enormen Umweg für uns dar, aber so kommen wir wenigstens sicher an diesem Darkanischen Pack vorbei.“ Er blickte auf die beiden am Boden liegenden Frauen und ließ den Dolch über seiner Handfläche schwebend kreisen:
„Je schneller wir jetzt verschwinden, desto besser. Das Ganze beginnt für meinen Geschmack, zu unübersichtlich zu werden. Holt die Kinder her!“
Der Armbrustschütze gab den anderen beiden Männern ein Zeichen, woraufhin sie sich sofort ins Nebenzimmer begaben, aus dem inzwischen das Weinen zweier Säuglinge zu hören war.
„Was soll mit den Frauen geschehen?“ fragte Reichel im unterwürfigen Tonfall, wobei er seine Augen nicht vom Dolch, der noch immer über der Hand des Magiers schwebte, abwenden konnte. Baldaar begann nahezu diabolisch zu grinsen:
„Die zwei werden ein hervorragendes Ablenkungsmanöver für unsere Flucht abgeben. Da der Herrscher davon überzeugt zu sein scheint, dass diese Frau für die Entführung verantwortlich ist, wird er keinen Gedanken an uns verschwenden, sobald man sie in Ketten vor ihn führt.“ Der Magier brach in ein gehässiges Gelächter aus:
„Wie wunderbar sich doch immer wieder alles für die wahren Gläubigen fügt!“
Elze begann unaufhörlich zu schluchzen, während sie Mornas regungslosen Körper fest an sich drückte. Die treue Dienerin befand sich in einem absolut geschockten Zustand und realisierte kaum, wie die Zwillinge von den fremden Männern weggetragen wurden. Baldaar nickte Lord Reichel plötzlich freundlich zu:
„Ich denke, wir können doch darauf verzichten, dass ihr uns begleitet. Was haltet ihr davon, augenblicklich euer Gemach zu verlassen und auf den Fluren lauthals nach den Wachen zu rufen. Immerhin habt ihr diese Verräterin hier aufgegriffen.“ Dabei zeigte er lächelnd auf Morna. Der Minister, schöpfte mit einem Mal die Hoffnung, doch noch heil aus der ganzen Situation herauszukommen. Augenblicklich riss er seinen Blick von dem inzwischen tanzenden Dolch, drehte sich herum, sprintete zur Tür und riss sie auf. Mit einem Satz befand er sich auf dem breiten Korridor und brüllte, wieder mit etwas mehr Selbstsicherheit in der Stimme, nach den Wachen. Baldaar blickte derweil auf den Dolch wobei sich die Mundwinkel des Magiers teuflisch grinsend nach oben zogen. Der Zauberer ließ seinen Willen erneut frei und der Dolch beendete abrupt seine kreisenden Bewegungen. Im nächsten Moment schoss er auf Reichel zu, der sich direkt außerhalb des Zimmers vor der offenen Tür befand und lauthals nach den Wachen schrie. Der Dolch traf den Minister mit ungeheurer Wucht und drang dabei tief in seinen Rücken ein. Ungläubig drehte sich