Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


Скачать книгу
geschlichen. Der Trottel war sogar dabei als ich ihn im Thronsaal geklaut habe. Und er hat nichts gemerkt.“

      „Bei den Göttern!“ Schoss es Vitras durch den Kopf. Es hätte ihm schon auffallen müssen, als Devon ihn aus dem Gassengewirr des Hafenviertels herausführte und dabei der gesamten Hafenwache aus dem Weg ging. Die Art wie der Knabe sich bewegte. Er hatte das einzigartige Talent, sich nahezu unsichtbar zu machen ohne Magie anwenden zu müssen. Auch die Art, wie er in seinem Alter schon zu kämpfen vermochte. Der Knabe bewegte sich wie ein Schatten.

      „Kannst du mich in den Palast des Herrschers bringen, ohne dass irgendjemand, irgendetwas davon mitbekommt?“

      „Na klar!“ Antwortete Devon: „Aber muss das sofort sein? Seitdem die Kinder des Herrschers weg sind, wimmelt es da nur so von Soldaten.“

      Vitras glaubte seinen Ohren nicht zu trauen: „Die Kinder des Herrschers – die Zwillinge wurden entführt?“ Seine Stimme bekam einen ängstlichen Unterton, den der Junge nicht einordnen konnte.

      „Das weiß doch jeder hier,“ erklärte ihm Devon: „Bis vor kurzem haben die Soldaten jeden Stein in der ganzen Stadt zweimal umgedreht. Außerdem sind mir die beiden Frauen in den geheimen Gängen nicht ganz geheuer. Aber... du bist doch ein Zauberer, kannst du dich nicht einfach in den Palast zaubern?“

      „Frauen? Geheime Gänge?“ Platzte es aus Vitras heraus.

      „Der Palast ist von einem Wirrwarr aus Geheimgängen durchzogen.“ begann der kleine Dieb zu erklären: „Ich kenne zwar nur ein paar von ihnen. Aber immerhin so viele, um ungesehen hinein und wieder heraus zu kommen. Ich dachte immer das niemand darüber Bescheid weiß. Bis ich die beiden Frauen dort längs schleichen sah. Ich habe ein bisschen was mitbekommen, als sie sich unterhielten. Sie suchen auch nach den Kindern des Herrschers. Aber weißt du was komisch ist, eine von ihnen ist aus dem Kerker ausgebrochen.“

      Vitras stand auf, ließ den Jungen los und stützte sich an der Wand ab. Seine Gedanken überschlugen sich. War es tatsächlich möglich, dass seine Tochter aus dem Kerker entkommen war und Devon sie gesehen hatte. Waren Haruns Häscher tatsächlich schon erfolgreich, indem sie sich der Zwillinge bemächtigen konnten. Er musste handeln – und zwar schnell. Dabei war er jetzt von einem Kind abhängig.

      „Geht es dir nicht gut Vitras?“ Fragte Devon besorgt.

      Vitras kniete erneut vor dem Jungen nieder: „Hör mir gut zu Devon...“

      „Nenn mich nicht so...“brachte der Knabe ungehalten hervor: „Ich habe dir doch gesagt, dass ich meinen Namen nicht leiden kann... und auch warum!“

      „Wie möchtest du denn genannt werden?“ Fragte Vitras beinahe hilflos. Devon zuckte mit den Schultern:

      „Egal wie, nur nicht Devon Delvoran.“

      „Also gut,“ fuhr Vitras fort: „Ich kann mich nicht einfach in den Palast zaubern, so funktioniert das nicht. Außerdem könnte es im Palast magische Vorkehrungen geben, die mich daran hindern ihn mit Hilfe von Magie zu betreten. Verstehst du das?“

      Devon nickte und hörte dem Kriegszauberer aufmerksam zu.

      „Dein Bruder hat mir vor langer Zeit einen Gefallen getan.“

      „Also hat er etwas für dich geklaut.“ Unterbrach ihn der Knabe. Vitras musste schmunzeln:

      „Es war etwas komplizierter. Und nun muss ich dich um einen Gefallen bitten. Bring mich so schnell es geht ungesehen in den Palast. Wenn es möglich ist, muss ich obendrein mit den beiden Frauen sprechen, von denen du mir erzählt hast.“

      Devon blickte ihn nachdenklich an: „Es wird gefährlich werden nicht wahr? Und du wirst wieder töten müssen, wie vorhin in der Taverne?“

      „Ich will dich nicht anlügen. Du hast recht. Es wird gefährlich werden, und wahrscheinlich werde ich töten müssen.“

      „Wird man mich jagen, wenn das ganze schief geht? Werde ich in Darkan bleiben können?“

      „Man wird dich nicht jagen, egal was passiert. Dafür sorge ich. Und NEIN! Du wirst nicht in Darkan bleiben und weiterhin in einem Hurenhaus leben. Aber darüber sprechen wir später!“

      Devon betrachtete den prächtigen Dolch in seiner Hand und überlegte:

      „Es wäre eigentlich auch zu schade gewesen, den für zwei Monatsmieten rausrücken zu müssen.“

      Flink ließ er die Waffe in seinem Rucksack verschwinden.

      „Wir müssen zur Großen Eichen Allee. Sie führt zum Platz der Götter hinter dem die Mauern des Palastes beginnen. Dort gibt es den Geheimen Eingang, den ich immer benutze.“

      ***

      Elze presste ihren Zeigefinger vor die Lippen und bedeutete Morna erneut leise zu sein. Unzählige Male hatte sie nun schon die Schiebetür betätigt und heimlich auf den Korridor geblickt. Endlich schienen sie Glück zu haben. Der große Trubel war vorüber und Elze erblickte lediglich noch eine Dienstmagd, die gerade am Ende des Flures um eine Ecke bog und somit auch aus dem Blickfeld verschwand. Die alte Dienerin winkte Morna heran und sie betraten hastig den langen Flur. Als die beiden Frauen sich gerade ein paar Schritte vom schweren Samtvorhang entfernt hatten, hinter dem sich die geheime Schiebetür verbarg, tauchte am Ende des Korridors ein Trupp Soldaten auf, die direkt auf sie zu marschierten. Ein scheinbar äußerst gereizter Unteroffizier führte das Kommando. Augenblicklich verfielen Elze und die Halbgöttin in einen gemächlichen Gang, um auf gar keinen Fall aufzufallen. Morna ging, wie Elze ihr geraten hatte, mit gesenktem Haupt dicht hinter ihr. In Anbetracht der schwer bewaffneten Männer, die immer näherkamen, benötigte Morna keinerlei schauspielerisches Talent mehr, um eingeschüchtert zu wirken. Erleichtert atmeten beide Frauen tief aus, als die Männer an ihnen vorbei schritten, ohne sie überhaupt zu beachten. Als die Wachen um die nächste Ecke bogen, bewegte sich Elze wesentlich schneller dem Ende des Korridors zu. Hier öffnete sie eine Tür, hinter der sich eine geräumige Besenkammer befand. Schnell huschten sie in den Raum, indem sich ein weiterer Zugang zu den Geheimgängen des Palastes befand.

      „Nun ist es wirklich nicht mehr weit,“ flüsterte Elze. Dann entzündete sie eine der Fackeln, die in der Wandhalterung nahe der Schiebetür steckten und ging wieder vorneweg. Morna tastete nach dem Dolch den sie unter ihrer Schürze versteckt hielt. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto aufgewühlter wurde sie. Dabei schwor sie sich die Waffe zu benutzen, wenn es um ihr Leben oder das ihrer Kinder ging. Die alte Dienerin blieb immer öfter stehen und betrachtete prüfend die Mauern oder die Decke. Daher nahm Morna an, dass Elze sich nicht mehr sicher war, ob sie sich noch in den richtigen Gängen bewegten:

      „Haben wir uns verlaufen Elze?“

      „Nein!“ Flüsterte sie und zeigte auf einen Mauervorsprung: „Wir sind da! Aber...“

      „Aber was?“

      „Fällt dir nicht auf das überall die Spinnweben zerrissen sind!“ Elze bückte sich und leuchtete mit der Fackel den Boden aus: „Verflixt, ich habe es geahnt!“

      „Was hast du denn?“ Die Halbgöttin war bis aufs äußerste angespannt.

      „Fußspuren! Hier sind überall Fußspuren. Wir sind nicht die einzigen, die diesen Gang benutzen.“ Elze erhob sich wieder und schlich auf Zehenspitzen bis zum Mauervorsprung. Dort löschte sie die Fackel und steckte sie in eine der leeren Wandhalterungen.

      „Ich kann Stimmen hören!“ Raunte Elze ihr zu: „Die Wände sind hier sehr hellhörig. Morna tastete mit ihren Händen die Wand ab, bis sie die Geheimtür erfühlte die zu Lord Reichels Gemächern führte. Dann presste sie ihr rechtes Ohr gegen das Holz der Tür und konzentrierte sich auf die Stimmen. Sie konnte hören, wie sich zwei Männer unterhielten. Einer von ihnen war Reichel, den sie sofort an seiner piepsigen Stimme erkannte. Die Stimme des anderen Mannes konnte sie niemandem zuordnen, den sie kannte. Nach einer kurzen Weile war sie in der Lage, nahezu jedes Wort des Gespräches zu verstehen.

      „Euer Plan hatte durchaus etwas geniales an sich Reichel. Eure Räumlichkeiten


Скачать книгу