Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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auch schon die als Bücherregal getarnte Geheimtür schloss.

      ***

      Vitras schlich schon eine ganze Weile mit dem kleinen Dieb durch das Labyrinth artigen Gänge. Es beeindruckte den Kriegszauberer ungemein, wie der Junge sich vollkommen furchtlos in der Dunkelheit bewegte. Immer wenn Licht durch Mauerrisse oder den Spalten schlecht gesetzter Holzbalken fiel, und die Gänge somit schwach beleuchtete, wich der Knabe diesem sofort aus, indem er in den Schatten der nächsten Wand huschte. Sie kamen schnell voran, und Vitras hatte keinerlei Zweifel daran, das Devon wusste wohin er sie führte. Mit einem Mal blieb der Junge stehen:

      „Wir sollten umkehren!“

      Vitras lauschte angestrengt und hörte beständig lauter werdendes Brüllen vieler Männer. Offensichtlich Soldaten, die völlig konfuse Befehle brüllten. Als ob sie nicht wussten, was zu tun war.

      „Das sind die Wachmannschaften!“ Flüsterte Devon: „Denen sollten wir wirklich aus dem Weg gehen!“ Sie konnten hören, wie die Soldaten auf dem Flur hinter der Wand wo sie sich gerade aufhielten, entlang rannten. Der Name seiner Tochter fiel. Vitras verpasste Devon einen Schubs, das dieser sofort zu Boden ging:

      „Geh in Deckung!“ Brüllte der Kriegszauberer ihn an und entfesselte auch schon seinen Willen. Mit einem ohrenbetäubenden Knall schoss eine Druckwelle durch die Mauer, die ihn von den Soldaten trennte und schlug ein mannshohes und mehrere Schritte breites Loch in die Wand. Mauersteine, Geröll, Teile zerfetzter Holzbalken schossen über den Korridor und prallten an die gegenüberliegende Wand. Gefolgt von einer dichten Wolke aus Rauch und Staub. Mit einem Schritt stieg Vitras durch die Öffnung und blickte sich um. Direkt neben ihm stand Dilder, ein junger Diener in seiner jetzt völlig verdreckten Dienst Uniform. Wie durch ein Wunder wurde er von keinem der eben noch herumfliegenden Trümmerteile getroffen. Als er Vitras mit seiner wehenden schwarzen Robe erblickte, den schwach pulsierenden Rubin in dessen Stirnband, die Runen Tattoos auf dem kahlen Schädel und den mörderischen Blick in dessen Augen wahrnahm, verdrehten sich seine Augen und er fiel ohnmächtig zu Boden. Am Ende des Korridors zu seiner linken, befanden sich mehrere Soldaten die ihn mit einem Blick bedachten, als wäre er Tantras persönlich. Vitras lächelte sie grimmig an und zog die Zwillingsschwerter aus ihren Scheiden, die er auf dem Rücken trug. Langsam schritt er auf die Wachen zu. Die Männer wichen vor ihm zurück, als sie die feinen Blitze wahrnahmen, die zwischen den Schwertern hin und her sprangen. Vitras erblickte jetzt eine Leiche vor den Bewaffneten. Offensichtlich ein hoher Würdenträger und der Anlass des Aufruhrs, bevor er die Mauer zerstörte. Aus dem Zimmer, vor dem die Soldaten standen, hörte man inzwischen wieder laute Stimmen, die Befehle schrien oder sich wegen des ohrenbetäubenden Knalls erkundigten. Zwei Frauen, die man in Ketten gelegt hatte, wurden unsanft hinaus auf den Flur gestoßen. Die Halbgöttin hob leicht ihr Gesicht an und erblickte Vitras. Der Kriegszauberer glaubte für einen Moment, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die junge Frau hatte ein starkes, blutunterlaufenes Auge und sah stark mitgenommen aus. Trotzdem erkannte er in ihr, die edlen Gesichtszüge ihrer Mutter wieder. Das musste Morna sein. Die Gardisten, die seine Tochter und die andere Frau abführen wollten, trauten ihren Augen nicht, als sie den Flur betraten und ihn erblickten. Einen Fremden derart schwer bewaffnet in diesem Teil des Palastes anzutreffen, war einfach undenkbar. Vitras schritt weiterhin auf die Männer zu. Irgendein Offizier fasste sich als erster und donnerte einen unmissverständlichen Befehl. Durch ihre schiere Übermacht ermutigt, stürmten die Wachen nun mit Schwertern oder Hellebarden bewaffnet auf den Kriegszauberer zu. Devon krabbelte gerade aus dem Loch in der Mauer und sah fassungslos auf das Spektakel, das sich ihm bot. Der Rubin im Stirnband des Zauberers begann kräftig zu leuchten. Vitras Wille ließ die ersten Soldaten die ihn fast erreicht hatten durch die Luft schleudern. Hart prallten sie gegen die Wände, die Decke oder ihren hinterher stürmenden Kameraden. Mit einer tödlichen Eleganz ließ er anschließend die Schwerter durch die Körper seiner Angreifer kreisen. Mühelos fuhren sie durch die Rüstungen und Kettenhemden seiner Gegner, drangen in Fleisch ein, zerstörten Knochen oder trennten Gliedmaßen von ihren Körpern. Innerhalb von Sekunden war der ungleiche Kampf beendet. Zwei Dutzend tote oder schwer verletzte Männer säumten den Korridor, während Vitras unbeirrt auf seine Tochter zu schritt. Obwohl im Wald der Götter aufgewachsen und selbst Tochter einer Göttin, starrte Morna den Fremden wie ein Fabelwesen aus längst vergessenen Zeiten an. Das pechschwarze Gewand mit den goldenen und roten Symbolen, dass er trug, reichte von seinen breiten Schultern bis kurz über den Boden. Der Kämpfer trug einen kahlen Kopf voller mystischer Tattoos. Der perfekt sitzende Schnauzer und der halblange schwarze Bart mit den weißen Strähnen, verliehen dem Mann trotz seines nicht mehr ganz jungen Alters, ein attraktives Aussehen. Seine Gesichtszüge waren jedoch so sehr vom Zorn verzerrt, dass die wenigen verbliebenen Gardisten, die nicht in den Kampf eingegriffen hatten, entsetzt vor ihm zurückwichen.

      Elze blickte ihn ebenfalls entgeistert an. Die Halbgöttin konnte es sich nicht erklären, aber sie verspürte absolut keine Furcht vor diesem Mann. Aus ihr völlig unerklärlichen Gründen, kam der Fremde ihr seltsam vertraut vor. Vitras musste sich beherrschen, damit seine Stimme nicht brüchig klang:

      „Hebt ein wenig eure Hände empor!“ bat er beide Frauen in einem sanften Tonfall. Die Frauen hoben nahezu gleichzeitig ihre Hände an und streckten sie Vitras entgegen. Durch ein Schnippen seiner Finger sprangen die Schlösser auf, und die schweren Ketten fielen klirrend zu Boden. Die überlebenden Gardisten, die sich noch im Flur befanden, schauten sich kurz an, ließen ihre Schwerter fallen und rannten davon. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis ein Heer von Wachmannschaften den Korridor stürmen würde. Vitras drehte sich herum und sah wie Devon die toten Gardisten um ihre Geldbörsen erleichterte.

      „Schatten!“ Brüllte Vitras so wütend, dass der kleine Dieb regelrecht zusammenzuckte.

      „Wie hast du mich genannt Vitras?“

      Der Kriegszauberer biss sich auf die Unterlippe. Unüberlegt hatte er dem Jungen nun einen Namen verpasst, von dem er wusste, dass er an ihm wachsen würde.

      „Schatten!“ Wiederholte der kleine Dieb, stand auf, ließ die Geldbörsen wieder fallen und kam auf Vitras zu: „Schatten! Der Name gefällt mir!“

      Als sich der Kriegszauberer wieder den beiden Frauen zu wandte, entging ihm zunächst der absolut fassungslose Blick seiner Tochter.

      „Was ist mit den Kindern? Fragte Vitras: „Wo sind die Zwillinge?“

      In Mornas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ihr wurde schwindelig und alles um sie herum begann sich leicht zu kreisen. Sofort stützte Vitras sie ab, während Elze in das Zimmer des toten Reichel zeigte:

      „Die Gesandten Kushturs haben die Kleinen entführt. Sie sind mit ihnen durch die Geheimgänge geflohen und sind jetzt auf dem Weg zur Kanalisation, die bis außerhalb der Stadtgrenze führt.“

      „Kommt,“ brachte Vitras nur hervor und bedeutete den beiden Frauen wieder Reichels Gemächer zu betreten.

      „Du auch!“ Befahl er dem Jungen, der sofort und ohne Widerrede ebenfalls die Gemächer betrat. Als sich alle vier mitten im großen Zimmer befanden drehte Vitras sich zur Tür herum. Morna hätte schwören können, dass die Luft um den Zauberer herum zu schwirren und zu flirren begann. Seine Hände vollführten blitzschnell einige Gesten in der Luft und mit einem lauten Knall schlug die Tür ins Schloss. Im nächsten Moment begann sich sämtliches Mobiliar im Zimmer wie von Geisterhand selbst zu bewegen. Tische, Stühle und Schränke schwebten zur Tür, um sie zu verbarrikadieren.

      „Wer seid ihr eigentlich?“ Stammelte Elze plötzlich, die sich von all den Ereignissen mittlerweile schlichtweg überfordert fühlte.

      „Der, der Junge nannte ihn Vitras!“ stotterte Morna: „Elze! Ich glaube, dass, dass ist mein Vater!“

      Seit der Knabe, den er Schatten nannte, ihn mit Vitras ansprach, fing Morna allmählich an zu begreifen. Immer wieder, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab, fragte sie Mirna nach ihrem Vater aus. Die Göttin versuchte stets das Thema zu wechseln und gab ihrer Tochter somit nie allzu viel preis. Aber Morna merkte sich jedes Detail, ganz besonders seinen Namen. In den seltenen Momenten in denen Mirna über ihn sprach, wurde es Morna bewusst, wie sehr ihre Mutter Vitras lieben musste, obwohl er ein Sterblicher


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