Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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Brüder von der Gilde beschissen.“

      Die Nachricht musste der Kriegszauberer erst einmal verdauen. Was jedoch als nächstes geschah, ließ selbst ihn nach Luft schnappen.

      Der Junge riss sich mit einer ungeheuerlichen Kraftanstrengung von seinem Peiniger los. Im nächsten Moment hielt er einen Dolch in seinen Händen, der eines Königs würdig gewesen wäre.

      „Du schimpfst meinen Bruder nie wieder einen Drecksack.“ brüllte der Knabe aus Leibeskräften, wobei ihm die Tränen jetzt wie ein Schwall Wasser übers Gesicht liefen. Dann stach er zu. Blitzschnell. Mehrmals stach er dem groben Johann in den rechten Oberarm und in die Seite. Der Mann holte zu einem Schlag aus, doch der Junge rollte sich zu Boden, unter den Beinen des Wirtes hindurch und stach erneut von hinten zu. Keiner der Gäste schien sich um den Tumult hinter der Theke zu kümmern. Hier war man offenbar ganz anderes gewohnt. Der Grobe Johann blutete inzwischen wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Ein kräftiger Tritt jedoch, zu dem er noch in der Lage war, streckte den tapferen Burschen nieder. Schwankend hielt Johann sich an der Theke fest und blickte auf sein Opfer herab:

      „Nun reicht es mir endgültig! Jetzt schlachte ich dich ab du kleine Drecksau!“

      Johann griff nach einem großen Messer, als Vitras plötzlich über den Tresen sprang und sich schützend vor den Jungen stellte.

      „Ach...“ tönte Johann: „Du willst dem Bastard Gesellschaft leisten? Das kannst ...“

      Entsetzt riss Johann die Augen auf. Vollkommen geschockt, brachte er den Rest des Satzes nicht mehr über die Lippen. Das Flimmern in der Luft nahm er gar nicht war, aber die Verwandlung schon. Von einer Sekunde zur anderen wurde aus dem heruntergekommenen Bauern ein Krieger, dem er nicht in seinen finstersten Alpträumen begegnen wollte. Schlagartig wurde es still in der Taverne. Ungläubig starrten die Anwesenden auf den kräftigen Zauberer im schwarzen Gewand, mit zwei Schwertern von deren Erlös man wahrscheinlich ein ganzes Königreich kaufen konnte. Die tätowierten Runen auf dem kahlen Schädel des Mannes begannen rötlich zu leuchten. Ein Nicken des Kriegszauberers reichte aus, und der Grobe Johann wurde von einer unsichtbaren Macht gepackt, die ihn quer durch die gesamte Taverne schleuderte. Dabei wurde er gegen etliche Besucher geworfen, die er allesamt mit zu Boden riss. Vitras blickte zu Boden, wo noch immer der Junge lag und ihn mit großen Augen anstarrte.

      „Bist... bist du der Zauberer von dem mein Bruder mir immer erzählte?“

      „Alteres Delvoron war wirklich dein Bruder?“ Überging Vitras die Frage des Jungen mit einer Gegenfrage. Der Junge nickte nur, hielt aber immer noch den prächtigen Dolch mit einer Hand fest umschlossen. Vitras lächelte:

      „Bleib unten Junge!“

      Mehrere Männer mit Leder beschlagenen Knüppeln und schlecht verarbeiteten Schwertern, näherten sich unsicher der Theke. Vitras verzichtete darauf, die Zwillingsschwerter zu ziehen. Stattdessen vollführte er eine kreisrunde Bewegung seines Armes von links nach rechts. Im nächsten Moment schoss eine Druckwelle, von Vitras ausgehend, durch die Taverne. Sie riss alles mit, was sich im Weg befand. Menschen, Mobiliar und selbst nahezu die komplette Wand, die zur Gasse nach draußen führte. Putz, Staub und Holzspäne wirbelten durch die Gegend. Vitras überlegte für einen kurzen Moment, doch zu den Waffen zu greifen, als er den Groben Johann wahrnahm. Der Mann hatte tatsächlich überlebt und erhob sich zwischen all den Trümmern. Er warf Vitras einen Blick gemischt aus Wut, Hass und tödlicher Angst zu. Dann drehte er sich um und wankte davon.

      „Du bist es!“ Brachte der Knabe mit einem Mal lauthals hervor und rappelte sich hoch: „Du bist Vitras! Alteres hat mir so viel von dir erzählt.“

      „Komm Junge, wir müssen hier weg!“

      „Gleich!“

      Fassungslos beobachtete Vitras, wie der kleine Bursche eine Metallschachtel unter den Überresten des Tresens hervorzog und dessen gesamten Inhalt, der aus Gold und Silbermünzen bestand, in seinen Rucksack schüttelte. Zweifelsohne die Kasse des Groben Johann.

      „Da muss noch eine sein. Die mit den Kupfermünzen.“ Brachte er aufgeregt hervor und suchte ganz offensichtlich nach der zweiten Schachtel.

      „Wie heißt du Bursche?“ Fragte Vitras: „Wie wirst du genannt?“

      „Devon!“ Antwortete er ihm: „Devon Delvoran, aber ich mag den Namen nicht. Niemand soll mich so nennen. Er erinnert mich nur daran, dass meine ganze Familie tot ist!“

      „Das wirst du ebenfalls schneller sein als dir lieb ist, wenn wir hier nicht sofort verschwinden.“

      Devon blickte zu dem Kriegszauberer empor und griff widerwillig nach der Hand, die die Vitras ihm reichte.

      „Und jetzt raus hier!“

      Die beiden wateten durch die Trümmer der Taverne und stiegen dabei über jede Menge regloser Körper. Der Lärm der zerborstenen Außenwand und das Geschrei der Verwundeten musste für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Als sie die Gasse betraten, war von weitem auch schon das Gebrüll der Hafenwache zu hören, das rasch lauter wurde.

      „Hier entlang!“ Flüsterte der Junge und zog Vitras am Ärmel: „Die Watschelgänger sind gleich hier!“

      „Die Watschelgänger?“

      „So nennen wir die Soldaten der Hafenwache. Sie watscheln immer so komisch mit ihren großen Stiefeln.“ Der Kriegszauberer war davon überzeugt, das Devon sich in Darkan wie kein zweiter auskannte. Also gab er dem Jungen ein Zeichen, voraus zu laufen und folgte ihm. Zuerst kam es Vitras so vor, als rannte der Junge planlos mal nach rechts, mal nach links abbiegend, durch die teilweise finsteren Gassen. Doch je weiter sie kamen, desto mehr wurde ihm bewusst, dass Devon sie ganz gezielt aus dem Hafenviertel herausführte, ohne dass sie auch nur einen einzelnen Soldaten der Wache begegneten. Die engen Gassen wichen schon bald wieder den breiten ausgebauten Straßen, an denen jede Laterne brannte, als Devon direkt auf ein großes weißes Gebäude zuhielt. Deutlich waren die billigen roten Vorhänge durch die erleuchteten Fenster zu erkennen. Das fröhliche Gelächter und die ausgelassene Stimmung die aus dem Inneren des Hauses kam, sowie all die bunten Papierlaternen, die an der Vorderfront befestigt waren, ließen in Vitras einen Verdacht aufkommen. Als er nach oben blickte und in einem der Fensterrahmen eine halb nackte Frau wahrnahm, die ihnen zuwinkte, sah er seinen Verdacht bestätigt. Devon führte sie direkt in ein Bordell. Vitras legte seine Hand auf die Schulter des Jungen, und veranlasste ihn stehen zu bleiben:

      „Kannst du mir einmal erklären was wir dort sollen? Erwartest du von mir, dass ich in einem Freudenhaus untertauche?“

      „Wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken.“ Antwortete ihm Devon: „Die Hafenwache verlässt während ihres Dienstes, niemals das Hafenviertel. Außerdem, die Leistungen die hier angeboten werden, könnten die Watschelgänger mit einem ganzen Monatslohn nicht bezahlen!“

      Vitras blickte den Bruder des toten Meisterdiebes ungläubig an:

      „Und was wollen wir... ich meine was willst du in diesem Haus?“

      „Na ich wohne da!“

      Fast verschlug es Vitras die Sprache:

      „Du wohnst in einem solchen Haus?“ Der Kriegszauberer musste tief durchatmen: „Wieso lässt man dich überhaupt dort wohnen?“

      „Na, weil ich ihnen Miete bezahle!“ Lächelnd hielt Devon ihm den prächtigen Dolch hin: „Was denkst du? Sollte der für zwei oder drei Monatsmieten reichen?“

      Schlagartig wurde Vitras klar, dass der kleine Kerl, längst in die Fußstapfen seines toten Bruders getreten war. Zum ersten Mal betrachtete er die Waffe, die Devon in der Hand hielt genauer. Augenblicklich erkannte er das Darkanische Herrschaftswappen, das in die schmale Klinge eingraviert war. Der Kriegszauberer führte den Jungen bedächtig vom Schein der nahen Straßenlaterne weg in den Schatten einer hohen Mauer. Dann ging er in die Knie und legte seine Hände auf die Schultern des Jungen:

      „Erkläre mir bitte ganz genau, wie du an den Dolch gelangt bist!“ Vitras ließ seine Augen für einen Sekundenbruchteil rot aufleuchten, während er Devon anschaute:


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