Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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sollen wir mit... mit der Hexe verfahren, sollten wir ihrer habhaft werden?“

      „Tötet sie!“ Brachte Godvere monoton hervor. Er musste kurz schlucken, als ihm die Bedeutung seiner Worte klar wurden. Doch sofort gab er sich einen inneren Ruck. Seine Kinder waren ihm wichtiger.

      „Wie ihr es wünscht!“ Erwiderte Reichel: „Wie ihr es wünscht!“ Er vollführte erneut zwei schnell hintereinander folgende Verbeugungen und verließ eiligst den Thronsaal.

      Die Dinge hätten sich für ihn nicht besser entwickeln können. Er führte nun sämtliche Untersuchungen. Er konnte jetzt entscheiden, welche Einheiten sich wann und wo, auf der Suche nach den Zwillingen aufzuhalten hätten. Das Schicksal konnte ihm gar nicht großzügiger in die Hände spielen. Fast war er geneigt, doch an die Götter zu glauben, aber auch nur fast.

      ***

      Als Morna erwachte, war sie zunächst wütend, dass Elze sie so lange schlafen ließ. Aber sie musste sich schnell eingestehen, dass sie den Schlaf dringend gebraucht hatte. Sie fühlte sich gestärkt und erholt. Leicht senkte sie den Blick und drehte sich vor dem Spiegel an der Wand. Sie trug ein einfaches Dienstbotenkleid, eine Schürze sowie ein Kopftuch. Ihre Füße steckten in groben Sandalen und als einziges Schmuckstück trug sie ein dünnes Lederarmband in das verschieden farbige Glasperlen eingearbeitet waren. Elze stand wenige Schritte neben ihr und betrachtete sie zufrieden:

      „So werdet ihr wahrlich niemandem im Palast auffallen. Vergesst nur nicht, den Kopf immer leicht nach unten gebeugt zu halten, wenn uns Soldaten oder höher gestellte Bedienstete begegnen. Morna nickte stumm. Die Sachen die Elze ihr schon vor Tagen besorgt hatte, passten ihr tadellos. Die alte Dienerin hatte sich ganz offensichtlich, gründlich auf Mornas Flucht vorbereitet.

      „Euch kann tatsächlich nichts entstellen meine Liebe,“ strahlte Elze: „Ihr seid jetzt ganz bestimmt die schönste Dienerin im ganzen Palast.“ Elze's Schmeicheleien entlockten der Halbgöttin ein leichtes Lächeln, über das die alte Frau sich ungemein freute. Morna trat auf einmal ganz dicht an Elze heran und umarmte sie:

      „Bitte Elze, bitte hör auf mich dauernd anzusprechen, als wäre ich noch immer die zukünftige Ehefrau von Godvere Garien. Für Dich bin ich einfach nur Morna!“

      Elze war sichtlich gerührt und wusste überhaupt nicht was sie antworten sollte. Morna war jedoch klar, dass sie einfach nicht aus ihrer Haut konnte und sie weiterhin so ansprechen würde, wie sie es halt tat. Der Gedanke, wie Elze sie wohl ansprechen würde, wenn sie von ihrer wahren Herkunft erfuhr, ließ die Halbgöttin leicht schmunzeln. Elze löste sich aus der Umarmung, ging quer durchs Zimmer und öffnete eine große Truhe, die unmittelbar neben dem Wandschrank stand, der in die labyrinthartigen Geheimgänge des Palastes führte. Dann kniete sie sich vor die offene Truhe und begann in ihr herum zu wühlen. Endlich fand sie wonach sie suchte, stand auf und wandte sich wieder Morna zu. In ihrer Hand hielt sie nun einen Dolch den sie Morna reichte:

      „Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn ihr den unter eurer Schürze versteckt. Man kann nie wissen!“

      Die Halbgöttin verabscheute Waffen jeglicher Art. Daher zögerte sie einen kurzen Augenblick, dann nahm sie den Dolch trotzdem an sich. Nicht nur um Elze zu beruhigen. Ihr war mittlerweile absolut klar, dass sie in eine Lage geraten könnte, in der sie sich verteidigen müsste. Solange sie sich außerhalb des Schwarzen Waldes befand, besaß sie keinerlei magischen Fähigkeiten, mit denen sie sich wehren konnte.

      „Wenn ihr noch immer nicht davon abzubringen seid, zu Lord Reichels Gemächern zu gelangen, müssen wir die Geheimgänge zweimal verlassen.“ erklärte ihr die alte Dienerin: „Wir müssen öffentliche Flure durchqueren, um das geheime Labyrinth an anderen Stellen wieder zu betreten. Am besten, ihr haltet euch immer dicht hinter mir und vergesst nicht, niemandem direkt anzuschauen. Spielt einfach das verängstigte Mädchen, das neu bei Hofe und von allem noch recht eingeschüchtert ist. Das Reden, wenn es überhaupt nötig ist, überlasst mir. Ich denke, dann wird schon alles gut gehen.“

      Morna nickte stumm, zum Zeichen, dass sie alles verstanden hatte. Elze öffnete den Schrank, schob die Schiebetür an der Rückwand beiseite, und die beiden Frauen verschwanden wieder in dem Gewirr aus Gängen, die Elze als den geheimen Palast bezeichnete. Die Dienerin nahm die Fackel wieder aus der Halterung, entzündete sie und ging voraus. Morna war es ein Rätsel, dass bisher niemand, wenn auch nur durch Zufall, das komplexe Wirrwarr der geheimen Gänge, die sich scheinbar durch den gesamten Palast Komplex zogen, entdeckt hatte. Die Halbgöttin versuchte, sich den Weg den Elze nahm zu merken. Doch nach kürzester Zeit gab sie auf. Zu oft kamen sie an kleine Kreuzungen, an denen sie mal nach links, mal nach rechts oder auch geradeaus gingen. Die Gänge waren überwiegend sehr eng. Nur selten gab es Passagen, an denen zwei Menschen nebeneinander laufen konnten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie den ersten Ausgang den sie nehmen mussten, um einen der öffentlichen Flure zu durchqueren. Elze löschte die Fackel und steckte sie wieder in eine Wandhalterung. Von ihnen befanden sich offensichtlich mehrere an jedem der Ausgänge. Die Dienerin zog an einem kleinen Hebel und eine schmale Schiebetür, die hinter einem schweren Samtvorhang versteckt war, glitt zur Seite. Elze lugte vorsichtig hinter den Vorhang hervor, doch der breite geräumige Flur war menschenleer. Die Frauen traten schnell durch die Öffnung, und die Schiebetür glitt automatisch wieder zu, wobei sie sich so in der Wand einfügte, dass man sie auch ohne den Vorhang kaum entdecken konnte. Ohne besondere Eile, schritten sie den geräumigen Flur entlang, und Elze hielt Morna einen Vortrag über ihre Pflichten als Dienerin in diesem Teil des Palastes. Wäre ihnen jemand über den Weg gelaufen, hätte er ihnen wahrscheinlich absolut keine Beachtung geschenkt. Es kam schließlich oft vor, das älteren Bediensteten Neulinge zur Seite standen, bis diese in der Lage waren, ihren Pflichten alleine nachzukommen. Am Ende des Korridors schob Elze wieder einen schweren Vorhang zur Seite, der von der Decke bis zum Boden reichte. Sie blickte sich vorsichtshalber noch einmal um, dann betätigte sie einen versteckten Hebel wobei erneut eine Schiebetür zur Seite glitt.

      Beim zweiten Flur, den sie durchqueren mussten, hatten sie weniger Glück. Auch hier befand sich der Zugang hinter einem wuchtigen Samtvorhang versteckt. Lautes Stimmengewirr drang an ihre Ohren. Elze öffnete behutsam die geheime Schiebetür und lugte wie ein Spion hinter dem Vorhang hervor. Ein Heer von Bediensteten wuselte durch den Korridor. Viele von ihnen trugen Tabletts mit den verschiedensten Speisen, zu den Bewohnern der hiesigen Gemächer. Dienstmädchen waren damit beschäftigt, Bettwäsche auszutauschen während andere mit Putzlappen, Eimern und Besen bewaffnet kreuz und quer liefen. Blitzschnell huschte Elze zurück in den Gang und ließ die Schiebetür wieder zugleiten.

      „Was ist los?“ Fragte Morna ungeduldig. Hilflos zuckte die Dienerin mit den Schultern.

      „Es ist im Augenblick unmöglich, ungesehen den Flur zu betreten. Wir müssen einfach ein Weilchen abwarten.“

      „Warten? Wie lange denn? Können wir keinen anderen Weg nehmen?“

      Elze schüttelte mit dem Kopf: „Zum einen müssten wir dann den Flur von vorhin noch einmal durchqueren, zum anderen müssten wir fast den gesamten Palast umrunden. Glaub mir Kind, wenn die Götter wollen das wir einen Moment warten, dann sollten wir dem auch nachkommen.“

      Elze setzte sich auf den Boden und kramte ein paar Trockenfrüchte aus ihrem Jutebeutel hervor, den sie immer bei sich trug. Morna setzte sich neben sie und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Lächelnd nahm sie die Früchte entgegen, die Elze ihr reichte.

      ***

      Godvere las den Text vom Pergament, das ihm der Schreiber soeben reichte sorgsam durch. Seine Stirn begann sich in immer tiefere Falten zu legen. Wer den Herrscher gut kannte, wusste das dies ein Zeichen dafür war, ihm besser aus dem Weg zu gehen. Niemand bemerkte wie sich direkt hinter dem Thron lautlos eine kleine Schiebetür öffnete, die sich unterhalb eines großen Tisches befand. Ein kleiner Junge, von vielleicht acht Jahren huschte unter den Tisch, auf dem sich Speisen für den Herrscher befanden, und spähte vorsichtig jeden Winkel des Saales aus, den er von seiner Position her ausmachen konnte.

      Der Herrscher warf die Pergamentrolle verärgert auf den Tisch der Schreiber, und brüllte den Mann, der ihm die Rolle gereicht


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