Andran und Sanara. Sven Gradert

Andran und Sanara - Sven Gradert


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doch keinen Erlass, der die Preise für das Korn nahezu verdoppelt. Wer ist verdammt noch mal für den Gedanken verantwortlich? Was glaubt ihr was auf den Straßen los ist, wenn die Bürger das doppelte für einen Laib Brot zahlen müssen?“

      „Es, es ist zwingend notwendig, denn...“

      „Zwingend notwendig? Genauso wie dieses Dekret? Die Steuern sollen erhöht werden, da wir mehr Eisen aus dem Norden brauchen, welches das teuerste Eisen in der gesamten bekannten Welt darstellt?“ Godvere betrachtete erneut die Papiere, die auf seine Unterschrift warteten:

      „Welcher verdammte Idiot hat sich all das ausgedacht?“

      „Das Eisen wird für Rüstungen und Schwerter benötigt. Es wurde ausgehandelt, das dafür nur der beste Stahl verwendet wird.“

      Godvere bedachte den Gelehrten, der für das Erstellen der Verordnungen verantwortlich war, mit einem fassungslosen Blick:

      „Befinden wir uns etwa im Krieg. Einen Krieg von dem ich bisher noch nichts mitbekommen habe?“

      Der Mann blickte beinahe panisch über all die Papiere bis er endlich die große gelbe Ledermappe erblickte. Augenblicklich befahl er einem der anderen Gelehrten ihm die Mappe zu reichen und hielt sie anschließend zitternd Godvere Garien hin.

      Der Junge huschte lautlos unter dem Tisch hervor und verharrte für einen Moment in der Bewegung. Unter seinem verdreckten Gesicht, funkelten wachsame, intelligente Augen, mit denen er wiederholt in alle Richtungen blickte. Wie geplant befand er sich jetzt in einem toten Winkel zu den Armbrustschützen auf der oberen Galerie. Der Knabe war barfuß, hatte sich aber Lederlappen um die Füße gewickelt um nicht von spitzen Steinen oder Glas verletzt zu werden, sich aber trotzdem lautlos bewegen zu können. Seine weitere Kleidung bestand aus einer kurzen, dunklen, zerschlissenen Hose sowie ein ärmliches Hemd, welches er selbst schwarz gefärbt hatte. Er liebte schwarz, weil die Farbe bestens dazu geeignet war sich im dunklen zu verstecken, oder in irgendwelchen Schatten unterzutauchen. Mit einem schnellen Griff nahm er seinen kleinen Rucksack vom Rücken und füllte ihn mit verschiedenen Speisen, die direkt am Rand des Tisches platziert waren. Dass der Herrscher gerade einen seiner gefürchteten Wutausbrüche bekam, war dem Knaben nur recht. Sorge stets für eine gute Ablenkung, schossen ihm die Worte seines Bruders durch den Kopf. Wenn das nicht möglich ist, finde einen Schwachkopf der für diese Ablenkung sorgt. In diesem Augenblick stellte für den Jungen, der Herrscher höchst persönlich diesen Schwachkopf dar. Nachdem der Rucksack gut gefüllt war ließ er noch einmal seinen Blick umherstreifen. Für einen Moment blieb ihm fast das Herz stehen, als er den prächtigen Dolch, am äußersten Rand des Tisches liegen sah. Der Herrscher schrie noch immer diesen Trottel an, dem man gerade eine gelbe Mappe reichte. Der junge Dieb schlich sich soweit ans Ende des Tisches, wie er sicher sein konnte, nicht von einem der Armbrustschützen auf der Galerie gesehen werden zu können. Um die Blutwölfe in ihren Nischen machte er sich keine Gedanken. Von ihrem Winkel aus, war es unmöglich ihn zu erblicken.

      Godvere nahm die gelbe Mappe entgegen und blickte auf das eingestanzte Wappen.

      „Ist das nicht das Wappen der Stadt Kushtur?“ Fragte er den Gelehrten. Als dieser nur eifrig nickte öffnete der Herrscher die Mappe und begann die ersten Seiten eines Vertrages zu lesen, auf dem ganz offensichtlich nur noch seine Unterschrift fehlte. Als Unterhändler des Darkanischen Reiches wurde mehrmals Lord Reichel genannt, der die Bedingungen ausgehandelt hatte.

      „Reichel!“ Brüllte der Herrscher aus Leibeskräften dem Minister hinterher, der erst vor kurzem den Thronsaal verlassen hatte. Dabei schritt er in Richtung der schweren Doppeltür. Der Herrscher bebte vor Wut. Mit seiner Hand zeigte er auf zwei der Blutwölfe, deren Nischen sich unmittelbar neben der Tür befanden.

      „Holt mir sofort den Minister her. Sofort. Sollte er nach Ausflüchten suchen, schleift ihn hierher!“

      Die Männer schlugen gleichzeitig mit ihrer rechten Faust auf ihre linke Brust und verließen umgehend den Thronsaal, um den Befehl auszuführen.

      Der Junge konnte sein Glück kaum fassen. Ungesehen schlich er zum Ende des Tisches, griff nach dem Dolch und ließ ihn ebenfalls in seinem Rucksack verschwinden. Blitzschnell huschte er wieder unter die Tischplatte und verschwand in dem geheimen Gang. Ein schneller Griff am kleinen Hebel sorgte dafür, dass die Schiebetür sich wieder lautlos schloss. Es war stockdunkel in diesen geheimen Fluren. Trotzdem verzichtete der Junge darauf, eine der vielen Fackeln anzuzünden, die überall in den Halterungen steckten. Er liebte die Dunkelheit und es dauerte nicht lange bis sich seine Augen wieder vollständig ans Dunkle gewöhnt hatten.

      Ein empörtes Gezeter verriet dem Herrscher, dass die Blutwölfe ihren Auftrag schnellstens erledigt hatten. Mit verschränkten Armen, dabei die gelbe Mappe haltend, stand der Herrscher mitten im Saal und beobachtete wie die beiden Hünen von Soldaten den kleinen Minister links und rechts unter den Armen gepackt hielten und in den Thronsaal trugen. Ohne ein Wort zu sagen ließen sie ihn kurz vorm Herrscher fallen, wobei Reichel Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. Erneut schlugen sie mit ihrer rechten Faust auf die linke Brust, drehten sich um und schritten wortlos zu ihren Nischen. Lord Reichel zupfte sich seine Kleider zurecht und setzte augenblicklich sein freundlichstes Lächeln auf, als er die Mappe in den Händen des Herrschers erblickte. Godvere hielt sie ihm direkt vors Gesicht.

      „Eine Erklärung Reichel. Aber sofort.“

      „Ich... wir... es ist die einzige Möglichkeit... die einzige Möglichkeit uns vor der Stadt der Magier zu schützen und nicht von ihren Armeen überrollt zu werden.“

      „Hast du den Verstand verloren du kleiner hässlicher Idiot?“ Schrie Godvere den Minister an: „Kushtur ist lediglich eine Stadt. Eine Stadt am anderen Ende der bekannten Welt. Dies hier ist das Darkanische Reich! Wie kannst du dir solche Bedingungen diktieren lassen.“ Der Herrscher packte die Mappe fester und schlug sie dem Minister ins Gesicht, worauf Reichel ängstlich quiekte.

      „Niemals werde ich so etwas unterschrieben. Es gibt kein Korn und auch keine Waffen aus Darkan. Wir verteidigen unsere Grenzen mit unserem Stahl und unserem Blut, wenn es jemand wagen sollte uns zu bedrohen.“

      „Mein Herr!“ Flehte Reichel, während er sich die schmerzende Wange hielt: „Ich habe etliche Stunden mit den Gesandten aus Kushtur verhandelt. Die Stadt der Magier ist dabei, eine gewaltige Armee aus dem Boden zu heben, um die umliegenden Königreiche zu unterwerfen. Wahrscheinlich sogar die gesamte bekannte Welt.“

      Godvere Garien trat so dicht an Reichel heran, dass einige der Blutwölfe nervös wurden. Sämtliche Armbrustschützen hielten ihre Waffen auf Reichel gerichtet.

      „Ihr werdet den Gesandten aus Kushtur ausrichten, dass ich ihre kleine Stadt ausradieren werde, sollte je einer ihrer Soldaten unsere Grenzen überschreiten. Sobald ihr ihnen das vermittelt habt, sollen sie verschwinden. Umgehend! Habt ihr das begriffen Reichel?“

      „Jawohl, natürlich! Wie ihr wünscht. Sofort!“

      Wie ein geprügelter Hund verließ Lord Reichel erneut den Thronsaal. In seinem Kopf überschlugen sich fast panikartig die Gedanken. Von dem euphorischen Gefühl, das ihm vor wenigen Minuten noch innewohnte, war nichts mehr übrig.

      Godvere Garien wandte sich um und Schritt in Richtung seines Throns. Gedanklich war er schon wieder bei seinen Kindern, den verschwundenen Zwillingen. Ihr Schicksal lenkte den Herrscher dermaßen ab, dass er nicht länger über Lord Reichels merkwürdige Zugeständnisse an die Stadt der Magier nachdachte. Gemächlich stieg er die Stufen empor und umrundete seinen Thron, um sich etwas von den Speisen zu nehmen, die auf dem Tisch dahinter bereitstanden. Er neigte seinen Kopf ungläubig zur Seite, als er die geplünderten Platten und das Chaos auf dem Tisch wahrnahm. Selbst der Dolch, mit dem er stets die Fleischstücke aufspießte war verschwunden. Godvere wurde bewusst, dass er eine Ablenkung benötigte. Auf einen Wink eilte einer der Gelehrten zu ihm, worauf ein anderer Schreiber dessen Arbeit sofort weiterführte. Der Gelehrte, ein älterer Mann mit einem freundlichen Gesicht erklomm die ersten beiden Stufen und wartete ab, was der Herrscher von ihm wollte.

      „Erzählt mir alles,“ forderte Godvere ihn auf, nachdem er dem geplünderten Tisch einen letzten Blick zuwarf: „Was es


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