Apostasie. Marie Albes

Apostasie - Marie Albes


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einer Kugel im Herzen getroffen: Wie blöd sie war, als würde er sich für das Leben einer Nonne interessieren. Natürlich schlief er.

      „Erzähl weiter“, forderten Josés Lippen auf. „Deine Stimme entspannt mich, Chiara, sie ist hermosa.“

      Chiara schwieg und José versuchte noch mit geschlossenen Augenlidern sein Kompliment richtigzustellen, das ein weiteres Mal unangemessen klang. „Man merkt, dass ihr im Kloster die Redekunst gut estudiar habt.“

      „Das stimmt“, antwortete sie erleichtert und zugleich enttäuscht.

      Wie von José gewünscht, erzählte sie weiter und berichtete von den ersten Jahren im Kloster, von den Gefühlen und vom Glauben, der von Herzen kam. José schwelgte sich in der offensichtlichen Güte und in dem kindlichen Ton, als sie berichtete, wie sie sich zum ersten Mal das Kopftuch aufsetzte.

      „Wir müssen jetzt gehen“, bemerkte Chiara und setzte ihrer Abgeschiedenheit ein Ende, die zu lange angehalten hatte. „Beim nächsten Unterricht berichtest du mir aus deinem Leben. Das ist ein fairer Kompromiss, meinst du nicht?“

      José stand auf, zog sich den Grashalm aus seinem Mund und warf ihn ins Wasser. Dann beobachtete er, wie ihn die kalte Strömung in Richtung Meer zog. Er drehte sich zu Chiara um und betrachtete sie mit seinem üblichen Lächeln, das seine Verehrung überspielte, die er für Chiara empfand.

      Er nahm eine rebellische Haarsträhne wahr, die ihr aus dem Kopftuch entwichen war, ein Detail, das ihr stets entging. Ohne zu zögern näherte José eine Hand Chiaras Gesicht und steckte die Strähne unter ihr Kopftuch, um sie vor der so feindseligen und betrügerischen Außenwelt zu schützen.

      Chiara spürte die Wärme seiner Hand, welche dieses Mal in der Nähe ihrer Schläfe war. Sie stand still, denn sie konnte nicht jedes Mal wegrennen.

      „ Ciertamente Chiara ...“, flüsterte José. „Nächste Vez werde ich von meinem Leben erzählen.“

      Dann stand er auf und ging fort, während er sie alleine und verwirrt zurückließ.

      José wusste, dass es nicht geschickt gewesen wäre, zusammen zurückzukehren. Denn ein falsches Auge hätte alles missverstanden und er wollte nicht das Ansehen von Chiara beflecken. Außerdem wusste er nicht, wenn er länger mit ihr zusammen geblieben wäre, ob er ihren verführerischen Lippen widerstanden hätte. Er entfernte sich somit beherrscht von einem leichten Gefühl des Unbehagens. Dieses Gefühl stand im klaren Widerspruch zur Ruhe, die er bis vor kurzem empfunden hatte.

      Am selben Abend ging er zur Äbtissin und fragte sie, den Unterricht aufnehmen zu dürfen.

      Obwohl Chiara ihm vergewisserte, dass sie ihn bald beginnen würden, hatte er Zweifel. Er begab sich somit zum Büro der Oberin und versprach ihr, dass er morgens früher aufstehen würde, damit er den Unterricht wieder aufnahm, denn er benötigte weiter Unterricht in der italienischen Sprache.

      Die Äbtissin war verblüfft über das starke Interesse an der Kultur; anders als die anderen Arbeiter, die im Kloster arbeiteten. Sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.

      „Ich sehe sie sehr interessiert, Herr Velasco“, kommentierte sie, ohne ihren Missmut zu verbergen.

      „ Quiero aprender el idioma, para in Italien integrieren“, antwortete er schnell, eventuell zu schnell.

      Die Äbtissin seufzte. Obwohl ihr eine innere Stimme redete ihr ins Gewissen, dass ihre Nachsicht Schaden anrichten würde, riet ihr eine andere Stimme, den Menschen zu vertrauen.

      ‚ Chiara wäre für die Klausur bereit, wenn sie wollte‘, dachte sie. ‚S ie trägt einen Glauben, den ihr niemand nehmen kann.‘

      Sie stimmte somit zu.

      „ Gracias Abadesa ...“, beendete José das Gespäch und wandte sich zur Tür.

      „Ist schon gut“, antwortete sie mit einem weiteren Seufzer des Unbehagens. José schloss die Tür und ließ sie in ihren Gedanken versunken zurück.

      

      

      * * *

      

      

      In dieser Nacht ging José nicht in die Bibliothek. Die Suche konnte einen Tag warten. Er bevorzugte es, im Bett zu bleiben, den Himmel im Fenster zu betrachten und diesen Frühjahrsnachmittag in Gedanken Revue passieren zu lassen.

      Wie gern hätte er ihr das Kopftuch von den Haaren entnommen, um sie endlich in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Er dachte an die süße Stimme, die einem Wiegenlied glich, während sie ihm aus ihrer Vergangenheit berichtete. Insbesondere dachte er an ein Detail, das Chiara in ihrem Bericht ausgelassen hatte: Warum hatte sie das Gelübde abgelegt? Zweifellos hatte sie den Zeitraum vor dieser harten Entscheidung übersprungen.

      Er schlief ein und träumte von Chiaras Mund, dem er sich genähert hatte, als er ihr die Haarsträhne unter das Kopftuch gesteckt hatte. Im Traum näherte er sich ihr nicht wie in der Realität sondern zog sie an sich, um sie zu küssen. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten.

      Als er aufwachte, wusste José am nächsten Morgen nicht mehr, was Traum und was Realität war. Dann aber erinnerte er sich und erkannte mit Bedauern die Realität: Es war ein Traum, Diablo, nur ein Traum.

      Nachdem er seinen Kopf unter den kalten Strahl des Wasserhahns gehalten und sich die Haare getrocknet hatte, schwor er sich ab jetzt Ordnung in seine Gedanken zurückkehren zu lassen. Er wollte Chiara nicht mehr als normale junge Frau betrachten.

      Aber José wusste nicht, dass menschliche Versprechen kurzlebig sind und sich sogar die gepriesene Gottheit zu fadenscheinigen Versprechen entpuppte.

      

      

      diez

      Während José von ketzerischen Küssen träumte, plagte Chiara in dieser Nacht die Schlaflosigkeit.

      Als sie sich ihr Nachthemd angezogen hatte, stellte sie sich vor dem Schlafengehen an ihren kleinen Spiegel. Das Spiegelbild zeigte Josés Hand, die ihr sanft die Schläfe berührte, als befürchtete er, dass sie jeden Moment zerbräche.

      Was geschah mit ihr? Sie schüttelte ihren Kopf, um diese dummen Gedanken zu vertreiben. Wie ein gewöhnliches Mädchen, das nicht an der Religion gebunden war, warf sie sich nonchalant auf das Bett und steckte ihr Gesicht in das Kissen.

      In dieser Nacht schlief sie sofort ein und hatte zum ersten Mal ihre Gebete vergessen, die sie stets vor dem Schlafengehen rezitierte. Dadurch fügte sie etwas Weiteres auf ihrer Liste an Ereignissen hinzu, die sie nie zuvor getan hatte. Erst am nächsten Morgen erkannte sie ihr Fehlverhalten und bemerkte, dass sie immer nachlässiger wurde. Sie nahm sich vor, wieder die alte Chiara zu werden, die ihren lieben Gott niemals vergisst.

      Als sich Chiara und José am späten Nachmittag zum Unterricht sahen, waren sie dieselben Personen wie immer: Er glaubte alles unter Kontrolle zu haben, einschließlich seiner Gefühle, während Chiara unfähig war zu sehen, dass ihr Wunsch ihm zu helfen, nichts mit Nächstenliebe zu tun hatte.

      Wie sie am Tag zuvor abgesprochen hatten, berichtete an diesem Nachmittag José aus seinem Leben.

      Er erzählte ihr von seiner Kindheit in Granada und von seinem Vater. Er beschrieb ihr Alhambra und wie idyllisch das Schloss war, welches über der Stadt thronte, so dass Chiara neugierig wurde.

      „Ich war noch nie im Ausland“, offenbarte Chiara niedergeschlagen.

      „ ¿Por qué?“, fragte er, aber Chiara konnte nicht antworten, sie ließ stattdessen ihren Blick im Ambiente und das Kloster wandern.

      Er verstand.

      „Es ist nicht einfach“, fuhr sie fort, bevor José ihr zu widersprechen versuchte.

      „ Pero, nichts ist unmöglich.“

      Chiara


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