Gesammelte Werke. Robert Musil
zugleich auch den beschämenden Kampf dieser Furcht mit dem Bedürfnis des Mannes ertragen, einem weiblichen Wesen unter allen Umständen zu imponieren, die Frau in ihm einzuschüchtern und zu besiegen. Statt dessen ging es ihm umgekehrt. Die weibliche Bestie schüchterte ihn als Bestie ein, und das wundervoll Weibliche, das jede ihrer Bewegungen ausatmete, mengte in die Vergeblichkeit jedes Widerstandes die freudige Ohnmacht der Hingabe. Er, Marquis d’Epatant, war in den Zustand und die Rolle eines Weibchens gebracht worden, und dies in der letzten Minute seines Lebens! Er sah keine Möglichkeit, diesem boshaften ihm angetanen Schimpf zu entrinnen, fiel in Ohnmacht und wußte zu seinem Glück länger nicht mehr, was mit ihm geschah.
Ich weiß nicht, ob die Jahreszahl stimmt, aber wenn es den Staat der Amazonen wirklich gegeben hat, so müssen äußerst ernst zu nehmende Damen darin gewohnt haben. Denn hätten sie etwa nur einen etwas gewalttätigen Frauenrechtsverein dargestellt, so würden sie es in der Geschichte höchstens zur Reputation der Abderiten oder Sancho Pansas gebracht haben und wären bis zum heutigen Tag ein Beispiel unweiblicher Komik geblieben. Statt dessen leben sie in heldenhaftem Andenken, und man darf daraus schließen, daß sie ihrerzeit in einer überaus beachtenswerten Weise gebrannt, gemordet und geraubt haben müssen. Mehr als ein indogermanischer Mann muß vor ihnen Angst gehabt haben, ehe sie es zu ihrem Ruf brachten. Mehr als ein Held wird vor ihnen davongelaufen sein. Mit einem Wort, sie müssen dereinst dem prähistorischen Mannesstolz nicht wenig zugesetzt haben, bis er schließlich zur Entschuldigung von soviel Feigheit sagenhafte Geschöpfe aus ihnen machte, einem Gesetz folgend, wonach auch ein Sommerfrischler, der vor einer Kuh flüchtet, immer behaupten wird, daß es zumindest ein Ochse gewesen sei.
Wie aber, wenn es diesen Amazonenstaat niemals gegeben hat? Und das ist doch das Wahrscheinlichste, weil man sich ja kaum denken kann, daß es darin Divisions-und Regimentsstörche gab, welche den bewaffneten Jungfrauen die Rekruten brachten. Wovor haben sich dann die antiken Helden gefürchtet? War das Ganze nur ein wunderlich Gewalt antuender Traum? Es fällt einem dabei unwillkürlich ein, daß sie auch sonst Göttinnen verehrten, von denen sie im Rausch der Anbetung zerrissen wurden, und die Sphinx besuchten die kundigen Thebaner wie der Fliegerich die Spinne. Man muß sich schandenhalber wohl ein wenig darüber wundern, was für Träume diese Urväter unserer Gymnasialbildung kannten! Vorbildliche Sportsleute, die sich im allgemeinen nicht viel aus Frauen machten, träumten sie von Frauen, vor denen sie sich fürchten konnten. Sollte am Ende der Baron Sacher-Masoch eine so lange Ahnenreihe gehabt haben? Es ist nicht denkbar. Denn wir können uns wohl vorstellen, daß die Menschheit moralisch aus tiefen Abgründen kommt, weil sie bekanntlich mit jedem Tag höher steigt und dazu Platz braucht, aber daß an den Grundlagen des humanistischen Unterrichts etwas derart in Unordnung sein sollte, vermögen wir nicht zu glauben. Man hat nicht selten gefunden, daß etwas, das heute als Wahnsinn erscheint, ein Atavismus ist, ein Rückfall auf eine Vorstufe, die zu ihrer gesunden Zeit etwas ganz anderes bedeutete.
Dunkel sind die Anfänge der Zivilisation.
Was haben zwei Jahrhunderte des Humanismus aus dieser Geschichte gemacht?
Ein Mann besiegt in offener Feldschlacht das Amazonenheer, und die Amazone verliebt sich in ihren Bezwinger. So ist es in Ordnung! Die Widerspenstige wird gezähmt, sie wirft Schild und Speer weg, und die Männer kichern geschmeichelt in der Runde. Das ist von der alten Sage übrig geblieben. Das Zeitalter des gebildeten Bürgers bewahrte von der wilden, jungen Raubfrau, welche danach brennt, ihre Pfeilspitze hinter Mannesrippen zu landen, bloß das moralische Beispiel, wie sich unnatürliche Triebe wieder in natürliche verkehren, und außerdem höchstens kümmerliche Reste in den Theatern, Kinos und Erzählungen sechzehnjähriger Lebemänner, wo das dämonische Weib, die Salonschlange oder der sinnliche Vampyr von fern an ihre männermordenden Vorgängerinnen erinnern.
Aber die Zeiten sind in ewigem Fluß. Es soll nicht von weiblichen Bureauvorstehern gesprochen werden, um die sich der männliche Untergebne rankt wie der bescheidene Efeu um die starke Eiche, denn es gibt Geschichten, die dem Mittelpunkt der männlichen Eitelkeit näher liegen. Da wohnte zum Beispiel der berühmte Chemiker Kratochwil vor einiger Zeit einer Versammlung bei, wo die Opposition unter weiblicher Führung stand. Es war nicht gerade eine politische Versammlung, aber immerhin eine von jenen, wo der neue geistige Weltzug seinen Zusammenstoß mit dem alten hat. Kratochwil, als verdienstreicher Mann, saß bequem in den Polstern des alten. Er war nicht im geringsten gelaunt, sich für Weltanschauungen zu ereifern, und begrüßte das Auftreten der Damen zunächst nur als eine Abwechslung. Während sie oben redeten, sah er unten ihre Füße in den Halbschuhen an. Aber dann fesselte ihn eine Einzelheit: er hörte sie sagen, die Herren von der Mehrheit seien Esel. Sie sagten es in einer reizenden Weise; nicht gerade mit diesem Wort, wohl aber ungefähr mit diesem Grad von Achtung. Wenn die eine sich niedersetzte, stand ausgeruht die andere auf und wiederholte es. Auf ihrer Stirn bildeten sich vor Ärger und Anstrengung kleine lotrechte Falten; ihre Handbewegungen waren pädagogisch, wie wenn man Kindern auseinandersetzen muß, wie denkfaul sie seien; und die Sätze wurden sorgfältig vom Mund gegliedert, wie von einem geschulten Koch, der Fasanen zerlegt.
Der berühmte Chemiker Kratochwil lächelte; er war kein Esel, er stand über der Situation, er durfte sich ihrem Reiz vorurteilslos hingeben; bei der Abstimmung würde sich ja schon zeigen, was er für richtig halte. Aber er warf zufällig einen Blick auf die anderen Herren von der Mehrheit. Sie saßen bocksteif wie die Weibchen, denen ein Mann den überwältigenden Zauber der Logik beibringen will, wogegen sie keine andere Waffe haben, als nach jedem neuen Schluß zu erwidern: Ich will aber nicht! Da fühlte Kratochwil, daß es ihm eigentlich gar nicht anders erging. Er betrachtete tändelnden Sinns Beine und Fingerspitzen, Mundfalten oder Bewegung des Leibes, währenddessen er hören mußte, daß sein Wille eingeschlafen und seine Intelligenz die eines dicken Bürgers sei, der sich nicht gern bewege. Nun geschah das, was allerdings nicht immer geschieht, Kratochwil fühlte sich halb überzeugt. Wenn er an seinen chemischen Ruhm dachte, so kam er sich vor wie eine brave Hausfrau, die daheim mit Fläschchen und Töpfchen am Herd hantiert, während diese Damen auf schäumendem Roß durch die Welt sprengten. Mit einer käthchenhaften Begeisterung folgten seine Gedanken den wilden Taten ihres Geistes. Gewiß, er konnte eine Menge besonderer Dinge herstellen, aber was nützte ihm das in solchen allgemeinen Fragen, deren Unsicherheit einen – beinahe hätte er gesagt, einen ganzen Mann brauchte?! Schon fand er, daß strenge Einwände des Verstandes nur ängstlich seien.
Was ihn im Gleichgewicht hielt, war, daß auf der Gegenseite auch Männer aufstanden, die zusammenhangloses Zeug redeten. Dann richteten sich seine Stacheln wieder auf. Die Versammlung wurde stellenweise bewegt, und keiner ließ den anderen ausreden. In diesem wirren Männergeschrei schwiegen die Rednerinnen lächelnd, und es schien, daß sie ein Zeichen gaben. Dann erhob sich jedesmal ein fett-kräftiger junger Mann mit großem Gesicht und dichtem Haar und entfaltete ein wahres Phänomen von Stimme, deren Zwischenrufe wenig Vernunft hatten, aber mit einem Satz zwanzig feindliche Stimmen über den Haufen fegten, so daß man die Rednerinnen wieder hörte. – Ah, ein Mann! – dachte Kratochwil anfangs geschmeichelt. Aber wie er sich das in der Stimmung, in der er sich nun einmal befand, näher überlegte, fand er, daß eine starke Stimme doch auch nur etwas Sinnliches sei, wie in seiner Jugendzeit ein langer Zopf oder ein üppiger Busen. Kratochwil fühlte sich von diesen Gedanken, die auf einem ihm ganz ungewohnten Gebiet lagen, müde. Er hatte nicht übel Lust, seine Partei im Stich zu lassen und sich aus der Versammlung zu schleichen. Dunkle Gymnasialerinnerungen bewegten ihn: die Amazonen? – Verkehrte Welt! – dachte er. Aber dann dachte er auch: Ganz eigentümlich ist es, sich einmal eine verkehrte Welt vorzustellen. Es bereitet eine gewisse Abwechselung. Er richtete sich an diesen Gedanken auf; eine gewisse Kühnheit lag in ihnen, eine freimütige männliche Neugierde. – Wie dunkel ist die Zukunft der Zivilisation! – dachte er. – Ich bin ein Mann, aber das wird bald etwas sehr Weibliches bedeuten. Und als die Abstimmung kam, stimmte er trotzdem für die Reaktion.
Die Opposition unterlag; die Versammlung war zu Ende. Mit bewegtem Gewissen suchte Kratochwil den Blick seiner konsequenten Gegnerinnen. Aber diese legten eben frischen Puder auf und hatten ihre kleinen silbernen Spiegel hervorgezogen. Mit der gleichen Sachlichkeit, wie sie vorhin mörderische Worte gesprochen hatten, taten sie es. Bloß niedliche Männerköpfe machen sich unnütze Gedanken.
Einige Schwierigkeiten