Veza Canetti zwischen Leben und Werk. Vreni Amsler

Veza Canetti zwischen Leben und Werk - Vreni Amsler


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Wienerinnen, Alma Mahler beziehungsweise Veza Taubner, ein. Beide Ehen werden erst nach ungefähr zehn Jahren Liebesbeziehung geschlossen – 1929 respektive1934. Beiden Ehen wird nachgesagt, dass sie nach der Heirat erkaltet seien. Beide Frauen setzen sich sehr für das dichterische Werk ihrer Männer ein und pflegen intensive Beziehungen zu kulturellen Kreisen nicht nur in Wien, sondern später auch im Exil. Beide Ehepaare verlassen die langjährigen Wohnungen in der Innenstadt und ziehen in die vorstädtische Hügellandschaft: Werfel-Mahlers 1931460 auf die Hohe Warte, Steinfeldgasse 2 in Döbling (Villa Ast, erbaut von Josef Hoffmann 1911), und die Canetti-Taubners 1935 an die Himmelstrasse 30 in Grinzing. Beide Ehepaare werden durch den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland 1938 gezwungen ins Exil zu gehen, das Ehepaar Mahler-Werfel landet in New York und das Ehepaar Canetti-Taubner in London.

      Im Gegensatz zu Elias Canetti hat sich Franz Werfel bereits in der Zwischenkriegszeit zum Bestseller-Autor entwickelt, er stirbt 1945 mit nur 55 Jahren an einem Herzinfarkt. Elias Canetti hingegen feiert seine grossen Erfolge verzögert durch den Zweiten Weltkrieg erst ab den 70er Jahren und stirbt 1994 hochbetagt im Alter von 89 Jahren. Alma Mahler überlebt nicht nur ihren Mann um fast 20 Jahre, sondern obendrein die um 18 Jahre jüngere Veza Canetti um anderthalb Jahre. Ob sich Franz Werfel für die künstlerische Seite von Alma Mahler, das Komponieren, eingesetzt hat, musiziert hat man auf jeden Fall zusammen, ist unbekannt. Bekannt ist hingegen, dass Alma Mahler sich mindestens in der Anfangsphase ihrer Beziehung beratend mit der Dichtkunst ihres Mannes auseinandergesetzt haben muss. Die gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit zwischen Veza und Elias Canetti ist ein sehr weites Feld und harrt einer detaillierten Untersuchung.

      Trotz diesen doch erstaunlich vielen Parallelen zwischen den beiden Ehepaaren ist eine nähere Bekanntschaft, ja Freundschaft zwischen den beiden Frauen nicht zu belegen, es scheint sogar so, dass Veza Taubner vor allem Franz Werfel gut gekannt haben muss. Politisch stand sie diesem bestimmt näher als den Ideen Alma Mahlers, die trotz des jüdischen Ehemannes nicht nur am Judenhass festhielt, sondern auch am austrofaschistischen Ständestaat. „Im Salon Alma Mahler-Werfels scheuen sich Ödön von Horvath, Franz Theodor Csokor, und Carl Zuckmayer nicht, mit den Regierungsmitgliedern des Ständestaates und den fragwürdigen Kulturpolitikern der ‚Vaterländischen Front‘ zusammenzutreffen.“461

      Gut dokumentiert durch die Publizierten Lebenserinnerungen von Elias Canetti ist Veza Taubners Besuch der Vorlesungen von Karl Kraus für das Jahr 1924, sie muss aber schon längere Zeit zu den Zuhörern gehört haben. Genaueres ist dazu leider nicht bekannt. „Sie war wie ich von Karl Kraus gefangen, wir gingen zusammen in seine Vorlesungen, und las, im Gegensatz zu mir, der ich sehr fanatisch war, ruhig ihren Heine weiter. Sie war überhaupt nicht zu beeinflussen.“462 Elias Canetti scheint hingegen weit ins Exil hinein der Welt Karl Kraus’ verhaftet geblieben zu sein, wie verschiedene unpublizierte Aufzeichnungen offenbaren. Gut zu belegen sind im literarischen Werk von Veza Canetti hingegen intertextuelle Bezüge zu Karl Kraus’ Werk, beispielsweise die Themen das Kreuzsymbol oder die Musik als Diskussionsform unter anderen.

      Dagmar Lorenz schreibt: „Veza Canetti was closely associated with Kraus and his circles.“463 Da fast alle Wiener Dichter, Künstler, Journalisten in irgendeiner Phase ihres Lebens oder regelmässig Karl Kraus’ Fackel gelesen haben oder seine Vorlesungen besuchten, ist akkurat dies, eine intensivere Freundschaft mit Karl Kraus, vorerst mit keiner konkreten Quelle zu belegen. Alle Indizien weisen eher darauf hin, dass Veza Taubner nicht zum engeren Freundeskreis um Karl Kraus gehört haben muss, ganz auszuschliessen ist dies indessen nicht. Bestimmt haben jedoch die Vorlesungen Karl Kraus’ für Veza Canetti – wie für sämtliche Intellektuellen Wiens – als Katalysator zum Kennenlernen von neuen interessanten Leuten aus den Bereichen Kultur und Politik gewirkt. Bei Elias Canetti werden allerdings nur Hans Asriel und Hermann Broch explizit erwähnt.

      „Die Wildheit in Vezas Geschichten, das was sie heute so erstaunlich macht, kommt natürlich von Karl Kraus. Dasselbe, wenn auch auf etwas andere Weise, geschah mit mir. Soweit wir als Schreibende verwandt erscheinen, ist das durch den gemeinsamen Ursprung zu erklären. In einer Vorlesung von Karl Kraus haben wir uns kennen gelernt und sind sehr lange darin geblieben.“464 Wie bereits in Veza Canetti im Kontext des Austromarxismus erläutert, kann der Einfluss Karl Kraus’ auf die literarischen Darstellungsmethoden von Veza Canetti auf komplett verschiedenen Ebenen und in divergenten Perspektiven gezeigt werden. Beispielsweise gehen Veza Canettis viel angewandtes „Ausreden lassen“ oder die „fremde Wortmanier als Perspektive und Position“ auf Karl Kraus zurück und damit indirekt sogar auf Johann Nestroy.465 Weiter sind „Polyphonie“, „Montagetechnik“ und „Totalität“466 sowie Methodik der „Absolut-Satire“ im Spannungsbereich der „Zitatenmontage“467 bei Veza Canetti im Zusammenhang mit dem Werk von Karl Kraus zu sehen. Die Autorin hat sich ausserdem mit aus heutiger Perspektive ziemlich speziellen Ideen von Karl Kraus auseinandergesetzt, beispielsweise der „Operette oder die finale Struktur von Kunst“, wie das anhand des Theaterstückes Der Tiger nachgewiesen werden kann.468 Veza Canetti lässt im Theaterstück Der Palankin nicht nur Pasta, die Sängerin und Saloniere, die Operettenmethodik des Diskurses wie von Karl Kraus als Theorie eingebracht anwenden, sondern lässt in der Tat kurz vor dem Höhepunkt dieses Geschehens den Bildhauer Holle ein Originalzitat von Karl Kraus in die Diskussion unter den Künstlern einwerfen: „Wart Frieda Schanz, nennst noch einmal statt B ö c k lin Böck l i n du mich, dann nehm ich ein Stöcklin und heb dir auf dein Dichterunterröcklin …“ Der angefangene Satz wird daraufhin vom Dichter Tell mit den Worten beendet: „Ich heisse nicht Böck l i n, ich heisse B ö c klin.“ (DF 118)469

      Dieser eher satirischen Auseinandersetzung mit Karl Kraus stehen aber auch ernstere Themen gegenüber, wenn Veza Canetti zum Beispiel im Drama Der Oger oder dem gleichnamigen Kapitel im Roman Die gelbe Strasse elementare Auseinandersetzungsstrategien aus dem mit viel Aufwand in der Fackel besprochenen Ehebruchprozess P aufnimmt.470 Zudem kann gezeigt werden, dass Veza Canetti die Fotografie mit dem gekreuzigten Jesus, dem das Kreuz von einer Granate weggesprengt worden war, die Karl Kraus gleich mehrfach abgebildet und besprochen hatte, als Ausgangspunkt für eine neu zu denkende Ethik und einen damit einhergehenden Menschenrechtsdiskurs verwendet hat.471 In der intertextuellen Aufnahme dieser etwas speziellen Kreuzmetaphorik Karl Kraus’ zieht Veza Canetti mit Hermann Broch gleich.

      Ein weites Feld für Spekulationen ergibt die Tatsache, dass Veza Canetti zu Lebzeiten nur Texte unter Pseudonym veröffentlicht hat. Einerseits kann damit argumentiert werden, dass viele Autoren und Autorinnen der Zwischenkriegszeit unter Pseudonym publiziert haben, gerade auch Frauen. Andererseits eröffnet sich genau an diesem Punkt ein zweites, gesellschaftspolitisch gesehen noch weiteres Feld für Spekulationen. Im Falle von Veza Canetti sind bis heute keine Briefschaften, Manuskripte, Notizen und weiteres, mit Ausnahme von Ausweis und Zeugnis, bekannt, die den Namen Veza oder Venetiana Taubner tragen. Ob das bei Veza Canetti-Taubner etwas mit dem Gefühl, der Gefangene der eigenen Identität zu sein, zu tun hat, wie es Dieter Thomä dem Philosophen Michel Foucault zuschreibt, ist gut möglich. „Wenn Foucault sich der Neugier seiner Gesprächspartner widersetzt, so tut er dies nicht, weil ihm jene Präsenz prinzipiell fremd wäre, sondern deshalb, wie er mit der Art der Präsenz, die ihm zugemutet wird, nicht einverstanden ist. Daher rührt auch seine Zurückweisung eines ‚Ich‘, das sich gewissermassen in dieser Präsenz festsetzt und sie auf Dauer stellt. In wunderbarer Zuspitzung tritt diese Abwehr des Gefühls, ‚der Gefangene (…) der eigenen Identität‘ zu sein, in einem Ausspruch aus dem Jahr 1975 heraus: ‚Ich bin mit meinem Leben glücklich, nicht so sehr mit mir selbst.‘“472

      Bereits vor der Heirat mit Elias Canetti hat Veza Taubner sich in einem Brief an Hermann Kesten als Veza Magd-Canetti bezeichnet und ihre Adresse in der Ferdinandstrasse 29 auch mit diesem Namen angegeben. Nach der Heirat und im Exil hingegen wird sie durchwegs ihren offiziellen Namen Veza oder Venetiana Canetti verwenden und erst 1951473 damit beginnen, als Absender/Briefkopf Veza J. Canetti zu notieren. Das J. zwischen Vor- und Nachnamen wurde von


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