Birdie. Tracey Lindberg

Birdie - Tracey Lindberg


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an.

      Auntie Val versucht sich ihre offensichtliche Neugier nicht anmerken zu lassen. Freda konnte widersprüchlich sein, die Sorte Mensch, die Bannockbrot auf ihrem Teller liegen lässt, obwohl sie genau weiß, dass man es gern essen würde, es einem jedoch nicht anbietet, bis man schon vorhat, es aufzugeben. Eine Art Cree-typische passive Aggressivität, die Bernice nur zu gut kennt. Val, die das Manöver durchschaute, heuchelte Desinteresse. »Und …?«, drängte sie widerwillig.

      »Als er aus St. Albert zurückkommt, um mit Flora den Winter zu verbringen, wohnt doch glatt dieser fette weiße Kerl bei ihr!«

      Auntie Val war begeistert. »Flora? Die ist doch noch nie fremdgegangen!«

      Skinny Freda überschlug sich fast vor Eifer. »Und sie leben zusammen im Reservat.«

      »Nein!«, riefen Valene und Bernice fast gleichzeitig.

      »Und …«

      »Sag’s nicht, sag’s nicht! Sie …« Valene gestikulierte in ihrer unnachahmlichen Dickgeschmeidigkeit wild herum und zog dadurch die Blicke der Leute am Strand auf sich.

      »… hat sich von ihm schwängern lassen!«, vollendete Skinny Freda triumphierend, nahm Vals Zigarette und schnipste eine Fingerlänge Asche in den Sand, während sie das gluckernde Lachen genoss, dass aus Vals beträchtlichem Bauch emporstieg.

      »Echt?«, fragte Bernice.

      »Ja. Sie hat ihn bei diesem Wohltätigkeitsding in Loon kennengelernt, ihr wisst schon, was diese Umweltschützer veranstaltet haben. Wegen Pimatisewin«, fügte Skinny Freda hinzu, als ob weitere Einzelheiten es glaubwürdiger machen würden.

      Zufrieden saßen sie eine Weile ganz still da und dachten über die Vergänglichkeit der Liebe nach. Irgendwann fingen Auntie Val und Skinny Freda an, andere Geschichten über romantische Abenteuer auszutauschen. Falls sie Bernice’ Schweigen überhaupt bemerkten, beachteten sie es nicht weiter und ließen sie in Ruhe.

      Sie dachte an Pimatisewin und dieses Wohltätigkeitsding und fragte sich, ob der alte Baum wohl überleben würde. Es hieß, es gäbe vier davon, zwei in Nordamerika und zwei in Südamerika. Der am Loon Lake war in einem erbärmlichen Zustand. Sie hatte gehört, der in B. C. wäre auch kurz davor, abzusterben, wegen der Luftverschmutzung, wurde gemunkelt. Die Reservatsverwaltung und die gesamte Gemeinschaft hatten sich zusammengetan, um ihn zu retten. Sie hoffte, dass das Geld von der Wohltätigkeitsveranstaltung dabei helfen würde.

      Sie nahm sich eine Cola, öffnete sie und reichte sie an ihre Tante weiter. Als Valene genug hatte, bot sie die Flasche Skinny Freda an, die den Kopf schüttelte und sie Bernice zurückgab. Gerade wollte sie ablehnen, als ein Flachskopf aus einer Horde Jugendlicher ihr zurief: »He, meinst du, das brauchst du wirklich?«

      Skinny Freda war von der Decke aufgesprungen und auf die Gruppe zumarschiert.

      »Fick dich!«, schrie Skinny Freda ihn an, was ihre Begleiterinnen ebenso überraschte wie die Jugendlichen, die noch jung genug waren, um sich von der Autorität oder Unvorhersehbarkeit Erwachsener beeindrucken zu lassen.

      »Eine richtige Lady«, sagte Bernice beeindruckt.

      »Wer sich keinen Respekt verschafft, der wird auch nicht respektiert«, ließ Auntie Val verlauten, als hätte sie selbst eingegriffen. Sie war stolz auf das Temperament ihrer Tochternichte.

      Die drei packten ihr Hab und Gut zusammen, machten sich auf den Weg zu Skinny Fredas Pickup und ließen die verdatterten Jungs mit ihrem Gehabe in den Trümmern ihrer Großmäuligkeit zurück.

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      Irgendetwas ist mit diesem Sommer, irgendetwas sitzt in ihr fest, und sie kann es nicht richtig fassen. Eine Andeutung oder ein ganz leises Flüstern hat sich in ihren Kopf geschlichen, während sie in ihrer eigenen Unruhe in der Matratze versinkt. Das Gefühl, das sie in ihrem stillen Zimmer begleitet, ist beinahe Verlangen. Fast so etwas wie Sehnsucht. Sie wird sich ihres körperlichen Selbst bewusst, weil die Emotionen schmerzen.

      Sie nimmt wahr, dass Freda immer wieder heraufkommt und heute von Mal zu Mal mehr redet, aber ihr ist nicht nach zuhören zumute. Vielleicht, dachte sie, lag das am Frugal Gourmet. Morgens hatte er »Pinienkerngebäck« gemacht. Zuletzt hatte sie bei der Totenwache ihres Onkels Gebäck gegessen. Bei Lola gab es zwar jede Menge davon, aber Bernice konnte nichts davon essen, seitdem sie nach Gibsons gekommen war. Seit der Totenwache, genauer gesagt. Essen kann einen zurückversetzen, denkt sie.

      Essen ist für sie jedoch kein Problem mehr. In ihrem Wachschlaf-Zustand hat sie überhaupt kein Bedürfnis danach. Sie giert nach Alleinsein, wie ein trockener Alkoholiker nach einem Drink. Sie hat Appetit auf die Wandlung – bis der nicht gestillt ist, da ist sie ziemlich sicher, braucht sie kein Essen mehr. Auch wenn sie immer noch nicht wieder isst, fällt ihr das Schlafen leichter.

       acimowin 5

      Hier kommt eine gute Geschichte; die bringt die Mädchen zum Lachen.

       Es war einmal ein Staubkorn, das war immer

      allen Leuten im Weg.

       Dann, eines Tages, flog die kleine Staubflocke

      dem Falschen ins Auge.

      »Ayuh«, sagte er zu der Flocke.

       »Du nervst und nervst mich und jetzt schicke ich dich fort!«

       Und mit einem Handstreich verwandelte er

      die Staubflocke in eine Eule.

       Tags drauf ist sie wieder da, die Eule, und

       Sie fliegt ihm voll ins Gesicht

      Und hackt sein Auge aus.

       Und deshalb fallen die Mädels immer

      Den Jungs ins Auge.

      3Eine kleine Eule

      4Weiße Männer, weiße Menschen

      5Geschichte

      3

      BERNICE REIST MIT LEICHTEM GEPÄCK

      awasispihk: davor. die Zeit davor

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       pawatamowin

      Als Bernice auftaucht, wirkt die Luft im Raum verändert, der Geruch aus dem Café im Erdgeschoss ist beinahe bedrückend süß. Da Lola heute noch nicht da gewesen ist, nimmt sie an, dass ihre Chefin ein Dessert des Tages plant und sich ganz auf die Zubereitung konzentrieren muss. Es ist nicht so, dass Lola eine schlechte Köchin wäre – sie ist eine tolle Köchin –, aber Backen ist nicht gerade ihre Stärke. Sie hat sich dabei auf Bernice’ gutes Gespür verlassen. Bernice fragt sich etwas gereizt, wie es um das Gebäck


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