Tessiner Verwicklungen. Sandra Hughes

Tessiner Verwicklungen - Sandra Hughes


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gefügt wie die meisten traditionellen Bauten hier, ein Kunstwerk, unverputzt. Zur Via Ercole Doninelli hin lag die schmale Seite mit einem großen Tor. Darüber ein Schild mit dem Schriftzug »Savellifamiglia di pastai«, schwarz auf gelb, als wäre damit alles gesagt. Vor dem Tor saß ein Mann mit muskulösen Oberarmen auf einer Kiste und starrte auf sein Handy.

      »Hier ist ja gar nichts los«, sagte Karin, als sie an ihm vorbei waren.

      »Ich hab’s dir doch gesagt. Alle werden abgezogen sein, der Commissario und seine Leute, die Gerüchtekocher ebenfalls. Bloß ein Polizist in Zivil wird vor der Firma rumhängen und sich langweilen.«

      Sie gingen noch ein Stück weiter und wandten sich dann um. Die Seitenfassade der fabbrica stand frei am Dorfende, von ein paar Metern Vorplatz begleitet. Daran schlossen sich Rebhänge an.

      »Und jetzt?«, fragte Karin. Sie schien noch immer enttäuscht.

      »Wer in Meride weiß am meisten über die Familie Savelli?«

      Karin schüttelte den Kopf. »Das weiß ich doch nicht. Ich kenne hier niemanden.«

      »Doch«, sagte Emma. »Diese Valeria, die dich angerufen hat. Hol sie her. Bottega Bar l’Incontro. Ich lade ein.«

      Valeria arbeitete im Museum, das bis 17 Uhr geöffnet hatte. Danach musste sie Kasse machen, die Technik in allen Stockwerken herunterfahren, die Alarmanlage einschalten.

      »Vor 17:30 Uhr geht bei mir gar nichts, cara.« Valeria redete so laut, als Karin sie anrief, dass Emma alles mitbekam.

      »Aber komm einfach her, wenn du mich unbedingt sehen willst, und bring deine Freundin mit.«

      Emma deutete auf Rubio.

      »Wir haben noch einen Hund dabei«, sagte Karin.

      Emma hörte Valeria lachen. »Bis zu mir darf er. Zu den Sauriern hoch nicht.«

      Also gingen Emma und Karin und Rubio denselben Weg wieder zurück bis zum Museo dei fossili. Eine dunkle Nische in der Mauer war der Eingang. Ein laminierter Zettel wies darauf hin, dass man beim Verlassen des Museums von einem Auto überfahren werden konnte. Die Glastür glitt zur Seite, die drei drückten sich an einer Gruppe Kinder vorbei, die mit Zeichnungen in der Hand aufgeregt schnatternd im Foyer standen und ihre Begleiterin ignorierten, die sie zur Ruhe mahnte. Der Raum war unerwartet hoch. Die drei Stockwerke über ihnen reihten sich wie eine Galerie um ein Atrium. Dazu die Rekonstruktion eines Sauriers, über dem Eingangsbereich schwebend, der Kasse und Museumsshop zugleich war. Am Empfang Saurier überall, als Schlüsselanhänger, in Gummi gegossen, als Bleistiftaufsatz und Radiergummi, auf Foulards gemalt. Steine, naturbelassen oder zu Perlen geformt, Broschüren, Bücher und Postkarten vom Monte San Giorgio, dem Saurierberg, aus dem 240 Millionen Jahre alte Funde geborgen wurden. Zwei Besucher bezahlten eben ihre Eintrittskarten und durften wählen, in welcher Sprache sie das Faltblatt zur Ausstellung wünschten. Audioguides wollten sie keine.

      Die Frau hinter der Kasse war Valeria, Emma erkannte ihre Stimme wieder. Valeria war klein und mollig, wendig in den Bewegungen. Das runde Gesicht wirkte lieb, kontrastierte mit der rauen Stimme. Ihre braunen Haare waren streng nach hinten gekämmt und zu einem Knoten gebunden.

      Sie erklärte den Besuchern in abenteuerlichem Englisch, dass sie gekühltes Wasser aus dem Spender nehmen durften, wies auf die Toiletten rechts neben dem Eingang hin und empfahl, den Ausstellungsrundgang mit dem Film im ersten Stockwerk zu beginnen.

      »Ciao belle!«, rief sie und winkte Karin und Emma zu, als die Besucher die Treppe hoch verschwunden waren. »Un attimo!«

      Sie ging zur Gruppe hinüber und verabschiedete sie mit vielen guten Wünschen. Als alle draußen waren, wandte sich Valeria um und strahlte Karin und Emma an.

      »Benvenute. Jetzt bin ich für euch da.«

      Sie nahm wieder ihren Platz hinter der Kasse ein, reckte ihren kurzen Arm über die Theke, um zuerst Karin in den Arm zu kneifen und dann Emma die Hand zu geben.

      »Valeria Peverelli, freut mich. Peverelli vom verarmten Zweig der Familie. Nicht die mit dem Palast. Deshalb der Job in dieser Hölle hier.«

      Sie wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. Es war tatsächlich sehr heiß, auch Emma kitzelte der Schweiß im Nacken.

      »Der große Architekt«, sagte Valeria. »Hat die Lüftung vergessen. Mein Haus baut der jedenfalls nicht.« Sie lachte und ging zum Wasserspender. »Wir haben keine Luft hier, dafür Wasser.«

      Sie füllte drei Becher, stellte sie auf die Theke und bedeutete Emma, einen Rubio hinzustellen, was diese tat. Er dankte es ihr mit lautem Schlabbern und ließ sich dann auf den Boden fallen.

      »Und jetzt zu euch beiden Hübschen«, sagte Valeria.

      Sie schaute dabei Emma an, die sich kurz vorstellte. Valeria nickte.

      »Wusste ich’s doch. Ihr kommt wegen ihr.«

      Sie horchte kurz ihren Besuchern nach, deren Stimmen man in einem der oberen Stockwerke hören konnte, blickte dann zum Eingang. Von dort her kam niemand.

      »Stefanie hat hier Workshops gegeben«, flüsterte Valeria. »Für Schulklassen und Kinder in der Freizeit.«

      Sie wies zur Wand gegenüber, wo Hinweise auf Veranstaltungen hingen. Emma wollte etwas fragen, aber Valeria legte den Zeigefinger an die Lippen und beugte sich über die Theke.

      »Und ich weiß auch, an welchem Tag das Unglück begann. Willst du es hören?«

      Natürlich wollte Emma. Sie und Karin standen an der Theke und nippten an ihren Wasserbechern, während Rubio schlief und Valeria erzählte. Das Unglück begann am Tag der Trauung von Francesco Bernasconi und Alessia Savelli. Es regnete wie nie zuvor. Das Wasser sammelte sich in kleinen Bächen und floss in Strömen durch die Via Bernardo Peyer. Die Gemeinde drängte in die Kirche. Die Regenschirme versperrten den Eingang, die Frauen rutschten mit ihren durchweichten Schuhen. Es war ein Chaos. Als endlich alle saßen, trat Alessia in die Kirche, in einem wunderschönen Brautkleid. Aber da war kein Vater, der sie am Arm führte, auch keine Mutter. Alessia ging am Arm ihres Verlobten, dieses großen Mannes mit dem schönen Lächeln und dem glänzenden kastanienbraunen Haar. Als die beiden ihre Plätze vor dem Altar eingenommen hatten, verstummte die Orgel. Es war ganz still. Dann wurde die Tür aufgerissen und mit einem Knall zugeworfen. Alle wandten sich um. Antonio Savelli stand dort, der Brautvater. Die Gemeinde befürchtete, dass er schreien würde, was er schon Wochen zuvor durch die Gassen von Meride gebrüllt hatte:

      »Wenn du zu diesem Hurenbock gehst, bist du nicht mehr meine Tochter!«

      Der Hurenbock, der bereits eine Frau hatte, in Monza oder Milano unten, das wusste man, und wer weiß, wie viele andere Frauen noch.

      »Nie mehr betrittst du mein Haus!«, hatte Savelli geschrien.

      Alle hatten es gehört. Und nun war er trotzdem zur Hochzeit erschienen. Er ging zwischen den Bankreihen durch Richtung Altar. Alle starrten ihm nach. Jeder Schritt hallte wider. Endlos lange dauerte es, bis er ganz vorn angelangt war, dabei war die Kirche von Meride nicht wirklich groß. Er setzte sich aufrecht hin und starrte zum Altar, wo die Zeremonie nun begann und das Paar sich wenig später ewige Treue schwor.

      »Treue, ha!« Valeria unterbrach ihre Erzählung, um sich einen Becher Wasser zu holen.

      »Was ist falsch an Treue?«, fragte Emma.

      »Nichts ist falsch an Treue. Ich bin für Treue, ich wäre der treuste Mensch der Welt, cara. Bloß interessiert das niemanden.«

      Sie nahm wieder ihren Platz hinter der Kasse ein.

      »Aber dieser Francesco, der graste schon bald über den Gartenzaun. In der fabbrica spielt er immer schön den netten Schwiegersohn, aber im Verborgenen …«

      »Stefanie Schwendener?«, fragte Emma.

      Valeria beugte sich vor, sprach nun wieder leiser. Sie war lauter geworden im Eifer, die Geschehnisse im Detail zu beschreiben.

      »Du


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