Rising Skye (Bd. 2). Lina Frisch

Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch


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mich nach New York zu begleiten. Wo die Kristallisierer höchstwahrscheinlich nur darauf warten zu beenden, was in Angelas Wohnung begann. Nein, ich kann Skye nicht sagen, dass das Diktiergerät verbrannt ist. Ihr Leben ist ein zu hoher Preis für Ehrlichkeit.

      Ich greife in meine Tasche und hole Luces Kette heraus. »Es wäre so einfach gewesen«, murmele ich, doch bevor ich weitersprechen kann, reißt Yana mir das Lederband mit der geschliffenen Glasscherbe aus der Hand.

      »Wem gehört das?«

      »Luce«, erwidere ich, verwundert über die Schärfe in ihrer Stimme. »Skye hat die Kette seit Luces Festnahme getragen. Ich habe sie ihr nur abgenommen, damit Reka die Verbrennungen behandeln konnte, und wollte sie ihr eigentlich schon längst zurückgeben, aber –«

      Yana schnaubt. »Das lässt du besser bleiben. Außer, Skye ist scharf darauf, für eine Terroristin gehalten zu werden.« Sie wirft mir die Kette zu. »Hier, ich will das Zeichen der Sonne nicht.«

      Das Zeichen der Sonne? Ich betrachte die Scherbe, diesmal mit anderen Augen. »Du meinst –«, stammle ich.

      »Wenn diese Luce sie getragen hat, dann ist sie eine von Yaels Leuten. Und wir hätten einen verdammt großen Fehler damit begangen, sie zu befreien und ihr von ReNatura zu erzählen.«

      Ich denke an Luces strahlendes Lachen, ihre Selbstlosigkeit und die Art, mit der sie zu Skye stand, als niemand anders es tat. Wie sie den Gang durch das Labyrinth auf sich genommen hat, um Skye zu schützen. Das ist das Mädchen, das ich kennengelernt habe. Aber allem Anschein nach hat Luce Vaillant noch eine ganz andere Seite. Ich will mir nicht vorstellen, was unsere Informationen in der Hand der gefährlichen Untergrundorganisation angerichtet hätten.

      Yana schnalzt mit der Zunge. »Schon erstaunlich, was eine kleine Kette, ein winziges Detail, in Sekundenschnelle zerstören kann. Vertrauen, Freundschaften …« Sie sieht mich mit schief gelegtem Kopf an. »So ein Bruch ist hart, aber nötig.«

      »Ich weiß nicht, ob es klug wäre, Skye die Wahrheit über die Sonne zu sagen. Sie vertraut Luce. Im Zweifel vielleicht sogar mehr als mir.« Ich spüre, wie sich meine Brust zusammenzieht, als ich den Gedanken weiterführe. Wenn Skye herausfindet, dass das Diktiergerät verbrannt ist, bin ich in ihren Augen ein Lügner. Was läge da näher, als sich der gleichen Organisation anzuschließen wie ihre beste Freundin, die ihr noch nie Anlass gegeben hat, ihr zu misstrauen?

      »Zumindest vorerst sollte Skye nichts von der Sonne wissen«, sage ich und schiebe die Kette zurück in meine Tasche. »Es ist sicherer für sie.«

      »Oder bequemer für dich?«

      »Wir haben gerade wirklich einen Haufen anderer Probleme, Yana. Und Skye auch.«

      Kopfschüttelnd klappt Yana ihren Laptop auf. »Ich schlage vor, wir durchkämmen erst einmal das Internet«, sagt sie kurz angebunden. »Selbst wenn ReNatura absoluter Geheimhaltung untersteht – irgendeine Spur findet sich immer, und wenn es nur ein Name ist.«

      Sie beginnt zu tippen, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Schon erstaunlich, was ein winziges Detail in Sekundenschnelle zerstören kann. Wenn Yana wüsste, wie wahr ihre Worte sind … Wieder sehe ich Rekas Handgelenk vor mir. Wieder ist es ein kleines Schmuckstück, das mir das Vertrauen in jemanden raubt, den ich zu kennen geglaubt habe. Denn der Anhänger verrät mir, dass ich in Las Almas nicht der Einzige bin, der von Mums Tod weiß.

      »Hunter? Ich rede mit dir.«

      »Sorry.«

      Ich beuge mich vor, um pflichtschuldig die Ergebnisse von Yanas Recherche zu begutachten, doch sie klappt den Laptop zu. Forschend sieht sie mich an. »Was ist?«

      Ich lasse die Schultern sinken. »Nichts … Ich habe nur das Gefühl, niemand steht noch auf unserer Seite. Erst Amanda und Manuel, die einen Pakt mit den Kristallisierern geschlossen haben. Dann Luce, die zu einer Terrorgruppe gehört. Und –«

      Und Reka. Die beste Freundin meiner Mutter, die vor den anderen so tut, als sei Mum noch am Leben, obwohl sie die Wahrheit kennt. Ich habe wenigstens einen guten Grund für meine Lüge. Wie lautet ihrer?

      »Mit dir und mir ist unsere Seite stark genug«, sagt Yana entschieden, bevor ihre Gesichtszüge sanfter werden. »Und meine Großeltern würden dich niemals ausliefern, Hunter.«

      »Ach, glaubst du das?«

      »Ja, das glaube ich!« Yana klingt verletzt. »Sie waren immer für dich da. Sie heißen dich nach Jahren der Funkstille willkommen wie einen verlorenen Sohn. Sie machen keine Anstalten, Sol zu erreichen und ihr zu petzen, dass du mit einem Mädchen durchgebrannt bist, weil sie deinen Freiraum respektieren.« Yana kneift die Augen zusammen. »Das ist es, worüber du dir Sorgen machst, oder nicht? Dass sie rauskriegen könnten, dass der Brief damals von dir war und Sol …?«

      »Lass uns bitte einfach mit der Suche weitermachen.« Ich klappe den Laptop wieder auf. Wir werden weder im Internet noch im Darknet irgendetwas über ReNatura finden, aber der Versuch wird Yana hoffentlich für eine Weile beschäftigen, damit ich nachdenken kann.

      Doch sie beachtet mein schwaches Ablenkungsmanöver nicht. »Denkst du, meine Mutter wird versuchen, deine anzurufen? Jetzt, wo du hier aufgetaucht bist?«

      Ich fixiere eins der Löcher im Wellblechtor, durch das ein schmaler Lichtstrahl in die Garage fällt. Der Gedanke, der mir seit Stunden keine Ruhe lässt, kreist wieder und wieder in meinem Kopf. Im Juni vor vier Jahren ist Mum erschossen worden. Wenige Tage später ließ Reka ihren Job und ihre Freunde zurück und zog quasi über Nacht zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter zurück nach Las Almas. Ich habe den spontanen Umzug, den auch Yana mir damals nicht erklären konnte, für einen Zufall gehalten – bis ich den Anhänger an Rekas Armband entdeckte. Denselben Anhänger, den Mum bei ihrer Flucht getragen hat. Den ich zusammen mit ihrer Leiche zurückließ, als Beth mich panisch wegzerrte.

      »Nein«, beantworte ich Yanas Frage. »Ich glaube nicht, dass deine Mutter versuchen wird, meine anzurufen.«

      Denn Tote gehen nicht ans Telefon – das weiß auch Reka.

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      Was heißt das, nicht da?«

      Der freundliche Mann, der sich als Manuel vorgestellt hat, schiebt sich den Sonnenhut in den Nacken und kratzt sich die Stirn. »Als meine Frau ihn vor einer halben Stunde zum Frühstück holen wollte, war sein Bett leer. Wahrscheinlich steht der Junge gerade bei Reka vor der Tür und verpasst dich.« Yanas Großvater lächelt mir zu, wobei sich tausend Falten um seine Augen bilden. Er schiebt die Schubkarre beiseite, die vor der Veranda steht. »Möchtet ihr vielleicht hereinkommen? Amanda würde sich mit Sicherheit freuen, dich kennenzulernen!« Manuel wirft Ocean einen strengen Blick zu. »Und ihren Enkel zur Abwechslung mal wiederzusehen.«

      Ich schüttle den Kopf, bevor Ocean etwas erwidern kann. »Danke. Vielleicht ein anderes Mal.«

      »Ich weiß, wo Hunter sein könnte«, sagt Ocean zögerlich, als wir wieder auf die Main Road stoßen. »Aber es wird dir nicht gefallen.«

      Abseits der Hauptstraße werden die Häuserreihen schmaler, während die Strommasten ein Spinnennetz aus Kabeln über ihren Dächern bauen. Die Fenster der wenigen Häuser, an denen wir vorbeikommen, sind mit Pappkartons zugeklebt.

      »Wie weit ist es noch?«, frage ich ungeduldig.

      Ocean deutet die Straße hinab auf ein schmales Holzhaus, halb verdeckt von einer hohen Hecke. »Dort, neben dem Geisterhaus. Yana und Hunter haben einen Sommer lang die halbe Einrichtung in die Garage geschleppt.« Er zuckt mit den Schultern. »Manche Leute fühlen sich anscheinend wohl im Zwielicht.«

      Ich denke an Yana und den Kerl, mit dem sie in der Nebenstraße gestritten hat. Das kannst du laut sagen …

      Das »Geisterhaus« ist nicht das erste verlassene Gebäude, an dem wir vorbeikommen. Zwar


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