Rising Skye (Bd. 2). Lina Frisch

Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch


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mal, der Stoff?«, hakt Hunter nach. »Also war es doch eine Rauchvergiftung?«

      Reka schüttelt den Kopf. »Nein, obwohl Skyes Symptome darauf hingedeutet haben. Kohlenmonoxid verdrängt den Sauerstoff im Blut. Skye litt unter einem solchen Sauerstoffmangel, bloß war kein Kohlenmonoxid in ihrem Blut zu finden – und auch kein anderes Giftgas. Das hat ihren Fall so unerklärlich gemacht.« Reka fährt sich durch das kurze Haar, das ihren ohnehin harten Zügen eine zusätzliche Strenge verleiht. »Habt ihr schon einmal von einem Medikament namens Erythrozynol gehört?«

      »Nein«, antworte ich verwirrt.

      Auch Hunter schüttelt den Kopf. »Weshalb?«

      »Weil Erythrozynol die einzige Erklärung für deine Symptome ist, Skye. Als ich eine Ahnung davon bekam, wonach ich suchen muss, konnte ich Spuren dieses Stoffes in deinem Blut nachweisen. Merkwürdigerweise, denn er wurde schon vor Jahren als Gift klassifiziert und vom Markt genommen.«

      »Und was genau ist dieses Erythro…?« Hunter macht eine vage Geste mit der Hand.

      »Erythrozynol ist ein Medikament, das entwickelt wurde, um die Symptome von Blutarmut zu lindern«, erklärt Reka. »Eine Anämie, also der Mangel an roten Blutkörperchen, kann viele Ursachen haben – und die meisten davon sind äußerst einfach behandelbar. Aber es gibt eine spezielle Form, bei der das Immunsystem die bereits vorhandenen Blutkörperchen zerstört.«

      Hunter sieht genauso ratlos aus, wie ich mich fühle.

      »Es ist ganz einfach«, sagt Reka geduldig. »Rote Blutkörperchen, auch Erythrozyten genannt, sind dafür verantwortlich, den Sauerstoff von unserer Lunge zu den anderen Organen zu transportieren. Das schaffen sie durch das in ihnen enthaltene Hämoglobin, den roten Blutfarbstoff. Werden die roten Blutkörperchen aber zerstört, so löst sich der Sauerstoffträger Hämoglobin und schwimmt von da an frei im Blut herum.«

      »Also wird kein Sauerstoff mehr zu den Organen transportiert?«, frage ich.

      Reka nickt. »Genau so ist es. Ein großer Konzern namens Pharma-Con hat vor Jahren an einem Medikament geforscht, das dieses Problem beheben sollte: Erythrozynol. Es sollte das losgelöste Hämoglobin aufnehmen und zu den Organen transportieren. Ein Ersatz-Blutkörperchen, wenn man so will. Das Problem ist aber, dass Erythrozynol das Hämoglobin nicht bindet, sondern es absorbiert.«

      »Und was heißt das?«, fragt Hunter.

      »Die Symptome verstärkten sich, statt sich zu verbessern. Das Medikament zerstört die Sauerstoffträger, die es eigentlich zu den Organen transportieren sollte, und man hat das Gefühl, keine Luft zu bekommen, obwohl man atmet. Schlussendlich, wenn der rote Blutfarbstoff komplett verschwunden ist, stirbt der Patient an multiplem Organversagen.«

      Ich spüre wieder die Schwäche in meinem Körper. Das Ziehen und das grausame Gefühl, keine Luft zu bekommen, obwohl reiner Sauerstoff durch meine Nase gepumpt wird.

      »Und warum bin ich nicht gestorben?«, frage ich leise.

      »Die Konzentration in deinem Blut war gering«, sagt Reka. »Das Erythrozynol hat zwar genug rote Blutkörperchen angegriffen, um die Symptome einer schweren Anämie hervorzurufen, aber dein eigentlich gesunder Körper konnte schnell genug neue produzieren.«

      »Deshalb auch die Bluttransfusion«, schließe ich.

      Reka nickt.

      »Und wo sollte Skye mit diesem Teufelszeug in Kontakt gekommen sein?«

      »Da bin ich genauso neugierig wie du, Hunter«, erwidert Reka. Sie mustert uns, und mir wird klar, dass dies der Punkt des Gesprächs ist, auf den Reka die ganze Zeit hingearbeitet hat. »Pharma-Con wurde vor Jahren die Herstellungslizenz entzogen, Erythrozynol gibt es nicht mehr. Wie konntest du also damit in Berührung kommen?«

      »Ich weiß es nicht«, gebe ich zu.

      Hunter löst seine Hand aus meiner. »Der Schnitt!«, sagt er und deutet auf die helle Narbe, die sich quer über meinen Handballen zieht. »Du hast mir nie gesagt, wie das passiert ist.«

      »Ich bin mit deinem Taschenmesser abgerutscht«, erkläre ich und beiße mir gerade noch rechtzeitig auf die Zunge, bevor ich hinzufügen kann, dass ich damit die Falltür zu den Laboren des Zentrums aufgehebelt habe.

      »Nun gut, ob ihr die Gründe kennt oder nicht, ich muss den Vorfall melden. Das gehört zum Standardprotokoll für Vergiftungsfälle.« Bevor wir widersprechen können, hebt Reka die Hand. »Um Skyes Mutter müsst ihr euch keine Sorgen machen, die Patientendaten sind anonymisiert.« Reka steht auf. »Ihr solltet jetzt ins Bett gehen und ein paar Stunden Schlaf nachholen. Das ist es zumindest, was ich tun werde.« Sie streckt die Arme über den Kopf, wobei die Ärmel ihres Kittels verrutschen, und verlässt gähnend die Küche. Hunter starrt ihr hinterher, als hätte er einen Geist gesehen.

      »Was ist?«, flüstere ich.

      »Das kann nicht sein.« Hunters Stimme ist kaum hörbar.

      Ich nehme seine verkrampften Hände in meine. »Hunter, rede mit mir!«

      Doch er schüttelt den Kopf. Sein Gesichtsausdruck ist verhärtet. »Nicht hier. Und nicht jetzt. Es gibt Wichtigeres, über das wir nachdenken müssen.«

      »Dann lass uns das tun!« Ich streiche mit dem Daumen über seinen Handrücken. »Geh nicht zum Cottage. Bleib hier.«

      Hunter schüttelt den Kopf. »Ich bin zu müde, um zu reden. Bitte, Skye, es war eine lange Nacht.«

      Ich denke daran, dass er die letzten Stunden damit verbracht hat, zusammen mit Yana einen Plan zu schmieden, um Luce aus dem Krankenhaus zu holen. Bist du zu müde, um zu reden, oder nur zu müde, um mit mir zu reden?

      »Okay«, sage ich mit einem Kloß im Hals. »Bis morgen?«

      Hunter nickt. Als ich wenige Minuten später das Fenster meines Zimmers schließe, sehe ich, wie Hunter die Straße hinuntergeht. Seine Hände stecken tief in den Taschen seiner Jeans. Er schaut sich nicht nach mir um.

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      Ein lautes Rumpeln reißt mich aus dem Schlaf. Ich stehe auf und öffne meine Zimmertür, aber es ist nur Chief, der ein Paar Schuhe vom Regal geworfen hat und mich jetzt schuldbewusst ansieht.

      »Subtiler Hinweis«, gähne ich. »Kannst du nicht dein Frauchen bitten, mit dir spazieren zu gehen?« Doch ein Blick ins Wohnzimmer verrät mir, dass Yana nicht da ist. Ich ignoriere Chiefs Hundeblick und gehe ins Bad, wo ich mir kaltes Wasser über die Hände laufen lasse.

      Meine Nacht war kürzer als gedacht, es ist gerade einmal halb zehn. Ich ziehe den Schlafanzug aus und löse vorsichtig den Verband von meinen Verbrennungen. Die lilafarbenen Brandblasen sind kein schöner Anblick, aber wenigstens schmerzen sie nicht mehr so stark. Während ich mich vorsichtig wasche, wandern meine Gedanken zurück zu gestern Nacht. Wie kann dieses Gift, von dem Reka gesprochen hat, in meinen Körper gelangt sein, wenn es schon seit Jahren nicht mehr hergestellt wird? Ich wünschte, Hunter hätte mich mit dieser Frage nicht allein gelassen. Aber etwas hat ihn aus dem Konzept gebracht. Etwas, das nichts mit Luce oder mit dem Erythrozynol zu tun hatte … Vor meinem inneren Auge sehe ich wieder den Gesichtsausdruck, mit dem er Reka angestarrt hat. Als wäre ihm auf einmal etwas klar geworden. Wütend flechte ich meine Haare zu einem Zopf. Was auch immer es ist – wenn er mich weiter ausschließen will, muss er damit selbst zurechtkommen. Aber in seinen mysteriösen neuen Plan zur Enthüllung von ReNatura wird er mich einweihen. Gestern Nacht war ich zu müde und zu ausgelaugt, um darauf zu bestehen, aber heute werde ich eine Erklärung verlangen. Und ihn anschließend davon überzeugen, dass Abwarten keine Option ist. Wir müssen die Kristallisierer so bald wie möglich stürzen, das sind wir Luce schuldig.

      Zurück im Schlafzimmer ziehe ich die oberste Schublade von Yanas Kommode auf. Obwohl es ihr mit Sicherheit nicht gefallen wird, dass ich mich an ihren Sachen bediene, nehme ich eine Jeans heraus – schließlich


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