Rising Skye (Bd. 2). Lina Frisch

Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch


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Reifen drehen durch und Kies spritzt gegen Rekas hellblaue Hauswand.

      »Vielleicht sollte ich lieber mitfahren«, meint Ocean zweifelnd.

      »Und wie bekomme ich Luce dann ins Reservat?« Ich schüttle den Kopf und zucke zusammen, als die Vespa einen Satz nach vorn macht. »Die Main Road bis zur Highway-Auffahrt, richtig?«, vergewissere ich mich, als mein Herzschlag sich wieder beruhigt hat.

      »Und dann einfach geradeaus«, bestätigt Ocean.

      Ich will einen zweiten Fahrversuch starten, als mir einfällt, dass ich etwas vergessen habe. »Ihre Stationsdaten!«

      Ich drücke Ocean den Lenker in die Hand und stürme zurück in Rekas Arbeitszimmer. Im Krankenhaus nach einer Patientin zu fragen, die mit einem Regierungstransporter gebracht wurde, würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.

      »Was glaubst du, was du da machst?«, ertönt eine scharfe Stimme hinter mir.

      Yana steht in der Tür des Arbeitszimmers und stützt die Hände in die Hüften. Ocean folgt ihr auf dem Fuß.

      »Schon in Ordnung, Skye brauchte den Computer, weil –«

      Yana bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

      »Du schläfst in meinem Bett, bringst meine Mutter an den Rand des Burn-Outs und schnüffelst jetzt auch noch in ihren Sachen herum?«

      »Genau genommen in den Sachen des Krankenhauses«, sage ich, während ich mir Luces Station und ihre Zimmernummer mit einem Kugelschreiber auf die Hand kritzele. »Wenn das Mädchen, das heute Nacht eingeliefert wurde, nicht sofort aus Greenhill verschwindet, wird selbst deine Mutter sie beim nächsten Mal nicht mehr retten können.«

      »Das meinst du doch nicht ernst.« Yana deutet auf die verwackelten Buchstaben. »Dir ist klar, dass du nie wieder aus dem Krankenhaus zurückkommen wirst, oder? Das ist eine Himmelfahrtsmission!«

      Ich will gerade erwidern, dass sie mich noch vor ein paar Stunden dazu aufgefordert hat zu verschwinden, als ich hinter ihr eine Bewegung wahrnehme.

      »Skye?« Hunter schiebt Yana zur Seite und bleibt wie angewurzelt stehen, als er mich vor Rekas Computer sieht. Mit einem Mal bricht die Fassade zusammen, die ich so krampfhaft aufrechterhalten habe.

      »Hunter!« In zwei Schritten ist er bei mir und ich lasse mich von ihm auffangen. »Sie foltern Luce. Sie haben ihr irgendetwas gegeben, damit sie spricht, und jetzt soll Reka sie retten. Aber dann werden sie weitermachen. Sie werden weitermachen, Hunter, so lange, bis sie redet oder stirbt oder beides –« Meine Worte gehen in Schluchzern unter, die tief aus meiner Kehle kommen.

      »Ich weiß.« Hunter hält mich fest, einen Arm um meine Taille geschlungen, einen um meine Schultern. »Ich weiß«, wiederholt er. »Und wir werden Luce nicht noch einmal im Stich lassen.«

      Ich löse mich aus seinen Armen und sehe ihn an. »Ihr … ihr seid gekommen, um sie da rauszuholen?«

      »Allerdings«, sagt Yana. »Aber wir brauchen einen Plan. Und zwar einen besseren, als mit einer gestohlenen Vespa im Pyjama nach Greenhill aufzubrechen.«

      Hunter wirft Yana einen wütenden Blick zu, doch ich achte nicht auf sie. Mein Blick wird vom Bildschirm des Computers angezogen, auf dem sich die Zeile Patientenstatus leert. Ein neuer Eintrag ersetzt den alten.

      »Verlegt in Rehabilitationseinrichtung?« Oceans Stimme bestätigt mir, dass ich mich nicht verlesen habe. »Dann geht es ihr wohl besser!«

      »Aber so schnell?«, stammle ich. »Das kann doch nicht sein, sie müssen doch –« Meine Stimme bricht erneut. Sie müssen gar nichts tun, außer Luce am Leben halten.

      »Es dauert nicht lange, jemandem den Magen auszupumpen«, sagt Yana nüchtern.

      »Mittlerweile ist sie bestimmt schon unterwegs zu einer der Farmen.« Ocean greift nach der Maus, um die Maske zu schließen, als sei jetzt alles in bester Ordnung.

      »Verstehst du denn nicht?«, fahre ich ihn an. »Luce ist nicht drogenabhängig, genauso wenig wie Reilly depressiv ist!«

      Ich werde Luce finden. Ich habe es versprochen. Als ich ihre Kette an mich genommen habe, habe ich geschworen, sie zu ihr zurückzubringen. Die Kette! Ich taste nach der Glasscherbe an dem schwarzen Lederband, dem Zeichen der Sonne, das ich für Luce bewahre – doch die Kette ist fort. Genau wie Luce selbst.

      Hunter zieht mich wieder in seine Arme. Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter und kralle meine Finger in sein Hemd, während er mich mit leisen Worten zu beruhigen versucht. Aber die Stimme in meinem Kopf übertönt ihn. Zu spät. Wir sind zu spät.

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      Hunter stützt müde seine Ellbogen auf den Küchentisch. Ocean ist nach Hause gegangen und Yana hat sich kurz darauf erstaunlich feinfühlig ins Wohnzimmer zurückgezogen.

      »Wir müssen den Inhalt des Diktiergeräts jetzt hochladen«, sage ich leise. »Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir verhindern können, dass sie Luce und den anderen Untreuen noch mehr antun.«

      Die Muskeln in Hunters Oberarmen spannen sich an. »Es ist noch nicht so weit.«

      »Aber die Kristallisierer spielen auf Zeit!«, widerspreche ich. »Je länger wir mit der Enthüllung warten, desto mehr Möglichkeiten geben wir ihnen, sich darauf vorzubereiten.« Ich greife nach Hunters Hand, doch er zieht sie weg.

      »Ich habe gesagt, es geht nicht!« Er lehnt sich zurück. »Glaubst du wirklich, dass es reicht, eine Tonaufnahme ins Internet zu stellen, um die Kristallisierer aus dem Weißen Haus zu holen?«

      Wut kocht in mir hoch. Auf einmal fühle ich mich, als stünden wir wieder im zugigen Einstiegsraum des Transregion. Die kleine Expektantin und der allwissende Testleiter.

      »Ich brauche Zeit«, sagt Hunter in einem etwas versöhnlicheren Ton.

      Ich starre ihn an. Ich? »Zeit wofür? Worauf willst du noch warten?«, entfährt es mir lauter als gewollt. Ich zucke zusammen, als die Küchentür hinter mir aufgeht.

      »Wenn ihr weiter so schreit, weckt ihr Yana noch auf«, zischt Reka. Sie trägt ihren weißen Arztkittel noch und sieht abgekämpft aus. »Solltet ihr nicht beide im Bett sein?«

      »Skye konnte nicht schlafen«, murmelt Hunter.

      »Hast du Schmerzen?«, fragt Reka. Ich schüttle den Kopf. »Sehr gut.« Reka nickt mir zu, als sei das ein persönlicher Verdienst. »Aber wenn du sowieso wach bist, können wir auch genauso gut jetzt einen kleinen Check-up machen. Ich habe Schnelltests aus Greenhill mitgebracht, um deine Werte zu überprüfen.«

      Ich lasse mich von Reka in Yanas Zimmer führen. Bevor ich die Tür hinter mir schließe, drehe ich mich noch einmal zu Hunter um. Er schüttelt kaum merklich den Kopf. Meine nächste Anweisung. Frag Reka nicht nach Luce. Sie darf keine Verbindung zwischen euch ziehen.

      Ich bleibe still, während Reka meine Armbeuge desinfiziert. »Alles in Ordnung?«, fragt sie.

      »Ja.« Ich lächle sie an.

      Warum zögert Hunter auf einmal, ReNatura zu veröffentlichen, wie es doch von Anfang an geplant war? Er verheimlicht mir etwas, so viel ist sicher. Und nichts ist in Ordnung, bis ich herausgefunden habe, was es ist.

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      Wenig später sind wir zurück in der Küche. Wir setzen uns an den Tisch, an dem Hunter auf uns wartet.

      »Die gute Nachricht ist, dass der Sauerstoffgehalt deines Blutes wieder stabil im Normbereich liegt, Skye«, beginnt Reka. »Der Stoff, der deine roten Blutkörperchen angegriffen hat, ist mittlerweile aus deinem System.«

      Hunter atmet auf und drückt meine Hand, als hätte er für einen kurzen Moment vergessen, dass wir uns streiten. Wahrscheinlich sollte ich mich ebenfalls freuen, aber alles, woran ich denken


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