Die Wassernixe. mehrbuch

Die Wassernixe - mehrbuch


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Maßstab der Gesittung gilt, und die sich nicht recht freuen kann, wenn das Gelingen eines Plans nicht durch brillante Intrigue, sondern durch die einfache Maschinerie der Wahrheit und des geraden Verstandes bewirkt wird. Kein Wunder also, wenn der Trabant in die Absicht des Rathsherrn einging, und sich mit mehr als gewöhnlichem Behagen an die Ausführung seines Auftrags machte. Das Knarren des dürren Gezweigs unter dem Fußtritt des sich Nähernden ward immer vernehmbarer; damit dieser ihn nun nicht verfehle, und so das gewünschte Aufeinanderstoßen unterbleibe, fing der Lakai an, ein französisches Lied vor sich hin zu brummen, doch laut genug, daß jedes nahe Ohr die Töne hören mußte. Rascher knitterten nun die Zweige, immer näher schienen die Schritte, bis – der Held vom indischen Shawl zu dem erwartenden François herausgesprungen kam.

      François' Hoffnung ward getäuscht; doch auch der Fremde schien einen andern hier geglaubt zu haben. Diese plötzliche Wendung warf des Bedienten wohldurchdachte Pläne, wie er den Befehlshaber der Coquette irre führen wollte, mit einem Male über den Haufen. Nicht so der kühne Seemann. In der That haben wir ihn dem Leser bis jetzt in keiner noch so verwickelten Lage vorgeführt, in welcher es ihm nicht ein Leichtes gewesen wäre, seine vollkommene Fassung zu behalten, oder vielmehr ein Schweres, seine grenzenlose Verwegenheit zu bändigen.

      »Wie geht's Dir auf Deiner Fahrt im Gehölze, Musje Breitwimpel?« redete er ihn mit unendlicher Ruhe an, sobald er sich unerschrocknen Blicks überzeugt hatte, daß sie allein waren. »Dies ist sichreres Schifffahren für einen Offizier von Deiner Wassertracht, als in einer Pirogue Dich in der Bai herumzutreiben. Sag an, in welcher Länge befinden wir uns, und was für Seelauf hat Deine Gesellschaft genommen, als sie Dich allein weiter segeln ließ?«

      »Sir, ich promenir in dem Wald für mein plaisir, und ich fahr' auf der Bai für mein – parbleu nein! auf der Bai fahr' ich, um meiner jungen Gebieterin zu folgen, und, Sir, ich wünschte, daß Personen, denen die Bai und die See Vergnügen machen, nicht in den Wald kämen, du tout.«

      »Gut gesprochen, und mit hinlänglichem Muth. Was! auch ein Gelehrter! Wenn man in einem Walde ist, sollte man dafür sorgen, daß was herauskomme bei der Mühseligkeit der Fahrt. Ist's die Kunst, ein Toppwimpel zusammenzuwickeln, die in diesem niedlichen Bändchen gelehrt wird?«

      Indem er diese Frage that, nahm er ganz gelassen François das Buch aus der Hand, der aber nichts weniger als aufgebracht über diese Freiheit war, im Gegentheil, ihm das Buch mit einer Art von Triumph überließ.

      »Nein, Sir, nicht wie man den Schweif zusammenwickelt, sondern wie man die Seele rührt; nicht die Kunst bei Windstillen zu segeln, sondern – oui, es ist voll Wissen und esprit. Ah! Sie kennen den Cid! Ah le grand homme, was für Genie! Wenn Sie es lesen, Herr Matrose, Sie werden die wahre Poesie sehen. Nicht das dicke Buch vom Schiff, wo nicht ein einziger Reim ist. Sir, ich wünsche nichts zu sagen, was wäre anzüglich, aber es ist nicht ein Buch ohne Reime, es wurde nicht auf der See geschrieben. Diable! was für Genie, was für edle Sentiments stehen in diesem Buche là!«

      »Aha, ich verstehe, es ist ein Logbuch, worin jeder seine Seele lesen kann. Hier nimm den Herrn Cid zurück, und seine schönen Gefühle obendrein. Bei all seinem Genie scheint er doch nicht der Mann gewesen zu seyn, der alles geschrieben hat, was man hier zwischen den Blättern findet.«

      »Er nicht alles schreiben! Ja, Sir, er schreiben kann sechsmal mehr als Alles, wenn es Frankreich Noth thut. Que l'euvie de ces Anglais se découvre, quand on parle de beaux génies de la France!« »Ich will nur sagen, wenn der Herr Alles, was man in dem Buche findet, geschrieben hat, und es so schön ist, wie du einem ungelehrten Seefahrer gern willst glauben machen, so hätte er es auch sollen drucken lassen.«

      »Drucken?« wiederholte François, indem er, von einem und demselben Impuls getrieben, Auge und Buch zugleich weit aufriß. »Imprimé? Ah, hier ist papier von Fräulein Alide, wirklich.«

      »So nimm's ein andermal besser in Acht,« fiel der Seemann vom Shawl ihm in die Rede. »Was deinen Cid anbetrifft, so kann ich ihn nicht brauchen, da er weder die Breitenlage von Untiefen, noch die Gestalt der Küsten angibt.«

      »Sir, er lehrt die morale, die Klippe der passions, und die großen Stürme der Seele! Oui, Sir, er lehrt Alles, was ein Monsieur zu wissen wünscht. Jedermann in Frankreich ihn liest, in der province wie in der Stadt. Wenn Sa Majesté, le grand Louis, nicht dem schlechten Rathe folgt, die Messieurs Hugenotten aus seinem Reich zu jagen, so gehe ich selbst nach Paris, um den Cid zu hören.«

      »Eine glückliche Reise, Musje Wimpel! Kann seyn, daß wir uns unterwegs treffen; inzwischen beurlaube ich mich. Vielleicht kommt ein Tag, wo wir uns auf der schwankenden See wieder sprechen. Bis dahin leb' wohl!«

      »Adieu, Monsieur, – erwiederte François mit der ihm zur Natur gewordenen höflichen Verbeugung. – Wenn wir uns nicht anderswo begegnen als zur See, so begegnen wir uns nie wieder. Ha! ha! ha! Monsieur Matrose hört nicht gern von dem Ruhm Frankreichs sprechen. Ich wohl lesen möchte diesen diable von Shak-a-spair, bloß um zu sehen, wie weit der unsterbliche Corneille ihn hinter sich läßt zurück. Ma foi, oui, Monsieur Pierre Corneille wirklich ist ein homme illustre!«

      Selbstgefällig setzte nun der alte, treue Diener seinen Weg nach der großen Eiche auf der Anhöhe fort; denn als er ausgeredet hatte, sah er sich allein gelassen, der Fremde mit der bunten Schärpe war weiter in's Gehölz vorgedrungen. Stolz auf den Empfang, den er den Ausfällen des Seemanns gegeben hatte, noch stolzer auf den Namen des Schriftstellers, dessen Ruf lange vor der Zeit, wo François sein Vaterland verließ, dort verbreitet war, und nicht wenig durch die Betrachtung getröstet, daß er zur Vertheidigung der Ehre seines entfernten, geliebten Vaterlandes sein Schärflein beigetragen habe, drückte der gute Alte das Buch mit Innigkeit an sich und eilte seiner Gebieterin nach.

      Wenn auch den Eingebornen von Manhattan die Lage der Insel Staten und der sie umgebenden Baien bekannt genug ist, so wird eine kurze Schilderung der Oertlichkeiten Lesern, die entfernter von dem Schauplatze der Erzählung wohnen, nicht unangenehm seyn.

      Es ist schon bemerkt worden, daß die Hauptverbindung zwischen den Baien von Rariton und York, die »Meerenge« heiße. An der Mündung dieses Kanals erhebt sich das Land auf der Insel Staten zu einer bedeutenden Anhöhe, welche über das Wasser herüberragt, ungefähr wie an dem mährchenberühmten Cap Misenum. Dieser erhabene Punkt beherrscht nicht bloß die Aussicht auf beide Buchten und auf die Stadt, sondern das Auge reicht noch weit in die See hinein, über die Spitze Sandy-Hook hinweg. Von diesem Punkt werden noch heute die auf unserer Höhe ankommenden Fahrzeuge zuerst entdeckt; von hier aus erhält der ängstlich harrende Kaufmann, mittelst des Telegraphen, die Nachricht, daß sein Schiff im Anzuge sey. Damals, im Anfang des vergangenen Jahrhunderts, pflegten noch nicht so viel Schiffe hier anzukommen, daß die Kosten eines Telegraphen hätten gedeckt werden können. Die Spitze der Anhöhe ward daher, wenn nicht die schöne Aussicht manchmal einen Bewunderer von Naturscenen, oder Geschäfte einen Landmann dahin zogen, nur selten besucht. Schon früher hatte man das dort wachsende Gehölz abgehauen, so daß in einem Umfang von 10 bis l2 Morgen Landes die schon erwähnte Eiche der einzige Baum war.

      Diese einsamstehende Eiche nun hatte der Rathsherr Van Beverout dem François als den Ort des Rendezvous bezeichnet, und selbst, nachdem er ihn allein gelassen, seinen Weg dahin genommen; wir verlegen daher die Scene nach diesem Fleck. Um die Wurzel des Baumes herum war eine einfache ländliche Bank angebracht, auf welcher jetzt die ganze Reisegesellschaft, mit Ausnahme des abwesenden Domestiken, Platz nahm. Es dauerte jedoch nicht lange, so kam der letztere mit einer triumphirenden Miene an, und gab sogleich einen ausführlichen Bericht von seinem Zusammentreffen mit dem Fremden.

      »Wenn man ein reines Gewissen, herzliche Freunde und eine hübsche Bilanz besitzt, so kann man selbst in diesem Klima sich im Januar warm halten,« sagte der Alderman, der dem Gespräch gern eine andere Richtung geben wollte; »aber des Sommers in jener übervölkerten Stadt, mit ihren heißen Straßen, kühl bleiben, das geht über sterbliche Kräfte, zumal wenn einem wurmstichige Pelze und rebellische Schwarze den Kopf warm machen. Siehst Du den weißen Fleck jenseits der Bai, Patroon? Potz Zephyr und Fächelwind! das ist »Lust in Ruh«,


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