Die Wassernixe. mehrbuch
Der Eine wie der Andere bemüht sich, den Gewinn auf seine Seite zu bringen, und den Verlust auf die des Nachbars. Also, schlaf' wohl, Mädchen, und bedenke, daß Heirathen weiter nichts ist, als eine Haupt-Handels-Speculation, von deren Gelingen die Totalsumme weiblichen Glückes abhängt; drum, noch einmal, gute Nacht.«
Ehrerbietig gab die schöne Barbérie ihrem Onkel das Geleit bis an den Eingang des Pavillons, schloß die Thüre hinter sich ab, und fand dann für gut, das Flämmchen der kleinen Lampe, die er ihr zurückgelassen, und die ihr das Zimmer nicht hell genug machte, mit dem Docht der zwei von ihm ausgelöschten Kerzen in Berührung zu bringen. Es brannten nun drei Lichter, diese stellte sie neben einander auf den Tisch, und trat dann wieder an's Fenster. Der unerwartete Besuch des Onkels hatte mehrere Minuten hinweggenommen, und sie eilte daher, ob sie vielleicht erforschen könne, was es mit den seltsamen Bewegungen des geheimnißvollen Schiffes für eine nähere Bewandtniß habe.
Immer noch dieselbe tiefe Stille rund um die Villa, immer noch dasselbe schwerfällige Steigen und Fallen der Meereswogen. Alida blickte umher, Ludlow's Boot zu erspähen, allein ihr Auge schweifte vergebens über den hellen, breiten Meeresstrich, der sie von dem Kreuzer trennte. Wohl sah sie in den Strahlen des Mondes das Wasser abwechselnd hell und dunkel betupft, aber kein Fleck darunter bot einige Aehnlichkeit mit dem Schatten einer Barke dar. Die Laterne glänzte noch an der Spitze des Schiffes. Zwar ihr däuchte in der That einmal, als höre sie Ruderschlag, und zwar viel näher noch als vorher: wie sehr sie aber auch das scharfe Auge anstrengte, so blieb sie über den Ort des Boots im Dunkeln. Doch alle diese Zweifel verdrängte jetzt ein Schreck, der aus einer neuen und ganz verschiedenen Quelle kam.
Daß ein Canal bestehe, der den Ocean mit dem Wasser der Runden Bucht in Verbindung setze, war wenig anderen, außer denen bekannt, die ihre Beschäftigung häufig in die Nähe führte. Da die Durchfahrt bei weitem über die Hälfte des Jahres verstopft war, stets wechselte und selbst im besten Falle nur wenig Nutzen darbot, so blieb der Ort von den meisten Küstenschiffern unbeachtet. Selbst wenn der Canal offen stand, konnte man nie auf eine bestimmte Tiefe rechnen; herrschten eine oder zwei Wochen Windstille oder westliche Winde, so trocknete die Ebbe den Canal aus, und wehete einmal ein Sturm von Osten her, so ward das Bette gänzlich versandet. Kein Wunder also, wenn Alida's Erstaunen nicht ganz frei von abergläubischer Furcht war, als sie zu dieser Stunde, in solcher Umgebung ein Schiff aus dem Dickicht am äußern Rande der Runden Bucht bis in die Mitte derselben hereingleiten sah, gleichsam wie von selbst, ohne Hülfe von Segel oder Riemen.
Das sonderbare, unheimliche Fahrzeug war eine Brigantine von gemischter Bauart, welches die Vortheile eines Schiffs von langen Raaen und die eines von vorne nach hinten getakelten in sich vereinte. Selbst auf den ältesten und klassischsten Meeren der andern Hemisphäre sieht man viele solcher Fahrzeuge, doch nirgends von so schöner Form und symmetrischer Ausrüstung, als an den Küsten unserer Union. Am vordersten und kleinsten der Masten war die Maschinerie die gewöhnliche verwickelte, mit Haupt- und Unterspieren, mit den noch mehr ausgestreckten und doch leicht regierbaren Raaen, mit den mannigfaltigen, nach jeder Aenderung und Laune der Winde geformten und eingerichteten Segeln; dagegen stieg der hintere und größere Mast, gleich dem geraden Stamme einer Fichte aus dem Schiffsrumpfe in die Höhe, mit klarem, unverwickeltem Tauwerk und einem einzigen ausgebreiteten Segel, das aber auch allein hinreichte, die Wassermaschine mit ungeheurer Schnelligkeit durch die Wogen zu treiben. Der Rumpf war niedrig, von anmuthigen Umrissen, schwarz wie ein Rabenfittig und so gespannt, daß er einem von den Meereswogen einhergetragenen Seevogel glich. Das Spierenwerk war von vielen dünnen, zarten Linien durchwebt, welche dazu dienten, vor den leichten Winden im Nothfall mehr Segeltuch zu entfalten; aber diese Schattirung der Maschine, durch welche ihre Zeichnung bei Tage so vortheilhaft gehoben wurde, war jetzt, im blasseren, ungewisseren Lichte des Mondstrahls kaum sichtbar. Kurz, die zwanglose Bewegung des Schiffes, das mit der Fluth in die Runde Bucht hineinglitt, verbunden mit der wunderbaren, feenähnlich-anmuthigen Gestalt desselben, machte, daß Alida im ersten Momente ihren Sinnen nicht traute, sondern wähnte, das schöne Gebilde schwebe blos vor ihrer Phantasie. Gleich den meisten Anderen, war auch ihr unbekannt, daß der Hohlweg sich zuweilen in einen Kanal verwandele; dies und die Umstände der Zeit und des Orts machten es leicht, den angenehmen Wahn einen Augenblick lang für Wahrheit zu halten.
Aber nur einen Augenblick lang. Die Brigantine wendete plötzlich ihren Lauf, glitt nach einer Stelle hin, wo ihr die Einbiegung an dem Ufer der Runden Bucht den meisten Schutz gegen Wind und Wogen, und vielleicht auch gegen neugierige Augen zu versprechen schien, und kam dort zum Stehen. Ein heftiges Rauschen der Wasserfläche, das selbst bis zur Villa herandrang, zerstreute Alida's Geträume, denn nun wußte sie, daß wirklich ein Anker in die Bai gefallen sey.
Nordamerika's Küsten hatten für Seeräuber so wenig Lockendes, daß ihre Bewohner ruhig in diesem Sicherheitgefühle lebten; dessenungeachtet kam der jungen Erbin jetzt der Gedanke, daß die einsame Lage der Villa die Habgier lüstern gemacht haben dürfte. Sowohl sie, als ihr Vormund standen im Rufe des Reichthums: konnte es daher nicht seyn, daß verzweifelte Menschen, denen sich vielleicht auf offener See kein Gegenstand zum Plündern darbot, hier landeten, um auf festem Lande Raub und Mord zu begehen? Auch ging die allgemeine Sage, daß die Flibustier in früheren Zeiten die Küste des benachbarten Eilandes zu besuchen pflegten, und schon damals fing man an, nach verborgenen Schätzen und der von den Seeräubern versteckten Beute zu graben – Versuche, die von Zeit zu Zeit, bis auf unsere Tage, wiederholt worden sind.
Es gibt Lagen, in welchen der Geist Dingen Glauben schenkt, die er im ungetrübten Zustande als abgeschmackt verwirft. In einer solchen Lage befand sich Alida jetzt; obgleich mit einem klaren, männlichen Verstande begabt, fühlte sie sich geneigt anzunehmen, daß jene Erzählungen, die sie bisher als Mährchen verspottete, am Ende doch wahr seyn könnten. Das Auge unverwandt auf das regungslose Schiff haltend, trat sie innerhalb des Fensters zurück, und unentschlossen, ob sie Lärm machen sollte oder nicht, hüllte sie sich in die Fenstervorhänge, im Wahn, daß man sie sonst, trotz der Ferne, erspähen könne. Kaum hatte sie sich auf diese Weise verborgen, als es laut im Gesträuche raschelte, der Tritt eines Fußes auf dem grünen Platze unter dem Fenster ward hörbar, und gleich darauf schwang sich jemand in den Balcon und sprang von da in die Mitte des Zimmers, beides mit solcher Behendigkeit, daß das Herannahen der Gestalt der schwebenden Bewegung eines übernatürlichen Wesens glich.
Neuntes Kapitel.
»– Nun seht nun, wie ihr staunt! Ich wollt' euch Liebes thun, Freund mit Euch seyn!« |
Kaufmann von Venedig. |
Das Erste, woran Alida bei diesem zweiten Ueberfall dachte, war die Flucht. Doch Furchtsamkeit war nicht ihre Schwäche; vielmehr hatte sie natürliche Festigkeit genug, einen forschenden Blick auf die Gestalt des Individuums zu werfen, das mit so wenig Umständen ihren Pavillon betrat, und nun reichte schon die Neugierde hin, sie zum Bleiben zu vermögen. Wir lassen es dahingestellt seyn, in wiefern die unbestimmte, aber sehr natürliche Erwartung, daß sie den Commandeur der Coquette abermals zu verabschieden habe, Einfluß auf ihre Entschlossenheit ausübte. Ob diese kühne Voraussetzung Entschuldigung verdiene, mag der Leser beurtheilen, nachdem wir ihm die Person des Unerwarteten werden vorgeführt haben. Der Fremde stand in der Blüthe des lebenskräftigen Mannesalters. Er mochte höchstens zweiundzwanzig Jahre alt seyn, und man würde ihn für noch jünger gehalten haben, wären seine Züge nicht durch ein üppiges Braun etwas umschattet worden. Dieser Anflug hob seine natürliche, zwar nie blendend helle, aber klare und blühende Gesichtsfarbe noch mehr hervor. Einen seltsamen Kontrast mit den, fast bis zum Weiblichen zart gebogenen, schönen Augenbraunen und Wimpern bildete das glänzende Schwarz des vollen, seidenhaarigen Backenbarts, und verlieh den weichen Zügen dasjenige, was männlicher Schönheit nie fehlen darf – Kräftigkeit. Die Stirn war glatt und niedrig; die Nase eben so fein in den einzelnen Theilen, als kühn im Profil; die Lippen schwellend voll, und in ihren Wurf verrathend, daß ihr Besitzer zuweilen ein loser Schelm seyn könne, obgleich der Schnitt des Mundes, im Ganzen genommen, mehr auf Sentimentalität hinwies; diesem Munde entsprachen zwei glänzende Reihen völlig gleichgestalteter Zähne; das kleine, runde Kinn mit dem Grübchen im Mittelpunkte war so durchaus rein von allem Haarwuchs, daß man hatte denken sollen,