Zeit zählt. Andrew Abbott

Zeit zählt - Andrew Abbott


Скачать книгу
(wieder) in die gegenwärtige synchrone Sozialstruktur eingeschrieben werden, in dem Sinne, dass sie dadurch Historizität erwerben – den Anschein zeitlicher Dauer. In dieser momenthaften Abfolge von Gegenwarten steht jedoch alles an der Sozialstruktur auf dem Spiel, und alles kann sich ändern – selbst die »großen Strukturen«. Gleichzeitig erzeugt etwas an dem Prozess und der Natur des Einschreibens die Illusion, dass es »große historische Strukturen« gibt, die sich irgendwie über lange Zeiträume erstrecken und die zusätzliche Illusion einer langen, beständigen Historizität bestimmter Arten von sozialen Strukturen erzeugen – etwa unserer alten Bekannten »moderner Kapitalismus« und »Produktionsverhältnisse«. Wir müssen ergründen, wie dieser illusionierende Prozess funktioniert. Zweifellos umfasst er nicht nur eine unmittelbare synchrone Determination »kausaler« Art, sondern auch eine begriffliche Umstrukturierung der Art, die man für gewöhnlich »kulturell« nennt. Das ist die Mitgift meines angeheirateten Arguments. Wenn wir erkennen, dass die Einschreibung mit einer synchronen Phase der Umgestaltung der Dinge verbunden ist, öffnen wir den Prozess des Einschreibens für die kognitive und, allgemeiner gesprochen, kulturelle Neustrukturierung.9

      Zusammengefasst habe ich also ein Hauptargument und zwei Ableger. Das Hauptargument besagt, dass die historische Demografie in der Tat zu wichtig ist, um sie den Demografen zu überlassen, weil niemand von uns die Folgen der Historizität von Individuen ignorieren kann. Die beständigen Massen biologischer Individuen sind eine der größten »sozialen« Kräfte, die es gibt. Das erste daraus abgeleitete Argument besagt, dass es noch schwieriger wird, die Historizität ernst zu nehmen, wenn wir intermediäre soziale Gruppen wie Berufe, soziale Bewegungen usw. in den Blick nehmen. Der zweite argumentative Ableger besagt, dass es uns unweigerlich dazu bringen wird, sowohl über kulturelle als auch über verhaltensbezogene Determination zu reflektieren, wenn wir der Frage nachgehen, wie die Historizität von Individuen und sozialen Gruppen effektiv von Moment zu Moment eingeschrieben wird. Mit diesen drei Argumenten habe ich die theoretischen und empirischen Hauptlinien des prozessualen Ansatzes dargestellt.

      1Diesen Text habe ich 2003 als Presidential Lecture vor der Social Science History Association vorgetragen. Er erschien anschließend mit kleineren Änderungen in Social Science History (29/1, S. 1–13) unter dem Titel »The Historicality of Individuals«. Ich habe ihn hier noch einmal leicht überarbeitet, ohne ihm jedoch seinen Charakter als mündlichem Vortrag zu nehmen.

      2Eine Alternative zu einer solchen Sequenzialität untersuche ich in Abbott, »Lyrische Soziologie«, in diesem Band, S. 191–251. Eine umfangreichere Analyse der Idee des Ergebnisses findet sich in ders., »Idea of Outcome«.

      3Anmerkung der Herausgeber: Abbott spielt hier auf John Maynard Keynes’ berühmten Ausspruch »In the long run, we’re all dead« an, mit dem dieser 1923 gegen den sogenannten Goldstandard polemisierte.

      4Berelson/Lazarsfeld/McPhee, Voting, S. 315 f. Lazarsfelds eigene Sozialtheorien erörtere ich in Abbott, »Idea of Outcome«.

      5Die Beispiele in diesem Absatz (und das Einschreibungsargument im Allgemeinen) habe ich wesentlich ausführlicher entwickelt in Abbott, »Sociology of Work«.

      6Dafür argumentiere ich in Abbott, »Idea of Outcome«, sowie »Inequality as Process«.

      7Vgl. Brint/Karabel, Diverted Dream, zu einer Diskussion der Veränderungen, die Community Colleges durch die Bedürfnisse von Arbeitgebern aufgezwungen werden.

      8Vgl. Abbott, System of Professions. Das theoretische Argument dieses Absatzes wird näher ausgeführt in einem Aufsatz zur Theorie der Mobilität; vgl. ders., »Mobility«.

      9Meine Argumentation ist damit etwas dynamischer als die Norman Ryders, dessen klassischer Aufsatz über Kohorten und sozialen Wandel vor allem den Einfluss kodierter Differenzen auf die Leben in Kohorten in den Mittelpunkt stellt (»zeitliche Differenzierung zwischen Kohorten in den verschiedenen Parametern, die dazu genutzt werden können, um diese aggregierten Geschichten zu charakterisieren«, Ryder, »Cohort as a Concept«, S. 861). Die strukturellen Konsequenzen, die Ryder in den Blick nimmt, sind grundsätzlich stabil oder statisch dynamisch: zum Beispiel der statische Konflikt zwischen Generationen oder eine einfache Artikulation des sozialen Wandels durch Kohortenfluktuation. Er sieht allerdings die dynamischeren Implikationen von Kohorten, die hier betont werden. Seine Bemerkung »obwohl der Stimulus zur Innovation höchstwahrscheinlich von den Arbeitgebern ausgeht, hängt die Machbarkeit neuer Richtungen zum Teil davon ab, wie gut sie vom Bildungssystem antizipiert worden sind« (ebd., S. 848) ist ein deutliches Indiz für die Würdigung der makrostrukturellen Implikationen vergangener Kohortenerfahrungen, verstanden als gegenwärtige historische Realität.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4QAYRXhpZgAASUkqAAgAAAAAAAAAAAAAAP/sABFEdWNreQABAAQAAAA8AAD/7gAOQWRvYmUA ZMAAAAAB/9sAhAAGBAQEBQQGBQUGCQYFBgkLCAYGCAsMCgoLCgoMEAwMDAwMDBAMDg8QDw4MExMU FBMTHBsbGxwfHx8fHx8fHx8fAQcHBw0MDRgQEBgaFREVGh8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx8f Hx8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx8fHx//wAARCAu4B6EDAREAAhEBAxEB/8QAzQABAAICAwEB AAAAAAAAAAAAAAcIBQYBBAkDAgEBAAIDAQEAAAAAAAAAAAAAAAEFBAYHAwIQAQABAwICAwcOCQoD BgUCBwABAgMEEQUGByESCDGyE3OzdDdBUXHRIjKTFJR1NlYXGGGxcpLSU1Q1VYGRQlIjMzS0FRah wtPBYoKigyTiQ8OEJThkJ/Am4fFjRBEBAAEBAwcJBwQCAwEBAQEAAAECEQMEUXGxEjQFBiExQZEy UnIzFPCBoRNTFRZhwdGSIkJigkMj4fEk/9oADAMBAAIRAxEAPwCOdq2zM3Tc8XbMKmK8vMuU2bFN VUUxNdc6UxMz0R0qKItdrvr6m6omurs0xbLffu980P2Gx8ptfpPX0153fjCj/J8F3p/rJ93zmj+w 2PlNr9JPprzu/GE/k+C70/1k+75zR/YbHym1+kj0153dCPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta9s9Ned3Qn8 nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0k+mvO7oPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta/SPTXnd0H5Pgu9P9ZPu+c0f2Gx8 ptfpHprzu6D8nwXen+sn3fOaP7DY+U2vbR6a87vxg/J8F3p/rJ93zmj+w2PlNr9I9Ned3Qfk+C70 /wBZPu+c0f2Gx8ptfpHprzu/GD8nwXen+sn3fOaP7DY+U2vbT6a87ug/J8F3p/rJ93zmj+w2PlNr 9I9Ned3Qfk+C70/1k+75zR/YbHym1+kj0153fjB+T4LvT/WT7vnNH9hsfKbX6R6a87vxg/J8F3p/ rJ93zmj+w2PlNr2z0153dB+T4LvT/WT7vnNH9hsfKbXtnprzu6D8nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0j01 53dB+T4LvT/WT7vnNH9hsfKbX6SfTXnd+MH5Pgu9P9ZPu+c0f2Gx8ptfpI9Ned3Qj8nwXen+sn3f OaP7DY+U2vbPTXnd+MJ/J8F3p/rJ93zmj+w2PlNr9JPprzu6D8nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0kemvO 7oPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta9s9Ned34wfk+C70/1k+75zR/YbHym1+kn0153dB+T4LvT/WT7vnNH 9hsfKbX6SPTXnd+MH5Pgu9P9ZPu+c0f2Gx8pte2emvO7oPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta9tPprzu/GD 8nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0kemvO78YPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta/ST6a87ug/J8F3p/rJ93zmj+w 2PlNr9I9Ned34wfk+C70/wBZPu+c0f2Gx8ptfpHprzu/GD8nwXen+sn3fOaP7DY+U2vbPTXnd0H5 Pgu9P9ZPu+c0f2Gx8pte2j0153fjCPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta9tPprzu6E/k+C70/1k+75zR/Yb Hym17Z6a87ug/J8F3p/rJ93zmj+w2PlNr2z0153fjB+T4LvT/WT7vnNH9hsfKbX6SPTXnd+MH5Pg u9P9ZPu+c0f2Gx8pte2emvO7oPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta/SPTXnd0H5Pgu9P9ZPu+c0f2Gx8ptf pJ9Ned34wj8nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0j0153dB+T4LvT/WT7vfNH9hsfKbX6R6a87vxhP5Pgu9P 9ZPu+c0f2Gx8ptfpHprzu6D8nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0j0153fjB+T4LvT/AFk+75zR/YbHym1+ kj0153fjCPyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta/ST6a87uhP5Pgu9P8AWT7vnNH9hsfKbX6R6a87vxg/J8F3 p/rJ93zmj+w2PlNr9I9Ned3Qj8nwXen+sn3fOaP7DY+U2v0j0153fjCfyfBd6f6yfd85o/sNj5Ta 9tHprzu6D8n
Скачать книгу