Pros & Cons: Steele. Lisa Schnack
ich sie, »es wird schon gut gehen, ganz bestimmt.«
Sie pikste mich mit einem ihrer makellos manikürten Fingernägel schmerzhaft in die Schulter. »Schau dir die Typen da drüben doch mal an. Die sind nur hier, weil wir ihnen quasi keine Wahl gelassen haben.« Sie wies mit dem Kinn auf einen engelhaften Blondschopf in der ersten Reihe, der so unnatürlich still saß, wie ich es bisher nur bei Psychopathen, Auftragskillern und absoluten Ausnahmedieben beobachtet hatte. »Der da ist Ridge Pfeiffer. Er könnte dir deine Seele rauben und wäre damit schon zwei Staaten weiter, bevor du es überhaupt bemerken würdest, mein Lieber. Und dann haben wir da drüben noch Castille Alvarez und Wesley Bond.«
Ich folgte ihrem Blick zu einer einsamen Palme, die etwas abseits von der größten Gruppe Trauernder stand. In ihrem Schatten schob sich ein unverschämt gut aussehender schwarzhaariger, breitschultriger Riese schützend vor einen kurz geratenen, unruhig wirkenden Kerl mit dunkelrotem Haar. Ich hatte schon immer gedacht, Alvarez hätte Model werden sollen, das wäre die perfekte Tarnidentität für ihn. Model-Schrägstrich-Auftragskiller. Man konnte in hässlichere Gesichter blicken, wenn man seinen letzten Atemzug tat.
»Du weißt schon, dass Steele dich auf zehn verschiedene Arten umbringen könnte, bevor du auch nur auf die Idee kämst, um Hilfe zu schreien? Und Bond könnte mit einem Kaugummi und einer Lupe einen Laserstrahl erzeugen, der deine Leiche ruckzuck in einen Schmorbraten verwandelt«, sagte Miranda.
Ich schnaubte.
»Und Special Agent Leo Shook muss ich gar nicht erst erwähnen, oder?« Fragend zog sie eine Augenbraue hoch.
»Nein, musst du nicht.«
»Und nicht zu vergessen Carson Grieves.«
Ich schaute mich nach ihm um und runzelte die Stirn. »Ich kann ihn nirgendwo entdecken.« Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich gar nicht genau wusste, wie Grieves aussah.
»Braunes Haar, brauner Anzug, dritte Reihe. Tut so, als wäre er scharf auf die Blondine mit der tief ausgeschnittenen Bluse«, erklärte Miranda.
»Oh, verdammt«, murmelte ich und versuchte, nicht allzu beeindruckt zu klingen. »Er hat’s drauf.«
»Wundert dich das etwa?«, fragte Miranda tadelnd. »Sollte es nicht. Carson könnte dich am helllichten Tag vor zwanzig Zeugen erschießen, und keine zwei Menschen würden eine identische Personenbeschreibung abgeben oder sich überhaupt daran erinnern, dass er da war.«
»Miranda, meine Liebe, warum muss ich denn in jedem deiner kleinen Szenarien am Ende sterben?«
»Weil das hier verdammt gefährlich ist«, sagte sie und nickte lächelnd dem Bestattungsunternehmer zu, der ihr über die Köpfe der Versammelten hinweg irgendein Zeichen gegeben hatte. »Diese Typen sind nicht hier, weil sie Charlie Bingham die letzte Ehre erweisen wollen. Die wären nicht mal aus perverser Neugierde gekommen. Sie sind deiner Einladung nur gefolgt, weil Charlie etwas gegen sie in der Hand hatte und ich gedroht habe, das Material zu veröffentlichen, wenn sie nicht auftauchen und brav mitspielen.«
Miranda drehte sich wieder zu mir um. »Und du hast tatsächlich den Nerv, dich rausgeputzt wie eine Mischung aus Rasputin und dem Weihnachtsmann an Charlies Grab zu wagen.« Sie legte eine Hand auf das schwere Silberkreuz, das ich an einer Kette um den Hals trug. »Manchmal frage ich mich, ob du es darauf anlegst, erwischt zu werden. Damit du Charlie ins Grab folgen kannst.«
Ich blinzelte betroffen. Verdammt, die Frau kannte mich einfach viel zu gut und wusste besser, was in mir vorging, als ich selbst. Ich nahm ihre Hand und hielt sie locker, ganz der Priester, der eine trauernde Freundin tröstet.
»Zuerst einmal werden sie mich nicht erwischen«, sagte ich bestimmt. »Auf gar keinen Fall, verstanden? Ich habe mich noch nie erwischen lassen und habe auch nicht vor, jetzt damit anzufangen. Ich bin wie ein Geist, an den keiner einen Gedanken verschwendet. Charlies unsichtbaren kleinen Helfer hat keiner auf dem Schirm.«
Ich schaute hinüber zu den Männern, die wir eingeladen hatten. Es waren Typen wie ich oder Charlie. Gefährlich, aber anständig. Kriminelle, die sich streng an ihren moralischen Kodex hielten. Aus diesem Grund hatte Charlie sie ausgewählt. »Es ist sicherer für alle, wenn sie nie herausfinden, wer ich bin oder in welcher Verbindung ich zu Charlie stehe, und so soll es bleiben. Ich werde mich in Charlies Missionen nicht einmischen, und wenn doch, dann nur aus der Ferne.«
Miranda sah mich einen Moment lang prüfend an, dann nickte sie.
»Und zweitens spüre ich Rasputins Geist in mir«, fuhr ich fort und fasste mir mit einem Finger an die Schläfe. »Ihn zu verkörpern, ist nicht einfach, aber ein Tipp von Tyra Banks war sehr hilfreich. Du kennst doch das YouTube-Video, in dem sie erklärt, man könne ruhig schlampig herumlaufen, solange man es mit Stil tut. Also, was hältst du von meiner Rasputin-aber-mit-Stil-Interpretation?« Ich blickte an meinem wallenden Gewand hinab.
Sie konnte ein kleines Lachen nicht unterdrücken, tarnte es jedoch schnell als Schluchzer und rieb sich die Stirn.
»Furchtbar! Nimmst du eigentlich je irgendetwas ernst?«, fragte sie.
Ich seufzte. »Natürlich, das weißt du doch, Randa-Panda«, sagte ich. »Ich nehme nichts von alledem hier auf die leichte Schulter. Ich nehme Charlies letztes Anliegen ernst, und die Gefahr, die von Alvarez, Pfeiffer, Grieves, Bond und Agent Shook ausgeht, nehme ich auch ernst. Aber die Aufträge, die sie erledigen sollen, weil Charlie selbst nicht mehr dazu gekommen ist, nehme ich noch viel ernster. Das soll Charlies letzter großer Triumph werden, Babe, sein letzter Coup. Wir bereiten ihm einen stilvollen Abgang. Einverstanden?«
Sie atmete tief ein und zupfte am Saum ihres schwarzen Jacketts, als suche sie dort Halt.
»Ich wiederhole mich ungern«, bemerkte sie dann ohne eine Spur ihrer früheren Ergriffenheit, »aber hier ist es heißer als in der Hölle.«
Miranda war wieder ganz die beherrschte Anwältin, und ich presste die Lippen zusammen, damit sie mein Lächeln nicht sah. Gott, wieso fand ich ernsthafte Leute, die sich ständig Sorgen machten und sich an die Regeln hielten, nur immer so anstrengend?
»Hör auf mit dem Gejammer«, sagte ich und strich mir wieder durch den Bart. »Was glaubst du, wie ich unter diesem Rasputin-Gewand schwitze?«
»Leg es doch ab. Sogar Priester müssen bei dieser Hitze Zugeständnisse machen.«
»Geht leider nicht«, wandte ich betrübt ein. »Ich trage nichts drunter.«
Es dauerte eine Sekunde, bis sie das vollständig verarbeitet hatte, aber dann starrte sie mich mit großen Augen und offen stehendem Mund an.
»Ich glaub dir kein Wort.« Sie schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Nie im Leben bist du nackt da drunter.«
War ich nicht, jedenfalls nicht komplett, aber ihr Gesichtsausdruck war die Lüge wert. »Möchtest du nachschauen?«
Miranda sah so schockiert aus, dass ich fast in Lachen ausgebrochen wäre. Sie kniff die Augen zusammen. »Dass du noch lebst, lässt mich ernsthaft am Der-Stärkste-überlebt-Erfolgskonzept zweifeln.«
»Ich habe neun Leben, wie eine Katze«, sagte ich verhalten lächelnd.
»Acht, wenn du das hier durchziehst und ich dich danach in die Finger kriege, Vater.«
Der Bestattungsunternehmer gab ein weiteres Zeichen und winkte mich zu dem bescheidenen Podium, das vor den versammelten Trauergästen aufgebaut worden war. Showtime.
Ich drehte mich zu Miranda um. »Du erledigst deinen Teil und ich meinen. Für Charlie.«
»Für Charlie«, wiederholte sie und wollte sich gerade auf den Weg machen, da kam ein Mann auf uns zu. Er war groß, mit dunklem, an den Schläfen leicht angegrautem Haar und dem schmalen, markanten Gesicht eines Models. Kiefer und Wangenknochen waren so scharf ausgeprägt, dass man damit Diamanten hätte schneiden können. Mein Herz erkannte ihn zuerst und klopfte bereits heftig in meiner Brust, als mein Verstand ihn endlich identifizierte.
Special Agent Leonard Shook. Durch die silbernen Schläfen wirkte er