Pros & Cons: Steele. Lisa Schnack

Pros & Cons: Steele - Lisa Schnack


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schockiert und versuchte gar nicht erst, es zu verbergen. »Woher wissen Sie das?«, fragte sie. »Diese Information ist streng vertraulich.«

      »Ach, das weiß ich schon seit Langem«, antwortete Shook müde und schüttelte wehmütig den Kopf. »Nur Charlie Bingham würde sich einbilden, er könne ein Unternehmen ›Big Old Bottom Enterprises‹ nennen und das vor aller Welt geheim halten.«

      Aber es war wirklich ein Geheimnis gewesen. Nicht einmal die zwei oder drei Personen, denen Charlie die Wahrheit anvertraut hatte, hätten es je herausgefunden, wenn er es ihnen nicht gesagt hätte. Leo Shook war scharfsinniger, als ich ihm zugetraut hatte. Und er war Charlie dichter auf den Fersen gewesen, als der sich jemals hätte träumen lassen.

      Miranda und ich wechselten einen Blick. Verdammter Mist!, signalisierte ich mit meinem und las in ihrem: Du Idiot, ich hab dich gewarnt, dass es gefährlich wird!

      Dass Leo über diese Informationen verfügte, war eine besorgniserregende Neuigkeit. Trotzdem musste ich zugeben, dass ich auch verdammt angetörnt war.

      Leo fuhr sich mit einer Hand durch sein schwarzes Haar. »Dann freue ich mich auf die Besprechung später im Haus«, sagte er in einem Tonfall, der nahelegte, dass es weder eine erfreuliche noch eine friedliche Auseinandersetzung werden würde.

      Er drehte sich zu mir. »Kommen Sie auch, Vater?«

      »Wer, ich? Nein. Um Himmels willen, nein«, erwiderte ich lächelnd, als wäre das ein völlig abwegiger Gedanke, und übertrieb es dabei vielleicht etwas mit dem Akzent. Ich wäre zwar gern dabei gewesen, damit ich jedermanns Reaktion mit eigenen Augen hätte beobachten können, aber es war klüger, die Geschehnisse aus der Ferne zu verfolgen. Zumindest für den Augenblick.

      Leo nickte. »Also dann. Darf ich um Ihren Segen bitten, Vater?«, fragte er mit ernster, feierlicher Miene.

      Verflucht, als Agent, der sich in gewissen Kreisen bewegte, war er natürlich mit den Gepflogenheiten der russisch-orthodoxen Kirche vertraut.

      Glücklicherweise hatte sich der Wortlaut des Segens dank der unzähligen Messen, die ich mit meiner Babuschka Sonia besucht hatte, so tief in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich ihn, ohne nachzudenken, aufsagen konnte. Ich erhob eine Hand und hielt sie ihm dann entgegen, wie es der Brauch verlangte, woraufhin er sie mit seinen beiden umschloss und zum Kuss an die Lippen zog.

      »Passen Sie gut auf sich auf«, sagte Leo, als er meine Hand losließ. Er nickte Miranda kurz zu und nahm neben Ridge Pfeiffer Platz.

      Ich ballte die Fäuste so fest, dass ich den schnellen Puls in jedem meiner Finger spürte. Nur eine einzige Berührung von Leo, und mein Magen fuhr Achterbahn.

      Miranda hatte recht: Charlies letzter Coup erwies sich als gefährliches Spiel für uns alle. Aber jetzt war es zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen.

      STEELE

      Zum Glück war jemand schlau genug gewesen, um die Klimaanlage in Charlies Villa eingeschaltet zu lassen. Tote zahlen schließlich keine Rechnungen. Verdammtes Florida. Ich hatte es vor langer Zeit verlassen und irgendwie ganz vergessen, wie übel einem die Luftfeuchtigkeit mitspielen konnte. Rund um Bagdad stiegen die Temperaturen zwar ab und zu auch über fünfundvierzig Grad, aber dort herrschte eine trockene Hitze.

      Ich überlegte, mein Jackett abzulegen, oder wenigstens die Krawatte. Doch bevor ich nicht herausgefunden hatte, was zum Teufel sich hier abspielte, würde ich mir keine Unvorsichtigkeit erlauben.

      Abgesehen davon stand mir der Anzug hervorragend.

      »Nette Hütte, was?«, bemerkte Wesley, der mir über die Schulter schaute, während ich mir den Grundriss des Hauses einprägte und in Gedanken eine Liste der kritischen Stellen anlegte. Wie gesagt, solange ich nicht wusste, warum ich hier war, wollte ich auf alles vorbereitet sein.

      »Ich habe schon größere gesehen.« Im Vergleich zu manchen Anwesen der sehr reichen und sehr bösen Männer, die mich als Bodyguard anheuerten, wirkte dieses hier wie ein Poolhaus. Was nicht abfällig klingen soll, überhaupt nicht. Allein der Eingangsbereich war größer als die Wohnung, in der ich aufgewachsen war.

      Einer nach dem anderen, wie eine Reihe Entenküken, folgten wir Ms Miranda Bosley, Charlies Anwältin, durch den gefliesten Flur. Aus der ganzen Gruppe kannte ich nur Wesley, und daher war er der Einzige, dem ich so weit vertraute, dass ich ihn hinter mir gehen ließ. Sogar Ms Bosley wirkte, als würde sie mir, ohne zu zögern, ein Messer in den Rücken rammen, sollte sie das für notwendig erachten.

      Wes hier zu treffen, hatte mich überrascht. Wir hatten uns kurz unterhalten, und obwohl wir beide unsere Worte auf die Goldwaage legten, stellte sich schnell heraus, dass wir aus demselben Grund hier waren – wir wurden von Charlie erpresst.

      Ich konnte mir nicht vorstellen, was Charlie gegen dieses Kind in der Hand haben könnte. Bisher hatte ich nur zweimal mit Wes zusammengearbeitet; er war die Art von Hacker, die sich für eine gute Sache auch mal auf die dunkle Seite schlug. Eine Mischung aus MacGyver und Anonymous, weshalb das FBI ihn wahrscheinlich beobachtete, seit er zwölf gewesen war.

      Schon bei unserer ersten Begegnung war mein Beschützerinstinkt sofort angesprungen. Außer dass er ab und zu auf meine Muskelkraft zählte, hatte er jedoch nie Hilfe nötig. Er konnte sich dank seiner Jiu-Jitsu-Kenntnisse ganz gut behaupten. Aber manchen Leuten muss man einfach eine richtige Tracht Prügel verabreichen, und das übernahm ich gern für ihn. Es war befriedigend.

      Engelchen hingegen, wie ich den hübschen blonden Knaben getauft hatte, der während der Beerdigung ein paar Reihen vor mir gesessen hatte, weckte ganz andere Instinkte in mir. Seinetwegen hatte ich an Dinge gedacht, die auf einer Beerdigung tabu waren. Allerdings wirkte Engelchen auch nicht gerade so, als wäre er von Trauer überwältigt. Ich war nicht wirklich überrascht gewesen, als er sich nach der Beerdigung Mirandas Gefolge anschloss, zu dem auch Wes und ich gehörten. Hochinteressant. Was hatte dieser Chorknabe wohl verbrochen, dass er sich in so jungen Jahren bereits in so schlechter Gesellschaft wiederfand?

      Ich spielte mit der Ehrenmedaille, die ich immer in der Hosentasche bei mir trug und die mich an all die Situationen erinnern sollte, die ich überlebt hatte, ebenso wie an die Freunde, die nicht so viel Glück gehabt hatten. Das vertraute Gefühl der geprägten Oberfläche besänftigte die nagenden Zweifel, die sich in meinem Unterbewusstsein regten.

      Der vierte Kandidat in unserer kleinen Parade hatte neben Engelchen gesessen. Ich hatte ihm den Spitznamen »Mr Bundesagent« gegeben, denn dieser Typ war so offensichtlich ein Agent, dass ich darauf meinen Hut verwettet hätte. Ich schätzte ihn auf Ende dreißig, maximal Anfang vierzig.

      Für einen einfachen Cop um die vierzig war er viel zu gut in Form. Er wirkte, als könnte er sich in einem Kampf gut behaupten und bei einer Verfolgungsjagd locker mithalten. Alles an ihm verriet den Bundesagenten: sein Haarschnitt, die Körperhaltung und, nicht zu vergessen, das Achselholster, das sich unter seinem Jackett abzeichnete. Wer zu Charlie Binghams Beerdigung ging, musste nun mal damit rechnen, dass die Mehrheit der Trauergäste bewaffnet erschien.

      Das fünfte Mitglied unserer Gruppe, Mr Anonym, bot keinerlei Anhaltspunkte für eine Einschätzung seiner Person. Er sah so unglaublich durchschnittlich aus, dass ich Schwierigkeiten gehabt hätte, ihn zu beschreiben. Da er bisher noch kein einziges Wort gesprochen hatte, konnte ich keine Rückschlüsse aus einem möglichen Akzent oder Sprachmuster ziehen. Seine unauffällige Anzughose und das Hemd aus dem Kaufhaus gaben keinen Hinweis auf seinen Beruf oder seine Herkunft. Aber ich nahm an, dass er irgendwie zu uns gehörte, denn er wirkte trotz allem nicht wie ein gesetzestreuer Durchschnittsbürger.

      »Meine Herren, bitte setzen Sie sich.« Miranda deutete auf eine Gruppe von Sesseln und Sofas in dem riesigen Wohnzimmer. Deckenhohe Fenster gewährten einen großartigen Ausblick auf den Golf. Im Vorbeigehen registrierte ich den Höhenunterschied zum Strand und eine Steintreppe, die zu den oberen Stockwerken führte.

      »Bitte, Mr Alvarez, wenn Sie so freundlich wären.« Miranda schaute demonstrativ von mir zu den anderen vier Männern, die bereits Platz genommen hatten.


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