Pros & Cons: Steele. Lisa Schnack

Pros & Cons: Steele - Lisa Schnack


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Augen weiteten sich im selben Moment wie meine, wenn auch wahrscheinlich aus einem anderen Grund.

      »Ms Bosley«, grüßte Shook freundlich, während er mich nur mit einem flüchtigen Blick streifte. »Vater.«

      Seine tiefe, raue Stimme, volltönend wie ein Kontrabass, hatte ich wohl schon eine Million Mal in meinen Träumen gehört. Natürlich hatte er bei diesen Gelegenheiten weit schmutzigere Dinge gesagt und mich todsicher nicht mit »Vater« angesprochen. Ich hingegen hatte ihn möglicherweise schon das eine oder andere Mal »Daddy« genannt. Jeden Morgen, wenn ich verschwitzt und erregt und leider allein aus diesen Träumen erwachte, redete ich mir ein, dass seine Stimme unmöglich so tief sein konnte und meine Vorstellungskraft mir diesbezüglich ganz sicher einen Streich spielte.

      Aber da lag ich falsch. Wenn überhaupt, klang sie in Wirklichkeit noch rauer und aufregender.

      »Vater?«, fragte Miranda scharf und schaute mich eindringlich an.

      Verflucht, während ich in Erinnerungen an meine feuchten Träume schwelgte, stand das Objekt meiner Begierde leibhaftig vor mir und wartete auf eine Antwort.

      »Verzeihung«, sagte ich in einer etwas höheren Stimmlage als normal und imitierte den leichten russischen Akzent meiner Großmutter. »Die Hitze macht mich ganz benommen.«

      Leo runzelte die Stirn und fasste mich am Ellbogen, wohl aus Sorge, ich könnte das Bewusstsein verlieren. »Geht es Ihnen nicht gut? Möchten Sie sich setzen?«

      »Nein, nein«, wehrte ich ab und schüttelte den Kopf, obwohl das Teufelchen auf meiner Schulter anderer Meinung war. Ja, bitte, am liebsten auf deinen Schoß. »Es ist alles in Ordnung.«

      »Vielleicht legen Sie besser das Gewand ab«, schlug Leo vor, was Miranda mit einem erstickten Geräusch quittierte.

      »Nein, danke. Das wäre unangemessen.«

      »Sie werden doch um der Pietät willen keinen Hitzschlag riskieren«, stellte Leo sachlich fest und griff nach dem Saum.

      »Nein! Bitte nicht, mein Sohn.« Ich trat einen Schritt zurück. Sagten russisch-orthodoxe Priester überhaupt »mein Sohn«? Ich konnte mich nicht erinnern. In diesem Moment kam ich mir schrecklich schlecht vorbereitet vor. Ich saß hier auf dem Präsentierteller, schon ein klitzekleiner Fehler konnte mich auffliegen lassen.

      Vielleicht hatte Miranda recht damit, dass ich das alles nicht ernst genug nahm. Ich hatte mir eingeredet, es sei wichtig, heute hierherzukommen. So konnte ich die Lage beurteilen, ohne selbst gesehen zu werden, und Miranda später hinter den Kulissen helfen. Dabei war ich davon ausgegangen, dass die Priesterverkleidung mich praktisch unsichtbar machen und keiner dieser Ganoven ausgerechnet einen Geistlichen näher unter die Lupe nehmen würde.

      Aber ich hatte eben nicht mit Leo Shook gerechnet. Verflucht, wieso ging mir dieser Typ so unter die Haut?

      Ich konnte nicht mehr sagen, wann oder wo genau ich mich in Leo Shook verliebt hatte, aber es war passiert, bevor wir uns persönlich begegnet waren. Er war der Javert zu Charlies Jean Valjean, genau wie bei den Gegenspielern aus »Les Misérables« hatten sich ihre Wege immer wieder gekreuzt. Einmal hätte er Charlie fast erwischt, ohne es zu wissen. Shook war Charlies Nemesis gewesen, ihm immer ganz dicht auf den Fersen. Die Katz-und-Maus-Spielchen waren so amüsant gewesen, dass ich mich, obwohl ich zu Charlies Team gehörte, manchmal nicht hatte entscheiden können, wem ich nun die Daumen drücken wollte.

      Ich atmete tief durch. »So«, sagte ich mit meiner hohen Priesterstimme und vergaß auch nicht den Akzent, »jetzt geht es mir besser.«

      »Wenn Sie meinen«, entgegnete Leo zweifelnd.

      »Vielleicht sollten Sie die Trauerrede lieber nicht halten, Vater«, schlug Miranda vor. »Ich übernehme das gerne für Sie, dann können Sie sich für die letzten Bestattungsriten zurückziehen.«

      Ich nickte, dankbar für den Ausweg, den sie mir bot. »Ja, so könnte es gehen.«

      »Ich muss zugeben, es war mir nicht bewusst, dass Charles Bingham so ein ausgesprochen religiöser Mensch war.« Leo musterte Miranda skeptisch.

      Gott sei Dank hatte er sich an sie gewandt. Ich war mir nicht sicher, ob ich seinem prüfenden Blick standgehalten hätte. Wahrscheinlich hätte ich es nicht geschafft und die Sache vermasselt, noch bevor sie richtig angefangen hatte.

      Miranda hingegen verwendete sein Misstrauen gegen ihn. »Es gibt viele Dinge, die Sie über meinen Mandanten nicht wissen, Agent Shook.«

      »Es hat ganz den Anschein. Dass Charlie ein Erpresser war, wusste ich zum Beispiel auch nicht.«

      »›Erpressung‹ ist ein hässliches Wort«, gab sie zurück. »Und in diesem Fall trifft es auch gar nicht zu. Es handelt sich um eine rein geschäftliche Vereinbarung.«

      »Vereinbarung«, wiederholte Leo. »Mit wem? Charlie ist tot. Die zahnmedizinischen Unterlagen haben das bestätigt.«

      Merkwürdig, wie betroffen er sich anhörte. Wir hatten allerdings auch eine verflucht intensive Dreiecksbeziehung, Charlie Bingham, Leo Shook und ich.

      »Als Nachlassverwalterin bin ich autorisiert, die Bedingungen der Vereinbarung auszuhandeln, allerdings in Zusammenarbeit mit einem anderen Interessenten.«

      »Ein Interessent«, sagte Leo und schnaubte gereizt. »Und wer zum Teufel soll das sein?« Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Bitte verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, Vater.«

      Mr Interessent, das war ich höchstpersönlich. Der Strippenzieher hinter den Kulissen, der mit Charlie Binghams Ehrenrettung beauftragt worden war und aus dem Verborgenen heraus fünf sehr gefährliche Männer wie Marionetten an unsichtbaren Fäden lenkte.

      Ich winkte ab und betrachtete hoch konzentriert die Spitzen meiner auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhe, die unter dem Gewand hervorlugten.

      »Ich werde von meinen Mandanten sehr für meine Diskretion geschätzt«, merkte Miranda an.

      »Es interessiert mich verdammt wenig, was Ihre Mandanten an Ihnen schätzen«, erwiderte Leo bissig. »Ich will wissen, wie vielen Leuten Charlie erzählt hat, was er über mich wusste. Oder zu wissen meinte.«

      »Zurzeit bin ich die Einzige.« Miranda inspizierte ihre Fingernägel. »Wie ich bereits sagte, als Nachlassverwalterin bin ich bevollmächtigt, Ihnen und einigen weiteren ausgewählten Kandidaten einen Job anzubieten. Natürlich im Austausch gegen … gewisse vertrauliche Informationen, die für Sie wichtig sein könnten.«

      Miranda zuckte leicht die Schultern, als wäre es nichts Besonderes, dass sie einen FBI-Agenten auf einem Friedhof vor fünf Dutzend Zeugen derartig unter Druck setzte. Sie hatte mehr Mumm als die meisten, sogar viel mehr, als Charlie je bewiesen hatte. Verflucht, sie war wahrscheinlich mutiger als die ganze Versammlung von Trauernden zusammengenommen. Außerdem hatte sie einen gesunden Respekt vor dem Gesetz, weshalb sie auch so darauf bedacht war, es nicht zu brechen. »Sie haben das Vorkaufsrecht, Agent Shook. Wenn Sie das allerdings nicht nutzen möchten, werden andere die Gelegenheit erhalten, für die Ware zu bieten.«

      »Diese Ware, also Bilder von …«

      Miranda fiel ihm schroff ins Wort. »Nicht hier. Wir halten nach der Beerdigung eine exklusive Versammlung in Mr Binghams Haus ab. Dann können Sie Ihre Fragen stellen.«

      »Eine exklusive Versammlung«, wiederholte Leo.

      Er verhielt sich wie ein Papagei – was ganz untypisch für den gelassenen, in sich ruhenden Agent Shook war, den ich kennengelernt hatte. Normalerweise hätte ich mich sehr darüber amüsiert, aber vor lauter Furcht, entdeckt zu werden, hatte ich immer noch Herzrasen. Der Schweiß lief mir buchstäblich in Strömen die Beine hinunter und sammelte sich in meinen ach so angemessenen Schuhen.

      »Sehr exklusiv«, bestätigte Miranda, »Sie sollten unbedingt daran teilnehmen. Das Haus ist oben an der Gulf Shore Road, das Unternehmen heißt …«

      »Bigolb-Autumn Enterprises, ich weiß«, sagte Shook seufzend.

      Er kannte Charlies Wohnsitz?


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