Das Tartarus-Projekt. Gerd Schilddorfer

Das Tartarus-Projekt - Gerd Schilddorfer


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den ganzen Tag im Büro Däumchen drehen. Also – kommt Zeit, kommt bestimmt auch Aufklärung.“

      „Oder auch nicht“, gab sie zurück. „Außerdem klingen Sie wie meine Mutter.“

      „Ihre Version?“

      „Weitaus differenzierter.“ Sie klopfte mit den Essstäbchen auf die Tischplatte. „Wussten Sie, dass Prolicks zwar eine Dienstleistungsfirma war, hinter der Fassade aber eine ganze Gruppe von Unternehmen damit beschäftigt war, unter anderem Drohnen zu entwickeln und zu verkaufen? Dass das Unternehmen Winter allein gehörte? Keine Investoren, kein Fundraising, alles selbst aufgebaut. Als er die Gruppe verkaufte, kassierte er alles und musste niemandem einen Cent zahlen.“

      „Drohnen?“, wiederholte Landorff ungläubig. Seltsamerweise hatte Melissa nichts davon erwähnt.

      „Für Abnehmer und Auftraggeber in der ganzen Welt“, nickte die Brünette. „Lieferdrohnen für Amazon, zivile Kameradrohnen für Hänschen Schmidt, Kampfdrohnen für diverse Einsatzkräfte und Armeeteile. Kleine Dinger, die Wände hinaufklettern können, tauchen wie ein Tintenfisch, krabbeln wie eine Ameise oder fliegen wie eine Libelle und dabei nie müde werden. Richtige kleine Schätzchen. Und wie man hört, hat es Winter mit den Waffenexportgesetzen diverser Länder nicht so genau genommen.“

      Landorff pfiff leise durch die Zähne. Das verändert alles, dachte er und fragte sich, ob Winter nicht das Opfer eines professionellen Killers geworden war.

      „Feuer hat einen Vorteil – es vernichtet fast alle Folterspuren restlos.“ Die Brünette zog einen 20-Euro-Schein aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. „Habe ich schon das Gerücht erwähnt, dass Winter eine Lebensversicherung abgeschlossen hat, und zwar an dem Tag, an dem er seine Firma verkauft hat?“

      Nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung wurde Landorff auf einen Schlag einiges klar …

      „Die Versicherungssumme betrug zehn Millionen?“, versuchte er einen Schuss ins Blaue.

      „So sagt man, Mr. Pulitzer“, grinste die Brünette, stand auf und zog sich ihre Jacke an. „Und die Versicherung ist ganz und gar nicht scharf darauf, einen Scheck mit sieben Nullen an irgendeinen bisher noch unbekannten Erben auszustellen.“

      „Lassen Sie mich raten, Mrs. Schnüffelnase, es gibt da noch ein paar kleingedruckte Absätze auf der Rückseite?“

      „Touché, und meine Auftraggeber bezahlen mich dafür, allen noch so kleinen Verdachtsmomenten nachzugehen. Und übrigens, es heißt Miss, Miss Schnüffelnase. Bis demnächst irgendwo!“

      Mit einem majestätischen Winken stöckelte sie an Landorff vorbei und ließ ihn mit seinen dunklen Gedanken und dem Algengeruch allein.

      Während er langsam zu seinem Mercedes zurückschlenderte, überlegte er, wem er als Nächstes auf die Nerven gehen könnte. Die Einladungsliste … die arbeitet die Polizei zwar auch ab, dachte er, aber mit etwas Glück fange ich beim richtigen Buchstaben an.

      Doch was, wenn der Täter gar nicht auf der Liste steht? Er zog sein Smartphone aus der Tasche und wähle Melissas Nummer.

      „Ich bin in einer Besprechung“, meldete sich die Agenturchefin kurz angebunden.

      „Ich auch, mit dir nämlich“, gab Landorff ungerührt zurück. „Wer kann mir schnellstens eine Einladungsliste von der Party gestern besorgen?“

      „Die kannst du am besten bei Zahlmann einsehen“, antwortete Melissa leise. „Als Caterer hat Gregory ihm die Liste wegen den Lebensmittelallergien übermittelt.“

      „Musste jeder seine Allergie neben die Anmeldung schreiben?“, fragte Landorff ungläubig.

      „Blödmann, natürlich nicht“, zischte sie. „Aber Zahlmann richtet alle großen Feste und Events in München aus und kennt seine Pappenheimer. Er weiß, wer keinen Fisch isst, wer Spargel mag oder Knoblauch aus dem Weg geht oder auf Eisalat allergisch ist.“

      „Oder auf Kaviar und Rehrücken“, ergänzte Landorff mitfühlend.

      „Auf die ist kein vernünftiger Mensch allergisch“, meinte Melissa abschließend und legte grußlos auf.

       6. Der Insider

      Die Firma Julius Zahlmann & Sohn lag inmitten eines Industriegürtels im Norden Münchens verkehrsgünstig zwischen Autobahnen und Bundesstraßen. Von der Idylle einer bayrischen Landmetzgerei war schon lange nichts mehr übrig geblieben. Selbst das voll verflieste Fabrikverkaufslokal verbreitete mit Edelstahl und Neonröhren den anheimelnden Charme einer Pathologie. Daran konnten auch die beiden Verkäuferinnen im Dirndl nichts ändern, die zwischen Wurstschneidemaschinen und modernem Kassensystem hin und her flitzten. Es schien, als kämen viele Münchner vor die Tore der Stadt, um hier ihr Fleisch zu kaufen und ihren Schinken- und Wurstbedarf bei Zahlmann zu decken.

      Es war kurz vor sechs und das Dutzend großer Kühl-Lkw, das auf dem Parkplatz neben der riesigen Halle parkte, war wohl von den Lieferfahrten schon wieder zurückgekehrt. Auch das Fabrikverkaufslokal würde in wenigen Minuten seine Pforten schließen, wie eine kleine Tafel mit den Öffnungszeiten verriet.

      „Ist Herr Zahlmann noch da?“, erkundigte sich Landorff bei einer der Verkäuferinnen, die in die Kasse tippte.

      „Is da Chef no daaaa?“, rief die daraufhin ihrer Kollegin zu. Die nickte und packte einen Ring Bratwurst ein. „Gehen S’ einfach da durch“, meinte sie und deutete auf den Hinterausgang. „Über den Hof, dann in den ersten Stock, nach links und dann ist es die vierte … nein, warten Sie, die fünfte Tür? Egal, sind eh alle angeschrieben.“

      Also machte sich Landorff auf den Weg in die Innereien des Zahlmann’schen Imperiums. Alles wirkte aufgeräumt, selbst der Hof schien frisch gewaschen. Es roch nach Desinfektionsmittel und Sauberkeit. Viele Türen standen offen und im Licht der Neonlampen wuselten überall Mitglieder einer Putzkolonne, die offenbar dem Schmutz den Krieg erklärt hatten und fest entschlossen waren, diesen auch zu gewinnen.

      Landorff blickte die Fassade des modernen Bürogebäudes hinter den Hallen hinauf, das überaus elegant wirkte und gar nicht nach den 70ern oder Metzgermeister Krause in Wuppertal aussah.

      Eher nach einer Niederlassung von Samsung oder Sony.

      Viel getöntes Glas, dezenter, matter Granit, gebürsteter Edelstahl und moderne Bilder in allen Gängen. Dazwischen Fotos von prominenten Kunden mit dem Firmenchef. Le tout Munich war vertreten, aber auch Künstler und „Zuagraste“, die ihre Events oder Konzerte bei Zahlmann bekochen ließen und anschließend glücklich und satt in die Kamera lächelten. Darunter selbstverständlich auch Heino im Ledermantel …

      Wahrscheinlich war die Achse Melissa – Wayne wieder mal aktiv gewesen, dachte Landorff, bewunderte das Foto, auf dem Heino mit Zahlmann um die Wette strahlemannte, und klopfte schließlich an eine Tür, auf der nüchtern J. Zahlmann neben einer großen 10 aus Messing stand.

      „Bitte?“, ertönte eine weibliche Stimme durch die Tür und Landorff stand vier Schritte später vor einem völlig überfüllten Schreibtisch. Dahinter saß eine weitere Dirndlträgerin, die ihn über ihre Brillen hinweg eher strafend als fragend ansah. „Tut mir leid, aber wir schließen gleich“, meinte sie geschäftig und wies auf die futuristische Wanduhr.

      „Ich hätte nur gern kurz Herrn Zahlmann gesprochen und ich verspreche Ihnen, ich halte ihn nicht lange auf.“

      „Herr Zahlmann wird in wenigen Minuten zu einer Besprechung außer Haus fahren, Herr …?“ Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen neugierig an.

      „Ähm … de Gilles, Michel de Gilles aus Frankreich“, improvisierte Landorff frech. „Ich bin Buchautor und Journalist und war gestern auf der Party von Gregory Winter.“ Er zwinkerte ihr charmant-vertraulich zu, wie es Franzosen bekanntlich immer machten. „Und habe dieses ex-zel-len-te Buffet genossen. Jetzt wollte ich mich erkundigen, ob ich denn für meine nächste Party ebenfalls mit einer dieser


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