Das Tartarus-Projekt. Gerd Schilddorfer

Das Tartarus-Projekt - Gerd Schilddorfer


Скачать книгу
hatte, jedes Mal, wenn er seine Mutter besuchte.

      Hier wurden Parkplätze vererbt.

      Eine Baustelle trug das Ihre dazu bei, die Situation nicht gerade zu vereinfachen.

      Entnervt gab er eine Runde später auf und steuerte die nächste Parkgarage an. Doch im letzten Augenblick erspähte er am Thomas-Wimmer-Ring überraschend einen freien Platz und parkte rasch ein. Keine Sekunde zu früh, denn ein dicker BMW rollte an ihm vorbei und der Fahrer zeigte ihm den Stinkefinger.

      Mit dem Gedanken, den Parkplatz anschließend an den Höchstbietenden zu versteigern, machte sich Landorff auf den Weg zum Haus Wurzerstraße 16. Die unterschätzten alten Telefonbücher leisteten manchmal doch noch gute Dienste. Maria Winter besaß sogar noch einen Festnetzanschluss.

      Old school, dachte Landorff und hatte ein schlechtes Gewissen, als er den Klingelknopf drückte. Aus dem Augenwinkel beobachtete er eine attraktive Brünette, die vor einem Sushi-Lokal die Speisekarte studierte. Landorff erinnerte sich, dass er von rohem Fisch und Klebreis schon beim Hinsehen Sodbrennen bekam, und widmete sich wieder der Türklingel.

      Keine Reaktion. Er parkte seinen Daumen drauf.

      Niemand meldet sich und er wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte oder nicht. Versuchsweise wählte er den Klingelknopf unter dem von Maria Winter. Eine gewisse Else Westenburg meldete sich sofort durch die Gegensprechanlage.

      „Ja?“

      „Eilzustellung!“, log Landorff schamlos und eine Sekunde später summte der Türöffner. Aus den Augenwinkeln sah er die Brünette vor dem Sushi-Lokal, die mit einem Mal ganz aufmerksam zu ihm herüber blickte. Als er die Haustür aufstieß, startete sie mit klickenden Absätzen hektisch in seine Richtung.

      Landorff beeilte sich absichtlich, schlüpfte durch die Tür und drückte diese von innen auch noch zu, während er spürte, wie sie sich von außen dagegen lehnte. Dann zog er fest am Griff, riss unvermittelt die Tür auf und die Brünette stolperte mit einem spitzen Schrei an ihm vorbei weiter in den Gang.

      „Ich denke nicht, dass Sie hier wohnen“, schickte Landorff ihr sarkastisch hinterher. „Oder haben Sie ihren Schlüssel vergessen? Haben wir es deshalb so eilig?“

      „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, zischte sie wütend, nachdem sie sich gefangen hatte und sich gegen die Reihe der Briefkästen an der Wand lehnte. Sie massierte ihren Knöchel und warf Landorff einen mörderischen Blick zu. „Sind Sie von der Polizei?“

      „Ebenso wenig wie Sie,“ gab er zurück. „Presse. Ich recherchiere den Tod von Gregory Winter.“

      Die Brünette schwieg. Landorff ging an ihr vorbei und nahm die Treppen in Angriff.

      „Wohin gehen Sie?“, tönte es von den Briefkästen hinter ihm her. „Maria Winter ist nicht zu Hause.“

      „Mit Leuten zu reden ist mein Job“, rief er über die Schulter. „Außerdem habe ich einen legalen Parkplatz. Und den gedenke ich auszunutzen.“

      „Sie können sich den Weg nach oben sparen. Die alte Frau Westenburg ist taub wie ein Fisch und hat mit Mutter Winter so gut wie keinen Kontakt.“

      Landorff stockte und drehte sich um. Die High Heels klapperten über die Bodenfliesen im Gang. „Woher wissen Sie das?“

      „Ich habe mich über die Gegensprechanlage mit ihr unterhalten, die halbe Straße hat zugehört“, meinte die Brünette und versuchte, an ihm vorbeizukommen.

      „Warum wollten Sie dann ins Haus?“, fragte Landorff sie verwirrt.

      „Weil es noch andere Parteien gibt und ich nicht alle Klingelknöpfe drücken wollte“, zischte sie ihm im Vorbeigehen zu.

      „Was interessiert Sie eigentlich an Gregory Winters Tod? Ich verdiene mein Geld mit News, aber welchen Grund haben Sie, um hier herumzuschnüffeln?“

      Sie blickte ihn von oben herab an. „Sind Sie jetzt bald am Ende mit Ihren Fragen? Ich habe zehn Millionen gute Gründe, glauben Sie mir.“

      Damit stöckelte sie weiter die Treppen hinauf, während Landorff überlegte. Zehn Millionen Gründe? War das ernst gemeint oder einfach so dahingesagt?

      Plötzlich hörte er, wie die Haustür sich öffnete und jemand in den Flur trat. Die ältere Frau, die etwas schwerfällig mit zwei schweren Einkaufstüten um die Ecke zur Treppe bog, hatte rot geweinte Augen und wirre Haare, die so gar nicht zu ihrem eleganten Äußeren passen wollten.

      „Frau Winter? Kommen Sie, ich helfe Ihnen, die sind ja viel zu schwer“, meinte Landorff zuvorkommend und nahm ihr die beiden Tüten aus der Hand.

      „Das ist sehr nett von Ihnen. Kennen wir uns?“, fragte sie leise und holte ein Taschentuch aus der Manteltasche, um sich die Nase zu putzen.

      „Ich habe Ihren Sohn gekannt und bin gekommen, um zu kondolieren“, antwortete Landorff ausweichend. „Furchtbar, was passiert ist. Mein aufrichtiges Beileid.“ Sie begann wieder zu schluchzen.

      „Ich bringe Ihre Tüten hinauf in die Wohnung und dann komme ich vorbei, wenn es Ihnen wieder besser geht“, schlug Landorff vor und Frau Winter sah ihn dankbar an. „Gehen Sie nur vor, Sie müssen ja auch aufschließen.“

      Als die alte Dame an ihm vorbeiging, setzte die Brünette zu einer Begrüßung an, doch Frau Winter ging in ihrer Trauer unbeirrbar an ihr vorbei und würdigte sie keines Blicks.

      „So geht das“, raunte Landorff ihr schadenfroh im Vorübergehen zu.

      Zehn Minuten später hatte er Maria Winter seine Visitenkarte in die Hand gedrückt und war zum Kaffee am nächsten Tag eingeladen worden. Als Landorff auf die Straße trat und sich umblickte, konnte er die Brünette nirgends erblicken.

      Zehn Millionen Gründe …

      Der kurze Satz ließ ihn nicht los. Schuldete ihr Winter zehn Millionen Euro? Dann hatte sie Pech gehabt. Nun war er tot und die Schuld hinfällig. Außer sie hatte etwas mit dem Erbe zu tun …

      Landorff grübelte vor sich hin und hätte fast das Klopfen an die Scheiben des Sushi-Lokals überhört. Die Brünette balancierte mit zwei Stäbchen grüne Häppchen in ihren Mund und winkte mit der Linken, er solle doch an ihren Tisch kommen.

      „Ich hasse Sushi“, verkündete Landorff naserümpfend, als ihm der Geruch von rohem Fisch und gärendem Seetang entgegenschlug. Er ließ sich vorsichtig auf dem schmalen Sessel nieder. „Algenröllchen mit Quallenextrakt? Trotzdem guten Appetit. Was gibt’s noch?“

      „Haben Sie mit Maria Winter gesprochen?“ Die braunen Augen fixierten ihn, während sie sich mit ihrer Hand die Locken zurückstrich.

      „Habe ich, wir sehen uns morgen zu einem ausführlichen Kaffeeplausch“, nickte Landorff. „Die Polizei war bereits heute Mittag bei ihr und hat nicht wirklich Sympathiepunkte bei der alten Dame gesammelt. Naja, der Preisringer ist nicht jedermanns Sache.“

      Die Brünette runzelte die Stirn und blickte Landorff verwirrt an.

      „Der Leiter der Ermittlungen ist Kommissar Kroning und der kann bei jeder WWF-Veranstaltung allemal den Hauptkampf bestreiten“, machte ihr Landorff klar.

      Ihr Blick wechselte von verwirrt zu fragend.

      „WWF? World Wrestling Federation?“, stieß Landorff nach. „Schon mal gehört?“

      „Nicht meine Art von Sport“, entgegnete sie. „Aber ich weiß, was Sie meinen. Ich habe Kroning auf der Straße getroffen, als er von Maria Winter kam. Ein Schrank von einem Mann …“

      „Eher eine ganze Schrankwand“, nickte Landorff. „Sie sind also schon länger in der Gegend?“

      „Oh, ich habe mich ein wenig umgehört“, meinte sie unverbindlich und schob sich das letzte Sushi-Röllchen in den Mund.

      „Was machen Sie eigentlich, wenn Sie sich nicht umhören und in Rufweite alter Damen Sushi essen?“, erkundigte sich Landorff und lehnte


Скачать книгу