Rätselhafte Ereignisse in Perfect - Hüter der Fantasie. Helena Duggan

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mache ich Risotto.«

      Ihre Mutter schwebte aus dem Raum, während Violet wutschäumend am Küchentisch sitzen blieb.

      Die Frau, mit der sie gerade geredet hatte, mochte aussehen wie ihre Mutter, doch sie war es definitiv nicht. Es musste sich um eine Art fiese Doppelgängerin handeln, die ihren Platz eingenommen hatte.

      Violet stand auf und lief in der Küche hin und her. Irgendwas stimmte nicht, und zwar ganz und gar nicht. Sie musste versuchen, noch mal mit ihrem Dad zu reden. Vielleicht konnte sie ja diesmal zu ihm durchdringen.

      Er war bei der Arbeit, also schnappte sie sich ihre Jacke und rannte, so schnell sie konnte, zum Ocularium.

Kapitel 8

      Hin und her

      Unter dem funkelnden goldenen Schild mit der Aufschrift Archers’ Ocularium hielt Violet einen Moment inne, um wieder zu Atem zu kommen. Sie wollte gerade die dunkelblaue Tür aufdrücken, als sie eine plötzliche Erkenntnis traf – so heftig, als hätte ihr jemand mit einem Ziegelstein auf den Kopf geschlagen.

      Ihre Mutter hatte recht.

      Sie hatte AGDS. Obwohl sie nie zuvor davon gehört hatte, war sie sich absolut, einhundertprozentig sicher, dass sie es hatte. Natürlich litt sie an einem Anpassungs- und Gehorsamkeitsdefizit. Mrs Moody lag vollkommen richtig. Wie hatte sie einfach mitten auf dem Schulhof gegen die Seilsprungregeln verstoßen können? So was Peinliches! Und der Bleistift – allein beim Gedanken daran wurde sie rot. Was mochten die anderen wohl von ihr gedacht haben, als sie unter den Tisch gekrochen war, ohne ihre Lehrerin um Erlaubnis zu fragen? Mrs Moody hatte nur versucht, ihr zu helfen, als sie ihnen diesen Aufsatz über die Bedeutung von Regeln aufgegeben hatte. Wie hatte ihr das entgehen können? Sie war wirklich ein vorlautes Kind, aber das würde sich jetzt ändern.

      Sie drehte sich um und lief durch die Splendid Road zurück, doch mit jedem Schritt wurde ihre Gewissheit schwächer. Als sie zu Hause ankam, hatte sie es sich schon wieder anders überlegt. Violet war total verwirrt.

      Sie war nicht vorlaut, sie hatte bloß versucht, mehr Schwung in das Spiel zu bringen. Und an ihrer alten Schule hatte niemand um Erlaubnis bitten müssen, um einen Stift aufzuheben!

      Violet setzte sich auf die Stufen vor dem Haus ihrer Eltern. Ihr Gesinnungswechsel war so schnell und plötzlich gekommen, dass er richtiggehend unheimlich war. Was hatte sie dazu gebracht, auf einmal so zu denken? In Gedanken ging sie die einzelnen Schritte noch einmal durch, so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Was hatte sie anders gemacht?

      »DIE TABLETTE!«, rief sie und sprang so abrupt auf, dass sie sich die Brille von der Nase schlug. Um sie herum wurde alles schwarz und verschwommen. Schnell setzte sie sich wieder hin und tastete nach ihrer Brille. Auf einmal hörte sie, wie sich auf dem Kies etwas bewegte. Schritte.

      »Ich bin’s«, sagte die Stimme gehetzt. »Ich weiß, dass sich deine Eltern verändern.«

      Es war wieder der Junge.

      Gerade als sie sich in seine Richtung wandte, kamen schnelle, schwere Schritte über den Kies auf sie zu.

      »Du!«, grollte eine Männerstimme. »Noch mal kommst mir nicht davon, dafür sorg ich!«

      Es folgte hektisches Fußgetrappel. Panisch stand Violet auf, um sich im Haus in Sicherheit zu bringen, trat jedoch ins Leere und stürzte von der Treppe. Sie schrammte sich die Hände und Knie am Kies auf.

      »Die gehört dir«, sagte der Junge und drückte ihr die Brille in die Hand.

      Mit klopfendem Herzen setzte Violet sie auf. Weit und breit war niemand zu sehen. Sie drehte ihre Hände um. Ihre Handflächen und Knie waren blutig und ihr grauer Rock war voller Staub.

      War sie dabei, den Verstand zu verlieren?

      Diesmal hatte sie die Hand des Jungen gespürt, das konnte sie sich doch nicht eingebildet haben? Aber warum konnte sie ihn nicht sehen? Wer war er und warum folgte er ihr? Steckte er in Schwierigkeiten? Und wer war hinter ihm her?

      All diese Fragen gingen ihr durch den Kopf. Sie war jetzt noch entschlossener als zuvor, ihren Dad zu finden. In Perfect ging irgendetwas Seltsames vor und sie musste ihn überzeugen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Jetzt hatte sie immerhin einen Beweis. Ihre aufgeschrammten Hände und Knie sollten ja wohl genug sein, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

      Zum dritten Mal an diesem Tag legte sie die Strecke zwischen ihrem Zuhause und dem Ocularium zurück.

      Diesmal blieb sie nicht draußen stehen, sondern griff nach dem polierten Messingknauf und schob die Tür einfach auf. Beim Eintreten klingelte über ihr ein kleines Glöckchen.

      »Mr Archer«, rief sie.

      Keine Antwort. Der Laden war leer. Sie lief an den glitzernden Glasvitrinen vorbei und schnurstracks auf die holzvertäfelte Wand am anderen Ende des Raumes zu. Mit den Fingern fuhr sie über das glänzende Kirschholz, bis sie die vertraute Unebenheit ertastete.

      Sie drückte auf das Paneel und die Geheimtür zur Bibliothek schwang auf. Schnell schlüpfte sie hindurch.

      Hinter einer Tür auf der gegenüberliegenden Seite waren Stimmen zu hören. Auf Zehenspitzen schlich sie näher.

      »Wovon reden Sie?«

      »Wir bezahlen Sie gut, oder etwa nicht?«

      »Aber es ist einfach nicht richtig, Edward. Ich kann das nicht machen!«

      »Sie machen, was wir Ihnen sagen, und damit basta!«

      Es waren die Archers – und sie redeten mit ihrem Vater.

      Genauer gesagt stritten sie sich. Violet hasste es, wenn Erwachsene stritten, denn dabei warfen sie einander manchmal schlimme Dinge an den Kopf. Andererseits war es irgendwie auch gut. Ihr Dad klang nämlich alles andere als glücklich. Vielleicht spielte er ja auch mit dem Gedanken, der Stadt den Rücken zu kehren.

      Um die Männer nicht zu stören, schlich sie leise zurück zur Geheimtür.

      »Violet Brown!«

      Sie wirbelte herum und fand sich Edward Archer gegenüber. Er stand so dicht vor ihr, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.

      »Tut mir leid, Mr Archer, ich habe hier hinten Stimmen gehört. Ich bin auf der Suche nach meinem Dad«, stammelte sie.

      »Du hast hier keinen Zutritt, junge Dame.« Edward Archer deutete mit einer Kopfbewegung hinter sie. »Es gehört sich nicht, herumzuschnüffeln.«

      »Ich hab nicht herumgeschnüffelt. Das war ein Versehen. Ich wollte nur zu meinem Dad. Ich dachte, er ist vielleicht hier drin.«

      »Er ist gerade rausgegangen, Violet. Ich fürchte, du hast ihn knapp verpasst.«

      »Aber ich bin mir sicher, dass ich ihn gehört habe. Sie haben doch gerade noch dort drinnen mit ihm geredet.« Sie zeigte auf die Tür hinter ihm.

      »Mrs Moody hatte recht, du bist wirklich schwer zu bändigen.« Edward Archer seufzte.

      »Ich … ähm … es tut mir leid, Mr Archer«, stotterte Violet, während sie langsam Richtung Laden zurückwich. »Wahrscheinlich hab ich es mir nur eingebildet.«

      »Was ist denn mit dir passiert, Violet?«, erkundigte sich Edward. Ihr ramponiertes Äußeres schien ihm jetzt erst aufzufallen. »Hast du dir wehgetan, Liebes?«

      »Ach, ich bin bloß hingefallen. Ist nicht schlimm.«

      »Hast du deine Tabletten genommen, Liebes?«

      Sie wich noch einen Schritt zurück. Woher wusste er davon?

      »Deine Mutter hat es mir erzählt«, erklärte er lächelnd, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »AGDS ist eine schwerwiegende Störung,


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