DIAGNOSE F. Группа авторов

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nochmal! Und wozu denn, bitteschön? Zu welchem Zweck machen die das? Das ist doch vollkommen sinnlos.

      Sinnlos. Genauso sinnlos wie die Scham. Wofür soll ich mich schämen? Ich habe nichts falsch gemacht. Sagt auch Doktor Meier. Dass es nicht meine Schuld ist. Ich konnte nichts dagegen tun. Wie hätte ich es verhindern sollen, wo ich mich doch nicht mal rühren konnte?

      Ich war so hilflos. Ich glaube, deshalb schäme ich mich. Weil ich denen ausgeliefert war. Weil ich keinerlei Einfluss darauf hatte, was mit mir passiert. Nicht mal über meinen eigenen Körper hatte ich noch die Kontrolle. Was bleibt dann noch von einem übrig?

      Natürlich schäme ich mich auch, weil es einfach nur verrückt ist, was mir da passiert ist. Wie gesagt, ich bin keiner von diesen Fanatikern. Kein Gläubiger, wie sich diese Para-Heinis selbst nennen. War ich nie. Ich würde mich im Gegenteil als rationalen Menschen bezeichnen. Ich glaube nicht an Übernatürliches. Weder an Geister, Yetis noch das Ungeheuer von Loch Ness. An solche Sachen habe ich nie geglaubt. Auch nicht an kleine grüne Männchen. Wieso eigentlich grün? Sie sind doch grau.

      Ich weiß selbst, wie irrsinnig das alles klingt. Was heißt klingt? Es ist irrsinnig. Aber es ist trotzdem passiert. Einfach so. Ich habe nichts provoziert. Keine verrückten Drogenexperimente. Keine Hypnoseregressionstherapie. Ich denke mir das alles auch nicht aus, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Welche denn, bitteschön? Ich hab ja keinem davon erzählt. Nicht mal Doktor Meier. Habe mir ihm gegenüber was von sexuellem Missbrauch in der Kindheit zusammengereimt. Hat ja auch irgendwie Parallelen. Die Angst. Die Hilflosigkeit. Der Ekel. Die Wut. Die Scham.

      Es sind jetzt dreihunderteinundvierzig Tage, acht Stunden und zwölf Minuten, seit sie mich geholt haben. Nein, nicht seit sie mich geholt haben. Seit ich auf dem Schlafzimmerboden aufgewacht bin mit einem mörderischen Ziehen im Unterleib und falsch zugeknöpfter Schlafanzugjacke. Dreihunderteinundvierzig Nächte mit der Angst, dass es wieder passiert.

      Die Summe aller Gräuel. So hat mal irgendein Schriftsteller den Akt der Vergewaltigung genannt. Weiß nicht mehr, wo genau ich das gelesen habe. Schlimmer als Mord, weil das Opfer gezwungen ist, mit der Erinnerung an das Verbrechen zu leben. Doktor Meier benutzt nie das Wort Opfer. Er sagt, ich bin eine Überlebende.

      Was er wohl sagen würde, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen würde? Dass gar kein böser Onkel nachts in mein Kinderzimmer geschlichen ist. Dass überhaupt niemand geschlichen ist. Dass die einfach neben meinem Bett standen. Wie aus dem Nichts. Dass mir niemand den Mund zugehalten hat, damit ich nicht schreie. Weil ich gar nicht schreien konnte. Dass plötzlich alles schwarz wurde, und als ich aufgewacht bin, war da nur dieses grelle, gleißende Licht über mir. Das kalte Metall. Ihre Hände … Die Nadel …

      Wahrscheinlich würde Doktor Meier sachlich bleiben, wie immer. Verständnisvoll. Mitfühlend. Aber hinter seiner professionellen Anteilnahme würde ich es in seinem Blick lesen: eine Verrückte! Nicht, dass er dieses Wort jemals benutzen würde. Das ist ja nicht mehr pc. Schon gar nicht in seinem Berufsstand.

      Schlafparalyse. Out-of-body experience. Hypnagoge Halluzinationen. Irgend so eine Erklärung würde er mir auftischen. Mich in wohlklingendes Fachchinesisch einlullen. Aber hinter seiner hohen Stirn mit dem zurückweichenden Haaransatz, hinter der Fassade von Verständnis und Mitgefühl, würde ein Stempel auf meine imaginäre Patientenakte niederknallen: bekloppt. In alarmroten Großbuchstaben.

      Magensäure verbrennt mir die Schleimhäute. Steigt mir sengend die Speiseröhre herauf. Ich schmecke sie im Mund. Bitter und gallig. Ich muss was essen.

      Wenn man die Sache mal rational betrachtet: Geschichten von kleinen, nichtmenschlichen Wesen hat es schon immer gegeben. Überall auf der Welt. Man denke nur an die Mythologie der Kelten: das Kleine Volk. Oder die isländischen Elfen. Das Wort Elfe bedeutet Lichtgestalt.

      Das Licht in ihrem Operationssaal war so hell, so gleißend. So kalt …

      Zwergenmärchen. Herr der Ringe. Ist es Zufall, dass Zwerge so oft meisterhafte Schmiede sind? Vielleicht konnten sich die Menschen früher nur so erklären, dass sie über fremdartiges Metall verfügen, das es auf der Erde nicht gibt? Glänzende Raumschiffe. Chirurgischer Stahl. Das kaltweiße Aufblitzen der Nadel …

      Oder nehmen wir das Mittelalter: Inkuben. Sukkuben. Dämonen, die die Menschen nachts in ihren Schlafzimmern besuchen und zum Sex zwingen. Geschichten über den Hexenflug. Ja, selbst die Bibel berichtet von Ufo-Sichtungen und Entführungen: Hesekiels Thronwagen. Jakobs Leiter. Elias Himmelfahrt. Und was sind Engel anderes als außerirdische Lichtwesen …?

      Chronisten zufolge flohen die Sachsen 775 bei der Sigiburg nahe Dortmund vor dem Heer Karls des Großen, weil sie zwei fliegende, feurige Schilde am Himmel sahen.

      Ich muss weiterschreiben. Arbeiten. Geld verdienen. Ich habe verdammtes Glück, dass ich von zu Hause aus arbeiten kann. Nicht auszudenken, wenn ich mich jeden Tag ins Büro schleppen müsste. Aber ich kann mich so schlecht konzentrieren.

      Doktor Meier hat mir Übungen empfohlen. Massenhaft Übungen: Über-Kreuz-Übungen, um das Zusammenspiel der Hirnhälften zu fördern. Meditationsübungen, um den präfrontalen Cortex zu stärken. Auf-dem-Kopf-Lesen. Spiegelverkehrt schreiben. In einer Fremdsprache denken. I was abducted by aliens and now my life is totally fucked up.

      Nutzen Sie Ihren Aufenthalt im Hotel Rheingold, um auf Richard Wagners Spuren zu wandeln. Der Walk of Wagner führt Sie auf Ihrem Weg von der Villa Wahnfried zum Festspielhaus zu authentischen Wagner-Stätten … Der Walk of Wagner beginnt an Richard Wagners ehemaligem Wohnhaus, der Villa Wahnfried, in der das renommierte Richard-Wagner-Museum … Zu viel Wagner. Auf dem Walk of Wagner erwarten Sie Plastiken des renommierten Bildhauers Ottmar Hörl … Ach, scheiße!

      Wen interessiert das denn? Meine Schädeldecke zerspringt gleich. Ich brauche ein Aspirin. Besser gleich zwei oder drei. Wird meinem Magen nicht gerade guttun, aber was soll’s? Schlucke ich halt nachher noch ein Rennie.

      Mysteriöse Kreatur am Strand angespült. Ein See-Alien? Nein, das Ding, das da am australischen Leighton Beach angeschwemmt wurde, ist keiner von denen. So sehen sie nicht aus. Das ist nur eine verweste Robbe, von der die Fische ein paar Teile abgebissen haben.

      Schon komisch: Seit den Vierzigerjahren sehen die Leute überall Außerirdische. Roswell. Der Gorman Dogfight. Betty und Barney Hill. Dann natürlich die Filme: Kampf der Welten. Unheimliche Begegnung der dritten Art. E. T. Muss wohl irgendwie einen Nerv getroffen haben, das Thema.

      Erst Filme. Dann Fernsehserien. Star Trek. Akte X. Nicht zu vergessen: das Merchandising. Massenhaft liebenswert-niedliche oder abstoßend-grässliche Alien-Püppchen zum In-die-Vitrine-Stellen. Gummimasken mit riesigen schwarzen Augen. Zum Kotzen! Wenn die wüssten, wie es sich anfühlt, von solchen Augen angestarrt zu werden. Wie sie sich einem in die Seele bohren und man jegliche Kontrolle …

      Außerirdische sind überall. In den Schaufenstern. Im TV. Auf T-Shirts. In Büchern. Es gibt Fachzeitschriften über Präastronautik und kleine Plastikfiguren mit winzigen Organen zum Autopsie-Spielen fürs Kinderzimmer. Sie stieren einem von graffitibeschmierten U-Bahn-Tunnels und Baseballmützen entgegen. Aber keiner glaubt an sie. Nur diese Spinner aus den Foren. Und ich.

      Gibt es in Australien überhaupt Robben? Mal googeln. Australische Tierwelt. 15 Tiere, die es sonst nur in Zoos gibt. Koalas. Kängurus. Klar, kennt jeder. Gefährliche Tiere in Australien. Brown snakes. Würfelquallen. Angst vor Spinnen und Insekten? Sydney-Trichternetzspinne. Gespenstschrecke. Australische Riesenmantis …

      O Gott! Diese Augen! Eine grüne Gottesanbeterin. Auch die Augen mit den stecknadelkopfgroßen Pupillen sind grün. Aber sonst … Genau wie bei ihnen. Riesige Insektenaugen, seelenlos, gefühllos – o Scheiße! Mir wird schlecht. So schlecht … Krieg keine Luft mehr. So übel … Kann nicht atmen … O


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