DIAGNOSE F. Группа авторов
der Wanduhr. Die Fernsehstimmen im Hintergrund. Ich spüre die Tischplatte unter meinen Händen. Die Sessellehne im Rücken. Den Boden unter den Füßen.
Ich sehe den Bildschirm. Ich sehe die Topfpflanze, eine Grünlilie. Ich höre ein Auto unten auf der Straße. Die Wanduhr. Ich spüre die Maserung der Schreibtischplatte unter den Fingerspitzen. Den Stoffbezug der Armstützen an den Ellenbogen. Ich sehe meine leere Kaffeetasse. Ich höre, wie jemand hupt. Ich spüre das glatte Porzellan der Tasse in meiner Handfläche.
5–4–3–2–1. Hat mir Doktor Meier beigebracht. Eine Stabilisierungstechnik für Traumatisierte: bewusste Wahrnehmung der Außenwelt, um dem Abdriften in Flashbacks entgegenzusteuern, sich durch die Konzentration auf unmittelbare Sinneseindrücke wieder in der Gegenwart zu verankern. Reorientierung, wie Meier dazu sagt.
Es hilft. Ich kann wieder atmen. Bin wieder im Hier und Jetzt. Nicht mehr bei denen. Langsam beruhigt sich mein Herzschlag wieder. Ein klein wenig zumindest. Meine Hände sind schweißnass. Ich wische sie an meiner Hose trocken. Fühle den Jeansstoff unter den Handballen. Rau. Vertraut. Gut.
Die Nächte sind schlimm. Aber die Flashbacks sind die Hölle. Warum tun die mir das an? Kranke kleine graue Wichser. Ich hasse sie. Auserwählt – am Arsch!
Mich hasse ich auch. Meinen Körper. So hilflos. Nutzlos. Wertlos. Konnte mich nicht bewegen. Die haben mich angefasst. Überall. Ich bin besudelt. Dreckig. Ich würde mir am liebsten die Haut abziehen. Abziehen und verbrennen.
Es tut mir leid. Doktor Meier sagt, ich soll lieb zu mir sein. Meine Haut kann nichts dafür. Mein Körper ist nicht schuld an dem, was die mit ihm gemacht haben. Ich bin nicht schuld. Ich bin unschuldig. Ich kann nichts dafür. Ich kann überhaupt nichts dafür, verdammt. Ich weiß das. Aber ich hasse mich trotzdem.
Und ich schäme mich so. Das vor allem. Es ist eine Sache, zu wissen, dass die Scham unbegründet ist. Natürlich weiß ich das. Ich. Konnte. Nichts. Dafür. Eine andere Sache aber, eine ganz andere, ist es, das auch zu fühlen.
Die haben mich erniedrigt. Gedemütigt. Benutzt haben sie mich. Die haben mich benutzt! Nicht als Sexualobjekt, wie etwas Begehrenswertes, sondern wie … wie Vieh. Als Laborratte. Die haben mich nicht als Mensch wahrgenommen. Oder doch? Sind wir Menschen für sie das, was für uns Labortiere sind? Dann gnade Gott uns allen.
Nach den Flashbacks bin ich immer hellwach. Das Adrenalin schießt noch durch meine Adern, putscht mich auf. Mein Puls ist zu schnell. Hat mir auch Doktor Meier gezeigt: Pulsmessen.
Ist gar nicht so einfach wie in den Filmen. Ich habe meine Finger früher mittig auf die Pulsadern gepresst. Dabei muss man unterhalb des Daumens fühlen. Arteria radialis. Nicht zu fest drücken. Dann dreißig Sekunden lang zählen. Dabei komme ich oft raus. Anschließend mal zwei und das ergibt den Puls pro Minute. Siebenundsechzig Schläge habe ich gezählt, mal zwei … hundertvierunddreißig.
Ich muss mich beruhigen. Ich gehe zum Fenster. Öffne es. Schaue runter auf die Straße. Die parkenden Autos. Eine Frau führt ihren Hund Gassi. Ein Shih-Tzu. Oder ein Havaneser. So was Wuscheliges halt. Pinkelt an die Laterne. Der Hund, nicht die Frau. Haha. Ich kann ja richtig witzig sein. Dann ist ja alles nur halb so schlimm, oder?
Die Luft ist angenehm kühl. Klärt meine Gedanken. Ich wüsste gern, ob das irgendwann aufhört. Nicht nur die Flashbacks. Nicht nur dieser Ekel vor mir selbst. Das alles. Die durchwachten Nächte. Die Konzentrationsschwäche. Die ganze unnütze Grübelei. Grübele ich gerade darüber nach, ob die Grübelei aufhört?
Ich frage mich, ob ich mich jemals wieder auf eine Toilette setzen kann. Oder mich im Winter am Treppengeländer der U-Bahn-Unterführung festhalten. Vermeidungsstrategie nennt man das, was ich mache beziehungsweise nicht mache. Habe ich gelesen. Doktor Meier kann ich ja nichts davon erzählen. Von dem Metalltisch. Verträgt sich nicht mit der Böser-Onkel-Story.
Ich glaube, ich gehe mal wieder zurück an den Computer. Sonst wird dieser Scheißwerbetext nie fertig.
Ich bin plötzlich so müde. Meine Gedanken kreisen. Kann kaum noch die Augen offen halten. Ich muss schlafen gehen. Habe mir ein extrabreites Sofa gekauft. Das Bett ist auf dem Sperrmüll gelandet. Dort habe ich mich nicht mehr wohlgefühlt, ausgeliefert irgendwie. Noch so eine Vermeidungsstrategie …
Es ist erst 19:28 Uhr. Das wird wieder eine beschissene Nacht werden. Eine beschissene Nacht nach einem ganz normalen Tag. In der Hölle.
Ich schlüpfe in mein Nachthemd. Ich trage keine Schlafanzüge mehr. Kann ich nicht. Ich würde immer an die Knöpfe denken. An den dritten Knopf von oben im vierten Loch. Und an den Knopf ganz unten, der keinen Platz zum Reinschlüpfen mehr gefunden hat. An die Falte zwischen Knopf zwei und Knopf drei, wo sich der Stoff aufbläht wie ein Segel.
Durchs All reisen, aber ein einfaches Pyjamaoberteil nicht zuknöpfen können. Das sind mir die Richtigen. Ganz schön schlampig, solche Beweise zu hinterlassen. Oder war das Absicht? Wollen die vielleicht, dass ich mich erinnere? Um mir zu sagen, dass das nicht alles war? Dass sie wieder kommen? Ich darf jetzt nicht an sowas denken.
Mir ist so komisch. Ich bin so müde, dass ich kaum die Augen aufhalten kann. Andererseits kribbelt alles in mir, als würden Ameisen durch meine Blutbahn kriechen. Ich vibriere geradezu vor Unruhe. Das ist nicht normal. Scheiße, das ist nicht normal! Es ist wie damals …
Beruhig dich! Ich denke an Doktor Meier. 5–4–3–2–1.
Ich sehe das bläuliche Flimmern des Fernsehers. Das Fußende der Couch. Die Leuchtziffern des Weckers. Den Umriss des Fensters. Das Licht der Straßenlaterne davor. Ich höre die Fernsehstimmen. Das Brummen des Kühlschranks aus der Küche. Das Ticken der Wanduhr. Ein Auto fährt vorbei. Hupen.
Ich spüre das Sitzpolster an meinem Rücken. Das Kopfkissen an meiner Wange. Das Gewicht der Daunendecke. Die glatte Oberfläche des Nachttischchens unter meinen Fingerspitzen. Das Wasserglas. Ich sehe das Fernsehflimmern. Das Fensterkreuz. Das Laternenlicht. Die Sofalehne.
Ich höre … nichts. Nichts! Es ist totenstill. Der Fernseher flimmert nicht mehr. Nur noch ein starrer blauer Schein wie vom Testbild fällt durch die Tür.
Die Atmosphäre im Zimmer ist plötzlich dichter. Eine seltsame Schwere liegt in der Luft. Drückt nach unten. Wie vor einem Gewitter. Meine Haut juckt. Überall.
Nein! Nein!! Bitte nicht. Nicht nochmal. Nicht nochmal, bitte! Jemand steht neben mir. O Gott!! Sie sind da. Wie aus dem Nichts. Bin wie gelähmt. Kann nicht schreien. Geht weg! Bitte! Geht weg!
Einer von ihnen kommt näher. Nicht! Weg, bitte geh weg! Sein Gesicht ist so nah. Die Augen. So groß. So dunkel. Kann nicht wegsehen. Er starrt mich an. Starrt in mich hinein. Diese Augen. Saugen mich auf wie schwarze Löcher. So dunkel. So tief … Ich versinke …
Licht. Hell. Gleißend. Wie beim letzten Mal. Aber ich liege nicht. Kein Stahltisch. Ich stehe. Bin angezogen. Kaltes Metall unter meinen nackten Fußsohlen. Ich blinzele. Blinzele nochmal. Meine Sicht klärt sich.
Da sind sie. Es sind so viele. Sie reichen mir nicht mal bis zur Brust. Da ist auch der Tisch. Etwas liegt darauf. Nein. Es sitzt. Jemand. Jemand sitzt darauf. Jemand, der noch viel kleiner ist als sie.
Taubengraue glatte Haut. Ein birnenförmiger Kopf. Lippenloser Mund. Zwei schlitzförmige Nasenlöcher ohne Knorpel. Genau wie sie.
Aber die Augen … die sehen aus wie meine.
Diagnostischer Kommentar
In dieser Geschichte wird in der Ich-Form erschreckend plastisch und nachfühlbar (soweit das überhaupt für Nichtbetroffene möglich ist) von einer Traumatisierung und ihren Folgen erzählt. Hier ist die Traumatisierung Folge einer Entführung durch Aliens und eines Eingriffs in den Körper der Protagonistin gegen ihren Willen, verbunden mit massiver Angst und Hilflosigkeit.
Auch ohne die Entführung Außerirdischer finden