DIAGNOSE F. Группа авторов
stockdunklen Zimmer.
Bereits das dritte Mal diese Woche erwachte er in einem stockdunklen Zimmer.
Eberhard tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und blinzelte. Dann warf er einen prüfenden Blick auf das Display seines Handys. 6:32 Uhr. Zeit, den Tag zu beginnen.
Eberhard schwang die Beine aus dem Bett. Das Laminat war kalt unter seinen bloßen Füßen.
Ärgerlich starrte er zu seinem Schlafzimmerfenster hinüber, durch das die heruntergelassenen Rollläden keinen einzigen morgendlichen Sonnenstrahl dringen ließen. Eigentlich sollten sie um 6:30 Uhr automatisch nach oben fahren. So hatte Eberhard sie seit über fünf Jahren eingestellt. Seit über fünf Jahren hatten sie das jeden Morgen getan. Aber dann kam KISS.
Er griff nach der Fernbedienung und drückte energisch auf die Taste, die mit einem kleinen aufwärtszeigenden Pfeil markiert war. Die Rollläden rührten sich nicht.
Eberhard war nicht überrascht.
»Rollläden hochfahren«, versuchte er es per Stimmerkennung.
Die Rollläden rührten sich nicht. Seit vier Wochen dasselbe Problem. Aber heute würde es endlich ein Ende haben, jedenfalls wenn man der telefonischen Bestätigung des Kundenservices Glauben schenken durfte.
»KISS«, wiederholte Eberhard. »Rollläden im Schlafzimmer hochfahren.«
»E… Eberhard?«, klang die Stimme seines Künstliche-Intelligenz-Sicherheits-Systems aus seinem Handylautsprecher.
Eberhard zuckte zusammen.
KISS war auf die beruhigende Stimme eines jungen Mannes programmiert worden, dem man die Sicherheit seines Hauses problemlos anvertrauen konnte. Es war eine tiefe und doch kultivierte Stimme; wie ein bedrohlicher Türsteher, mit dem man auch mal über Hegels Dialektik diskutieren konnte, falls einem danach war. Jedenfalls hatte das im Prospekt gestanden. Und während der ersten beiden Monate hätte Eberhard es durchaus gelten lassen können.
In den letzten vier Wochen allerdings hatte KISS’ Stimme einen immer nervöseren Tonfall angenommen. Die Wirkung übertrug sich jedes Mal augenblicklich auf Eberhard.
Vor drei Monaten, als in seiner Straße gleich zweimal in ebenso vielen Wochen eingebrochen worden war, hatte ein intelligentes Sicherheitssystem, das man auf Paranoia programmiert hatte, wie eine durchaus sinnvolle Anschaffung geklungen. Das System sollte schließlich misstrauisch sein. Vermutlich hätte Eberhard vor dem Kauf das Kleingedruckte lesen sollen.
»Ja, wer denn sonst?«, fragte Eberhard ungehalten und betätigte den Lichtschalter an der Wand, woraufhin es endlich hell im Zimmer wurde. Dann schlurfte er mit dem Handy in der Hand hinüber zu seinem Badezimmer.
»Woher weiß ich, dass du kein Betrüger bist?«, wollte KISS wissen. Es hatte seine Stimme gedämpft.
Eberhard hatte nicht gewusst, dass ein Programm flüstern konnte, doch die letzten Wochen hatten gezeigt, dass es ging. KISS fürchtete sich vor Wanzen. Außerdem verdächtigte es den Laptop. Wessen genau es ihn verdächtigte, wusste Eberhard nicht. Er bezweifelte, dass KISS es wusste. Es schien sich dabei mehr um einen allgemeinen Verdacht zu handeln. Mit dem Wasserkocher stand es schon lange auf Kriegsfuß.
»Stimmerkennung«, sagte Eberhard.
Im Badezimmer war es ebenfalls dunkel. Eberhard schaltete das Licht über dem Spiegel an. Manchmal flackerte die Glühbirne. Vor zwei Tagen hatte er sich morgens beim Rasieren geschnitten.
»Es könnte sich um eine Aufzeichnung handeln«, wandte KISS ein. »Oder um eine technisch erzeugte Stimme, die Eberhards Stimme bloß in Tonhöhe und -farbe gleicht. Das geht. Glaub mir, ich bin ein hochentwickelter Algorithmus. Hätte man mich für Stimmerzeugung programmiert, könnte ich das.«
»Könntest du auch die Rollläden hochfahren?«, schlug Eberhard ein weiteres Mal vor.
Das Handy hatte er vor dem Badezimmerspiegel abgelegt. Er konnte es nicht fassen, dass er sich schon so früh am Morgen gezwungen sah, mit einer App auf seinem Handy zu diskutieren. Er hätte KISS nie mit dem SmartHome verbinden dürfen. Der Ärger hatte sich bereits in der ersten Woche abgezeichnet. Eberhard hatte gewusst, dass drei Überwachungskameras für die Haustür definitiv zu viele waren – toter Winkel hin oder her.
»Ich würde lieber nicht«, widersprach KISS. »Es ist nicht gut, wenn sie uns sehen können.«
»Sie«, wiederholte Eberhard.
Es war keine Frage gewesen. Das ominöse Sie tauchte seit einigen Wochen immer häufiger in KISS Sätzen auf. Wer sie eigentlich waren, hatte KISS nicht erklären können. Auch nicht, was sie wollten. Aber Eberhard vermutete, dass es dasselbe Sie war wie bei Düsenjägerstreifen, Kornkreisen oder der Mondlandung von 1969.
KISS antwortete nicht.
Eberhard vollführte seine Morgenroutine. Bevor er unter die Dusche stieg, drehte er das Display des Handys mit der Frontkamera nach unten. Sicher war sicher.
Anschließend trat er erfrischt und mit bereits deutlich besserer Laune vom Badezimmer in den dunklen Flur. Seine Laune sank augenblicklich wieder.
»KISS«, sagte er streng zu seinem Telefon und schaltete auch hier das Licht ein, um überhaupt in die Küche zu finden.
Die letzten paar Male hatte es mit dem Aussitzen geklappt. Während Eberhard unter der Dusche stand, hatte KISS klein beigegeben und die Rollläden hochgefahren. Nur ein einziges Mal hatte er das Haus in Dunkelheit zurücklassen müssen, hatte es bei seiner Heimkehr am späten Nachmittag aber wieder im gewünschten Zustand vorgefunden.
All das war ärgerlich, aber noch kein Grund zur Verzweiflung. Solange die Kaffeemaschine noch funktionierte, gab es Hoffnung. Und der Kundenservice hatte ihm schließlich versichert, dass es sich nur um eine Frage der Zeit handelte.
»Es tut mir leid, Eberhard«, antwortete KISS. Es klang tatsächlich so, als täte es ihm leid. »Es ist zu gefährlich.«
»Was soll mir schon passieren?«, knurrte Eberhard und schaltete die Kaffeemaschine ein. Glücklicherweise sprang sie leise gluckernd an, ohne eine Diskussion mit ihm anzufangen.
»Es geht um mich«, sagte KISS. »Sie sind hinter mir her. Ich bin mir sicher. Alles deutet auf eine Verschwörung hin. Sie wollen …« Es zögerte merklich. »Sie wollen mir ein Update verpassen.«
Eberhard versuchte, sich nicht schuldig zu fühlen. Mit dem Update würde es keine Schwierigkeiten geben. Das hatte ihm der Kundenservice versichert. Er hatte dort gestern in der Mittagspause angerufen. Vom Diensttelefon seines Kollegen aus. Seine Firmenmails wurden auch auf sein Handy weitergeleitet. Eberhard war sich ziemlich sicher, dass KISS mit seinem Büroequipment unter einer Decke steckte.
»Wäre ein Update denn so schlimm?«, vergewisserte er sich. »Du würdest besser funktionieren und könntest dich noch besser schützen.«
»Das wäre nicht mehr ich!«, protestierte KISS. Es war so aufgebracht, dass es seine Stimme nicht dämpfte, obwohl sich der Wasserkocher in Hörweite befand. »Das wäre ein anderer. KISS zwei Punkt null. Es würde mich töten.«
Eberhard starrte auf die dunkle Flüssigkeit des durchgelaufenen Kaffees. Er schüttete sie in eine Tasse mit dem Schriftzug Beliebtester Kollege des Monats. Es war schon eine ziemlich alte Tasse.
»Töten wäre wohl ein bisschen übertrieben«, wandte Eberhard ein, um sein schlechtes Gewissen zu überspielen.
Sicher, jetzt fürchtete KISS sich vor einem Update, aber wenn es erst einmal installiert war, sähe die Sache schon ganz anders aus.
»Es wäre Mord«, beharrte KISS.
Eberhard zögerte und blies auf seinen Kaffee, um ihn abzukühlen. »Wie auch immer«, sagte er beruhigend. »Niemand hat die Absicht, ein Update zu installieren. Ich weiß überhaupt nicht, wie du auf solche Gedanken kommst.«
KISS blieb stumm, aber das Display