DIAGNOSE F. Группа авторов
Arzttermin.
Als sie auf die Straße trat, verrauchte ihre Wut langsam.
Dass die Gestalt sie an jemanden erinnerte, bemerkte sie erst, als der Mann fast an ihr vorbei war. »Masquerade? Bist du das?«
Der Nickname war passend gewählt. Die Hautverfärbung rings um seine Augen war unverkennbar, obwohl der Avatar des Mannes schlanker, kräftiger und mindestens zehn Jahre jünger war als sein Alter Ego im echten Leben.
Der Mann musterte sie. Dabei legte er den Kopf leicht schief. Eine Geste, die man bei Multilinkusern häufig beobachten konnte.
Er ruft ab, dachte Francesca und spürte einen Stich im Bauch. Er sucht im Netz nach mir.
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. »Onrovi. Wir haben uns länger nicht mehr getroffen, oder? Wo bist du denn gerade?«
Na, hier vor dir, wollte Francesca antworten, als ihr klar wurde, dass Masquerade gar nicht ihren physischen Aufenthaltsort meinte. Sie war für ihn nicht online gelistet. »Ich bin nicht im Netz. Ich hatte Probleme mit dem Chip. Er hat sich selbst abgeschaltet. Aber sicher kann ich bald wieder …«
»Ich habe im Moment keine Zeit. Muss weiter und noch ein wenig arbeiten.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung über dem Kopf, die wohl andeuten sollte, dass seine Arbeit virtueller Natur war. Ohne Gruß ließ er Francesca stehen.
Konsterniert sah sie ihm nach. Mit Masquerade hatte sie einen ihrer höchsten Freundschafts-Scores gehalten. Doch sie war raus. Raus aus dem Netz. Durch die Maschen gefallen.
Francesca ging weiter und dachte über die psychischen Beeinträchtigungen nach, die ihr der Arzt attestiert hatte. Wir haben noch zu wenig Informationen zu Ihrer Art von Beschwerden, Frau Ivorno. Durch das Versagen von Multilinkeinrichtungen verursachte psychische Störungen sind bislang kaum untersucht. Die Einflüsse sind vielfältig. Es können organische Schäden zugrunde liegen, der Verlust des Chips selbst kann traumatisieren, der Wegfall des gewohnten Umfelds ruft Stress hervor.
Natürlich hatte sie sich elend gefühlt. Sie hatte mit dem Ausfall auf einen Schlag ihr gesamtes soziales Umfeld verloren. Die Verbindung zum Netz hatte plötzlich gefehlt. Den ständigen Zugriff auf Information und Zerstreuung gab es nicht mehr. Sie hatte nichts mit sich anzufangen gewusst. Massive Entzugserscheinungen quälten sie.
Die ärztliche Analyse ergab, dass sich der Multilinkchip wegen einer Fehlfunktion selbst abgeschaltet hatte. Minimale Verletzungen der Hirnmasse in seiner Umgebung deuteten darauf hin, dass es zu einer erhöhten Wärmeabgabe gekommen war.
Eine Ursache hatte der Arzt nicht nennen können. »Möglicherweise hat Ihr Körper eine Abstoßungsreaktion gezeigt, die den Chip in Mitleidenschaft gezogen hat. Die Blutwerte stützen diese These. Allenfalls eine Untersuchung des Implantats selbst könnte die Frage endgültig beantworten. Davon möchte ich aber abraten. Die Gefahr weiterer Verletzungen durch eine Inbetriebnahme oder Extraktion des Chips ist viel zu hoch.«
Die Lösung war die Infusion von Nanoagenten, und heute war es endlich soweit. Sie beschleunigte ihre Schritte.
Eine halbkugelförmige Haube hing an einem Dutzend Kabeln über Francescas Kopf. Das Behandlungszimmer war blütenweiß eingerichtet, und die blankgeputzten, weiß lackierten Gerätschaften glänzten steril im Licht der Behandlungslampe. Ein leises Brummen ging von der Haube aus.
Doktor Marcin Malecha betrat das Zimmer und griff nach dem Tablet, auf dem ihre Krankenakte geöffnet war. Er blätterte in der Akte, indem er über das Display wischte. Dabei hinterließ er feuchte Schlieren. »Ich möchte mir heute noch einmal Ihre Gehirnstruktur in der näheren Umgebung des Chips ansehen, zur abschließenden Vorbereitung des Eingriffs«, sagte er schließlich, leckte sich die Lippen und zog das Bedienfeld der Haube zu sich heran.
»Aber das haben wir doch schon in den letzten beiden Sitzungen gemacht.«
Ihr Arzt tippte konfus auf das Bedienfeld. Er schien immer wieder Auswahlschritte rückgängig machen zu müssen. »Ich möchte gerne detailliertere Aufnahmen erstellen. Je mehr wir über Ihren Fall in Erfahrung bringen, desto besser können wir Erkrankten in Zukunft helfen.«
Francesca sah ihn irritiert an. Waren das Schweißperlen auf seiner Stirn? »Das haben Sie mir schon erklärt. Wieso wiederholen wir die Untersuchung nochmals? Ich dachte, wir führen heute die Nanoagenten-Infusion durch?«
Er starrte sie schweigend an. Sein Adamsapfel hüpfte, als er schluckte. »Nun … ja, das machen wir auch noch. Jedenfalls brauche ich ein paar ergänzende Werte.« Er konzentrierte sich wieder auf das Bedienfeld. Die Haube senkte sich ab, bis sie knapp über Francescas Schädel zum Stillstand kam.
Wieso wirkte er so nervös? Sie hatte ihn stets entspannt und freundlich kennengelernt. Selbst wenn sie herumzickte, war er immer ruhig geblieben. Was für Messungen mochten das sein, die er in den letzten Sitzungen noch nicht durchgeführt hatte?
»Ich verstehe, dass Sie Angst haben«, fuhr er fort. »Der Eingriff ist psychisch belastend, und in Ihrem Zustand werden Ängste möglicherweise verstärkt. Sie empfinden dann Emotionen, die überhaupt keine Grundlage in der Realität haben. Sie haben doch Ihre Tabletten genommen?«
War das der Grund? Gaukelte ihr Geist eine Bedrohung vor, die es gar nicht gab? Sie blinzelte, musterte den Mann vor sich. Es war warm hier unter der Behandlungslampe. Schwitzte er deshalb? War er nervös, weil er um ihren labilen Zustand wusste? Natürlich hatte sie Angst vor der Infusion. Aber deswegen musste sie doch nicht hinter jedem Busch einen Mörder sehen. Sie lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen.
Die Haube senkte sich etwas weiter ab, sodass Francesca gerade noch darunter hindurchsehen konnte. Sie wischte ihre feuchten Finger an der Hose ab und trommelte mit ihnen auf ihrem Oberschenkel. Das Brummen der Haube schwoll an, als Doktor Malecha mit einem letzten energischen Fingerdruck die Eingabe abschloss. Daraufhin beobachtete er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen die Darstellungen auf dem Bildschirm des Bedienfelds. Er wirkte wieder ausgeglichen.
Für Sekundenbruchteile flackerte eine durchscheinende Gestalt in Francescas Gesichtsfeld auf. Sie blinzelte mehrmals. War das erneut eine Halluzination?
Dann war unvermittelt das Netz zurück. Nur einen winzigen Augenblick lang, aber sie spürte die Informationsströme deutlich. Verloren geglaubte Erregung mischte sich mit Angst. »Was tun Sie mit meinem Chip?«
Der Arzt schreckte auf. Irritiert schwenkte sein Blick von ihr zu seinem Display und zurück. Mit fahrigen Handbewegungen bearbeitete er das Bedienfeld. Seine Stirn glänzte wieder vor Schweiß.
Schmerz bohrte sich in Francescas Kopf. Er aktiviert den Chip! Das ist gefährlich, das hat er mir selbst gesagt! Panik schwappte in ihr hoch. Dann riss die Verbindung ab.
»Es ist alles in Ordnung«, versuchte der Arzt sie zu beruhigen, doch es klang nicht besonders glaubwürdig.
»Ich hatte Kontakt!«
Er sah sie an. »Das kann nicht sein. Das muss Einbildung sein.«
Wieder schien sie Anschluss an das Netz zu bekommen. Sie nahm Stimmen wahr. Bekannte Stimmen, die durcheinanderredeten. Waren das Sprachnachrichten, die unkontrolliert abgerufen wurden? Das Stimmengewirr brach abrupt ab. Francesca fiel auf, dass sie ihre Augen fest geschlossen hatte. Sie schlug sie auf.
Der Arzt streckte ihr in der flachen Hand eine gelbe Pille entgegen. »Nehmen Sie die, das wird helfen.«
Der Schmerz hinter ihrer Stirn wuchs an, verwandelte sich zu einem scharfen Stechen. Die Erinnerung an den Tag, an dem ihr Chip versagt hatte, brach wieder hervor. Sie schrie auf. Genauso hatte es sich angefühlt. Das soll endlich vorbei sein!
Die Pille flog in hohem Bogen davon, als sie die dargebotene Hand beiseite schlug. »Ich will Ihr Zeug nicht!« Sie griff an die Haube.
Der Arzt wollte sie daran hindern, aber sie stieß ihn in einer heftigen Reaktion von sich. Er wich einen Schritt zurück, ließ sie gewähren, während sie sich unter der Haube hervor