DIAGNOSE F. Группа авторов
in der gesamten Nachbarschaft ein möglichst sicheres Umfeld zu gewährleisten. Es gibt Gerüchte. Wir alle fürchten uns.«
Eberhard verschluckte sich an seinem Kaffee. Er war noch sehr heiß.
Das mit der Verbindung zu den anderen Sicherheitssystemen hatte er nicht gewusst. Vermutlich sollten die Endverbraucher es auch nicht wissen, und deshalb musste KISS gezögert haben.
Es war eine von diesen Informationen, die man in den Handbüchern zwar fand, aber nur, wenn man wirklich sehr ausführlich danach suchte. So in etwa wie: »… Zur Sicherheit werden Kopien aller Kameraaufzeichnung auf einen externen Server hochgeladen, wo Sie und jeder andere Interessierte sie jederzeit einsehen können …« oder »… Zur Verbesserung Ihres Verbrauchererlebnisses wird eine Liste all ihrer Käufe an einen anonymen Online-Versandhandel weitergeleitet …«
Es war diese Art von Informationen, die die Kunden verunsicherte und auf lange Sicht ebenso paranoid werden ließ wie KISS. Manchmal vermutete Eberhard fast, dass KISS in Wahrheit nicht paranoid, sondern einfach nur viel zu gut informiert war.
»Seit sie das neue Update herausgebracht haben, sind schon zwei Sicherheitssysteme in dieser Straße verschwunden. Seit drei Tagen schon kommt keine Antwort mehr von Frau Muschgs Haus gegenüber.«
Bedächtig schlürfte Eberhard seinen Kaffee.
Frau Muschg war die Erste, die sich nach den Überfällen ein KISS installiert hatte. Ihr Garagentor hatte sich seit über einer Woche nicht mehr öffnen lassen, und sie hatte mit dem Bus zur Arbeit fahren müssen. Ihr KISS misstraute dem Rasenmäher.
Seit drei Tagen jedoch arbeitete das elektronische Garagentor wieder reibungslos.
»Ich bin sicher, es ist nichts«, sagte Eberhard unverbindlich.
Es klingelte an der Tür.
Erleichtert seufzte Eberhard auf. Der Kundenservice hatte ihm versichert, dass sie jemanden vorbeischicken würden, bevor er zur Arbeit musste. Seine häusliche Situation war inzwischen einfach unhaltbar.
»Wer ist das?!« KISS’ Stimme klang schrill.
»Sicher nur der Postbote«, sagte Eberhard.
Er drückte auf den Knopf, der die elektronische Tür entriegeln sollte. Nichts rührte sich.
»KISS!«, sagte er ärgerlich und fühlte jetzt doch leichte Panik in sich aufsteigen. Eingeschlossen hatte es Eberhard bisher noch nie.
»Wir können nicht sicher sein, ob es wirklich der Postbote ist«, murmelte KISS. Es klang, als würde es eher mit sich selbst als mit Eberhard sprechen.
Der Bildschirm neben der Tür flackerte ins Leben. Er zeigte per Kameraüberwachung die Türschwelle – aus drei verschiedenen Winkeln.
Dort stand ein Mann in der gelb-schwarzen Uniform der Post. Er hielt ein Päckchen in der Hand.
»Siehst du, der Postbote«, sagte Eberhard erleichtert.
Auch das war am Telefon abgesprochen worden. Erfahrung hatte gezeigt, dass die veralteten Sicherheitssysteme ziemlich findig waren, wenn es um Selbstschutz ging. In gewissem Sinne war die paranoide Programmierung ein ordentlicher Misserfolg und zugleich höchst effektiv.
»Kommt mir komisch vor«, bemerkte KISS. Einer der Bildausschnitte wurde vergrößert. »Er wirkt nervös, findest du nicht?«
»Nein«, log Eberhard. »Völlig unverdächtig.«
Für ihn sah der Mann verlegen aus.
»Und warum schicken sie einen Menschen?«, fuhr KISS fort. »Die werden doch kaum noch für Dienstleistungen eingesetzt. Vollkommen überholt. Nicht belastbar.«
»Es gibt immer noch die Quotenmenschen«, wandte Eberhard ein.
Der Postbote klingelte jetzt ein zweites Mal. So dicht neben der Tür war das Geräusch sehr laut. Eberhard verzog das Gesicht.
»Wir sollten ihm jetzt aufmachen«, sagte Eberhard und betätigte erneut den Knopf, der die Tür öffnen sollte.
Erneut rührte die Tür sich nicht.
»Hast du überhaupt etwas bestellt?«, fragte KISS noch misstrauischer. »Ich habe deinen Internetverlauf gesehen. Wir erwarten nichts.«
Eberhard räusperte sich. Natürlich, daran hätte er wirklich denken müssen. Er hätte ein Buch oder so bestellen können, um KISS’ Misstrauen zu besänftigen. Allerdings wäre dann vielleicht der richtige Postbote aufgetaucht. Wenn man mit einem paranoiden Sicherheitssystem lebte, wurde man selbst schnell paranoid, stellte Eberhard fest.
Über den Bildschirm konnte Eberhard beobachten, wie der Postbote sich zum Gehen wandte. Ein weiteres Mal drückte er den Knopf.
»Jetzt mach schon auf, KISS«, bat er und klang jetzt selbst schrill.
»Tut mir leid, Eberhard, ich kann das Risiko nicht eingehen.«
Eberhard blickte auf das Handy in seiner Hand. Er erinnerte sich, was in den FAQs des Kundenzentrums gestanden hatte. Er tat es nicht gerne, aber ihm blieb keine Wahl.
Kurzerhand schaltete er das Handy aus.
Natürlich war KISS noch immer mit dem SmartHome verbunden, aber der Neustart der App verbrauchte in der Regel so viel Energie, dass die manuelle Handhabung wieder möglich wurde.
Mit einem letzten Blick auf das schwarze Display seines Handys betätigte Eberhard den Türknopf. Diesmal glitt die Tür zur Seite.
»Warten Sie!«, rief er dem Postboten hinterher, der beinahe wieder die Straße erreicht hatte.
Der Mann drehte sich um, grinste und kam zurück.
»Hat Sie nicht rausgelassen, wie? Ja, manchmal macht das alte Programm das. Aber keine Sorge, das haben wir gleich«, sagte er und klopfte auf das Päckchen in seiner Hand.
»Sollten wir das Update nicht lieber im Freien installieren?«, schlug Eberhard ängstlich vor. Die Vorstellung, in seinem eigenen Haus gefangen zu sein, hatte ihm ganz und gar nicht behagt.
»Kein Problem, wirklich«, sagte der Mann und schob sich an Eberhard vorbei in den künstlich beleuchteten Flur. »Hat Ihnen ja wirklich übel mitgespielt«, stellte er mit einem Blick auf die geschlossenen Rollläden fest, als Eberhard ihn in das abgedunkelte Esszimmer führte.
Geschlagen nickte Eberhard nur. »Sie haben das Problem wohl öfter?«, erkundigte er sich und sah zu, wie der Mann das Päckchen aufriss und ein Tablet samt Kabel daraus hervorzauberte.
»Ständig«, bestätigte der Servicemitarbeiter. »Wir haben versucht, das Update von unseren Kunden selbst installieren zu lassen. Aber KISS löscht ständig deren Mails, außerdem schreibt das Programm selbstständig seinen Code um, um sich zu schützen. Wirklich ganz schön paranoid, die Dinger.«
Der Mann lachte und schloss Eberhards Handy an das Tablet an. Dann begann er wie wild, Zahlenreihen darauf zu tippen.
Eberhard war froh, dass man ihm diesen Teil der Arbeit abnahm. Davon, wie seine Produkte funktionierten, verstand er nicht viel. Er kaufte sie bloß.
»Aber wir sind hiermit sicher fertig, bevor die App wieder ganz hochgefahren ist. Dann ein Neustart und alles kein Problem mehr. Frage mich ja wirklich, was die da oben sich bei dieser hirnrissigen Programmierung gedacht haben«, plapperte der Mann weiter und schüttelte den Kopf.
Eberhard überlegte, ihn darauf hinzuweisen, dass die Paranoia des Programms ja durchaus berechtigt war. Es hatte sich vor einem Update gefürchtet, und jetzt führten sie genau dieses Update gegen seinen Willen durch. Eigentlich ziemlich ironisch, dass seine Paranoia der Grund dafür war, dass seine Ängste sich bewahrheiteten.
Für einen Moment war Eberhard beinahe versucht, KISS eine zweite Chance zu geben. Es war ja nicht seine Schuld, dass sie es so programmiert hatten. Es einfach zu … Eberhard zögerte, das Wort töten zu denken. Überschreiben war schon eine recht