Hundert Geschichten. Quim Monzo

Hundert Geschichten - Quim  Monzo


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das Bild einzustellen, aber das erwies sich als wesentlich schwieriger als bei dem anderen Kanal. Plötzlich ertönte eine französische Stimme, dabei fiel ihm ein, dass es hier an diesem Ort wahrscheinlich erheblich einfacher war, den französischen VHF als den spanischen UHF zu bekommen. Er wechselte also die Seiten und versuchte, den französischen Sender zu kriegen. Doch er fand ihn nirgends. Langsam formte sich aus den Nebelschwaden ein Frauengesicht, das sich sofort wieder auflöste, als er den Knopf ein klein wenig zu weit bewegt hatte. Er suchte es hartnäckig weiter, aber fand es nicht mehr: Nun stieß er auf einen fetten Moderator, der einen Burschen, der aussah wie ein Sänger, umarmte und ihm eine fürchterliche kleine Statue überreichte. Sie bewegten die Lippen, man konnte aber nichts anderes als Gebrutzel hören. Er drehte ganz, ganz vorsichtig an der Einstellskala: Er fand die Stimme, ganz leise: Sie sprachen italienisch, ohne Untertitel und Übersetzung. Er wunderte sich. Er versuchte, das Bild scharf zu stellen, aber wenn das Bild scharf wurde, verschwand die Stimme, und wenn die Stimme deutlich wurde, steckte sich das Bild mit Masern an. Er fand einen mittleren, akzeptablen Punkt. Der Moderator verabschiedete sich auf Italienisch. Auch die Werbung war italienisch. Er hatte zweifellos den italienischen Sender RAI eingestellt. (Er hatte das einmal an der Küste geschafft, im Sommer an einem Tag, an dem der Himmel absolut klar war. Doch hier im Gebirge im Winter und mit dem drohenden Heraufziehen eines Schneesturmes?) Die offensichtliche Tatsache überzeugte ihn: Er schenkte sich noch einen Cognac ein und fühlte sich glücklich. Er trank das Glas mit zwei Schlucken aus. Es war sehr kalt. Er dachte an das Schlimmste: Die Flamme in der Therme war wieder ausgegangen. Er sprang auf und rannte hin. Die Flamme brannte. Er seufzte erleichtert auf. Doch nur kurz: Er guckte in den Zimmern nach, und alle Heizkörper waren kalt.

      Als er am Fernseher vorbeiging, sang Ornella Vanoni brasilianische Songs. Er beeilte sich. Er stand vor der Therme und überlegte, ob vielleicht Wasser fehlte. (Oder war vielleicht zu viel drin?) Er öffnete den Hahn, und der Zeiger stieg langsam hoch: 1, 2 . . . Zwischen der 4 und der 5 war ein kleiner roter Strich, der aussah, als solle er Gefahr anzeigen. Die Innereien des Monsters fingen an zu knurren. Es sah aus, als müsse die Heizung von einem Moment zum anderen funktionieren. Er gab mehr Wasser dazu. Der Zeiger erreichte die 3. Er drehte den Hahn zu. Der Zeiger stieg noch ein paar Sekunden. Er blieb etwas oberhalb der 4 stehen. Er überzeugte sich, dass der Hahn richtig zugedreht war. Der Zeiger pendelte sich ein Haar vor der roten Markierung ein. Das Brummen des Monsters steigerte sich in der Tonhöhe und wurde zu einem schrillen Pfeifen: Die Flamme breitete sich auf den ganzen Brenner aus, und die Heizung kam ins Laufen.

      Er überprüfte jeden einzelnen Heizkörper. Sie waren kalt, doch die Rohrleitungen gaben ein derartiges Konzert, dass augenscheinlich bald das ganze Haus ein Paradies sein würde. Bis dahin würde er sich wieder vor den Fernseher setzen: Ornella Vanoni grüßte mit einem Lächeln. Der fette Moderator umarmte die Vanoni, überreichte ihr eine andere Statuette und kündigte eine kurze Pause an, die Pol dazu nutzte, um noch einmal den Zustand der Heizkörper zu überprüfen. Von den sechs im Haus vorhandenen waren vier schon ein bisschen warm. Einer von denen, die nicht funktionierten, war der in der Diele; der war ihm egal. Der andere aber war im Schlafzimmer. Er überprüfte, ob er aufgedreht war: Dem war so. Er versuchte, das Heizkörperventil abzuschrauben. Er suchte einen Schraubenzieher; fand aber nur einen, der zu klein war. Er drehte ihn mit Gewalt. Der Schraubenzieher verformte sich zu etwas wie einem Korkenzieher, doch die Schraube drehte sich endlos weiter. Als er das Ventil herauszog, schoss ihm das Wasser entgegen: ein Strahl unter Druck.

      Er war von Kopf bis Fuß klatschnass. Bett und Fußboden verwandelten sich in wenigen Sekunden in ein Schwimmbad. Nur mit Mühe gelang es ihm, das Ventil wieder hineinzudrehen (dabei spritzte er die Wände nass, die bisher verschont geblieben waren), es mit den Fingern festzuschrauben und ruhig zu stellen, es tropfte; der Heizkörper war aus. Er zog seine nassen Kleider aus und den Schlafanzug an. Er wischte den Boden auf, zog das Bett ab und breitete die Laken und seine Kleider über den Stühlen aus. Er überlegte, welche Möglichkeiten es gab: Er konnte den Hauptwasserhahn zudrehen und die Heizung reparieren (aber es hatte ihn so viel Mühe gekostet, sie in Gang zu setzen, dass er nicht das Risiko eingehen wollte, dass ihm die Therme noch einmal eins auswischte). Er gab den Heizkörper im Schlafzimmer für verloren: Er würde warten, bis morgen der Handwerker kam, den der aus der Bar ihm versprochen hatte. Derweilen würde er entweder mit noch mehr Decken im Bett schlafen oder im Schlafsack im Wohnzimmer. Er schaute noch einmal nach der Therme: Alles funktionierte perfekt.

      Im Fernsehen sang eine dreiköpfige schwarze Band. Er schaute durchs Fenster: Die Bar war nun geschlossen, und außer der Diskothek lag das ganze Dorf im Dunkeln. Und wenn er jetzt schlafen ginge? Es war ein aufregender Tag gewesen. Wenn er früh ins Bett gehen würde, könnte er morgen fest arbeiten. Es tat ihm aber leid, auf das italienische Fernsehen verzichten zu müssen (das morgen vielleicht nicht mehr auffindbar war) und die Jambalaya zu verschieben. Unentschlossen rollte er sich auf dem Sofa ein. Keine Viertelstunde später war er eingeschlafen und träumte von erlesenen Speisen auf gedeckten Tischen in den sonnigen Gärten von New Orleans, in der Ferne hörte man die Straßenbahn. Als serviert werden sollte, schrien die Köche empört; er, der gerade erst eingetroffen war, fühlte sich schuldig, weil er zu spät gekommen war, und flüchtete unter Eisengitterbalkone, ohne zu wissen, wo er die Soße finden könnte. Die Köche lachten leise in sich hinein.

      Er erwachte, als keine Geräusche mehr zu hören waren. Der Fernseher war weiß; er schaltete ihn aus. Er war genauso hungrig wie müde. In der Küche hörte er ein leises Tropfen, das von keinerlei Wasserhahn herrührte: Es war der Kühlschrank, der ausgegangen war. Das wenige Eis, das in der kurzen Zeit gefroren war, schmolz langsam vor sich hin. Er zog den Stecker. Mit Kräften, die ihm titanisch vorkamen, drehte er den Kühlschrank um. Er verstand nichts von diesen hieroglyphischen Serpentinen. Er drehte den Kühlschrank in seine Ausgangsposition zurück und steckte den Stecker wieder in die Steckdose: Nicht einmal das Lichtchen innen drin ging an. Bevor er die Küche verließ, ging er auf die Veranda und schaute nach der Therme: Die Flamme war da, wo sie sein sollte.

      Er holte seinen Schlafsack aus einem Schrank. Er schlüpfte hinein und legte sich auf das Parkett neben einen Heizkörper. Er drehte sich mehrere Male hin und her: Es fiel ihm schwer, die ideale Stellung zu finden. Er überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, die Matratze umzudrehen und dort zu schlafen. Vielleicht war sie weniger nass, als er anfangs gedacht hatte. Doch jetzt war er zu faul zum Aufstehen.

      Eine Dreiviertelstunde später sah er ein, dass er nicht schlafen konnte. In der Küche machte er sich ein Brot mit Öl und Zucker. Aß es. Dann setzte er sich vor die Schreibmaschine und fing an zu schreiben. Er schrieb eine halbe Seite voll, die er sofort wieder herausriss. Er knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. In der Küche schnitt er Brot und Schinken auf und verzehrte das Ganze. Aus der Reisetasche zog er Candide ou l’optimisme. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Küche und las.

      Es dauerte genau dreizehn Sekunden, bis das Licht ausging. Beim Schein einer Kerze kontrollierte er die Sicherungen. Sie sahen aus, als seien sie in Ordnung. Er schaute aus dem Fenster: Im Dorf brannte kein einziges Licht, doch das besagte gar nichts: Um halb fünf Uhr morgens war das normal. Er machte noch mehr Kerzen an und las weiter.

      Als er aufwachte, war es bereits Tag. Er war über dem Tisch eingeschlafen und war total erfroren. Er gähnte; die Knochen waren kurz davor, sich in Stalaktiten zu verwandeln. Er berührte die Heizkörper: Alle waren kalt. Er rannte zur Therme: Die Flamme war da, wo sie sein sollte, doch das Thermometer zeigte null Grad an. Er ließ noch einmal Wasser in die Heizung laufen: 3, 4, 4½ . . . Er überschritt die rote Linie. Aus einer Röhre, die außen am Gebäude angebracht war, begann das überschüssige Wasser abzufließen. Die Therme grunzte, die Flamme sah aus, als würde sie sich endlich über die ganze Brennplatte ausbreiten, doch stattdessen ging sie aus.

      Er beschloss, sich einen Kaffee zu kochen. Beim Anblick der ungemahlenen Bohnen in der Dose erinnerte er sich, dass bei seinem letzten Aufenthalt die Kaffeemühle kaputtgegangen war. Er suchte ein Henkeltöpfchen und goss Milch hinein. Doch dann hatte er eine bessere Idee: Er stellte das Töpfchen auf die Marmorplatte und holte zwei Töpfe heraus; er stellte eine Herdplatte an, wenigstens der Herd funktionierte. Er säuberte und kochte die Garnelen. Dann stellte er einen der Töpfe mit Butter auf den Herd. Er gab den in große Würfel geschnittenen Schinken und eine zerkleinerte grüne Paprika dazu. Er rührte ein


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