Hundert Geschichten. Quim Monzo

Hundert Geschichten - Quim  Monzo


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nur das Licht des Mondes schien durch das Fenster zum Garten herein, und da ich kaum was erkennen konnte, stolperte ich und musste zurück ins Bett, weil ich Angst hatte, sie könnten nachsehen, was das für ein Geräusch war, aber sie kamen nicht. Ich lauschte, wie sie weiter stritten. Jetzt konnte ich sie besser verstehen, weil sie offenbar den Fernseher ausgemacht hatten, und Papa sagte zu Mama, sie solle aufhören, ihn zu nerven, und schrie sie an und warf ihr vor, sie habe keine Ziele, Mama schrie ihn auch an und warf ihm an den Kopf, ich weiß nicht, dass er das Haus verlassen solle oder dass sie das Haus verlassen werde, dann sagte sie wütend den Namen einer Frau, und ich hörte, wie Glas zu Bruch ging, das Schreien wurde noch lauter, und zwar so laut, dass man nichts mehr verstehen konnte, dann hörte ich einen noch viel lauteren Schrei und dann nichts mehr. Danach gab es viele, aber ganz leise Geräusche, so als ob man beim Putzen die Sofagarnitur hin- und herzieht. Ich hörte, wie die Tür zum Garten geschlossen wurde. Jetzt stand ich wieder auf, draußen waren Geräusche, deshalb schaute ich aus dem Fenster, ich fror an den Füßen, weil ich barfuß war. Im Garten war es dunkel, und man konnte nichts erkennen, aber es sah aus, als würde Papa neben dem Baum graben, ich hatte Angst, er könne die Puppe entdecken und mich bestrafen, und kroch deshalb im Dunkeln ins Bett zurück und deckte mich gut zu und versteckte sogar das Gesicht unter der Decke und machte die Augen fest zu. Ich hörte, dass nicht mehr gegraben wurde, dann Schritte, die die Treppe hinaufstiegen, ich stellte mich schlafend, und wie die Tür zu meinem Zimmer aufging, dachte ich, sie schauen mich jetzt sicher an, doch ich konnte nicht erkennen, wer es war, denn ich stellte mich ja schlafend und konnte darum nichts sehen. Danach ging die Tür zu und ich schlief ein. Am nächsten Morgen, das war gestern, sagte mir Papa, Mama habe uns verlassen, dann kamen ein paar Herren, die viel gefragt haben, und ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und weinte die ganze Zeit, und dann wurde ich zu meinem Onkel und zu meiner Tante gebracht, und mein Vetter verprügelt mich ständig, aber jetzt ist ja schon nicht mehr Sonntag.

      Thomson, Braun, Corberó, Philishave

       Für die Herren Justerini und Brooks, mit Dank

      Schon als er die Tür hinter sich schloss, fühlte sich Pol erleichtert. Die Reise war anstrengender gewesen als sonst, so als ob sich alle in den Kopf gesetzt hätten, ihm unnötig Schwierigkeiten zu machen. Er hängte seinen Trenchcoat an die Garderobe (sah, wie staubig sie war, und dabei fiel ihm auf, dass die ganze Wohnung putzbedürftig war), er drückte auf den Knopf des Stromzählers, drehte den Hauptwasserhahn auf, machte ein paar Lampen an und schaute in jedem Zimmer nach, ob alles in Ordnung war. Dann zog er im Wohnzimmer die Vorhänge auf: In der Mitte eines Kreises schneebedeckter Berge schmiegte sich das Dorf ans Ende des Tals wie eine Weihnachtskrippe.

      In einem Regal fand er eine Flasche Cognac. Er nahm einen Schluck. Auf den Tisch stellte er seine in eine Schutzhülle eingepackte Schreibmaschine und den Aktenkoffer mit dem Papier und den Büchern. Aus dem Aktenkoffer holte er eine Tüte Garnelen. Er brachte sie in die Küche und legte sie auf die Marmorplatte. Er hatte Hunger. Er fühlte sich wie der Esel in der Fabel: Es drängte ihn genauso stark zum Schreiben wie zum Essen. Auf der Veranda drehte er den Gas- und den Heizungshahn auf. Er versuchte, die Flamme in der Therme anzuzünden. Er probierte es drei Mal, aber es gelang ihm nicht, die Flamme am Brennen zu halten. Für den Fall, dass er es vergessen hatte, las er die Bedienungsanleitung, die auf dem Knopf eingraviert war: »1. Ouvrir le robinet d’arrêt gaz situé au bas de l’appareil. 2. Pousser ce bouton à fond et tourner vers la droite. Allumer la veilleuse. Attendre environ 15 secondes. Pousser de nouveau à fond en tournant vers la gauche puis relâcher.« Der robinet d’arrêt gaz war bereits offen. Er drückte noch einmal ce bouton à fond und drehte ihn nach links. Langsam nahm er den Finger vom Knopf, um ihn zu relâcher. Die Flamme erlosch wieder.

      Er beschloss, es eine Zeit lang sein zu lassen. Er räumte vier Dosen in der Küche ein und schloss den Kühlschrank an, füllte Wasser in die Eiswürfelschale und legte die Tüte mit den Garnelen in ein Fach. Dann sammelte er die leeren Flaschen zusammen und stellte sie in einen Korb. Alles war staubig. Er entfernte die Bezüge von den Sofas im Wohnzimmer, staubte die Möbel ab und fegte. Im Schlafzimmer holte er frische Betttücher aus dem Schrank, wendete die Matratze, machte das Bett. Er fegte auch das Arbeitszimmer aus und staubte die Bücher ab.

      Am Nachmittag fiel ihm auf, dass er vor lauter Putzen das Mittagessen vergessen hatte. Er beschloss, sich die Jambalaya zum Abendessen zu kochen. Als er mit dem Putzen fertig war, fühlte er sich schmutzig und verschwitzt. Er brauchte eine Dusche. Er versuchte erneut, die Therme auf der Veranda anzukriegen. Er drückte den Knopf bis zum Anschlag, drehte ihn nach rechts und ließ ihn los; dann drückte er ihn noch einmal und drehte ihn in die Ausgangsposition zurück. Er ließ den Knopf ganz sachte los: Die Flamme erlosch. Er versuchte es noch vier Mal: nichts zu machen. Das Gerät war eindeutig kaputt.

      Er duschte sich kalt (angesichts der weiten, weißen Schneefläche vor dem Fenster erschien ihm das absurd), zog sich an, nahm den Korb mit den Flaschen und lief ins Dorf hinunter. Dort kaufte er Butter, Milch, Schinken, Paprika, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie und Brot. Es gab keine Möglichkeit, Worcestersoße zu kriegen; er hätte sie wie die Garnelen aus der Stadt mitbringen sollen. Die einzige Lösung war, stattdessen Essig und japanische Sojasoße zu nehmen (die es komischerweise in dem dörflichen Supermarkt gab).

      Er vesperte in der Bar; weniger wegen seines Hungers als vielmehr, um den Wirt zu fragen, ob er jemanden kenne, der ihm die Therme reparieren könne. Der Wirt kannte jemanden, aber dieser jemand war gerade nicht da und würde erst morgen wiederkommen. Er brauche sich aber keine Sorgen machen, er werde sich gleich morgen darum kümmern, sobald der ortsansässige Handwerker eintreffe, werde er ihm Bescheid sagen und dieser werde ihm das Gerät reparieren. Zurück zu Hause räumte er die Einkäufe an ihren Platz. Er zog die Schreibmaschine aus der Hülle und stellte sie an ihren Platz in der Mitte auf den Tisch. Rechts legte er die weißen Blätter hin. Links die Bücher, die er brauchte. Durch das Fenster (es wurde schnell dunkel) sah der Schnee bläulich aus, der Himmel war aschgrau. Da er gerade gevespert hatte, beschloss er erst um neun Uhr mit dem Abendessen anzufangen. Er hatte also ein paar Stunden Zeit zum Schreiben. Er setzte sich daran.

      Früher oder später, und stets nur halb beschrieben, landete jedes Blatt im Papierkorb. Er schob die Schreibmaschine zurück und zündete eine Zigarette an. Im Dorf brannten nur wenige Lichter, keines gehörte zu einem Laden: Es gab nur das gelbe von der Bar und die Lichter der Diskothek. Die Kälte ließ seine Wirbelsäule zu Eis erstarren. Ohne große Hoffnung versuchte er noch einmal, die Therme anzumachen. Er wiederholte jede Handlung mehrmals, ohne Erfolg. Genervt schlug er mit der Faust auf die Therme. Er erinnerte sich, dass sein Vater einmal, als er noch klein war, ein japanisches Transistorradio (den ersten Transistor, den sie hatten) mit Faustschlägen wieder zum Laufen gebracht hatte. Vielleicht brauchte dieser (nicht japanische, sondern französische) Durchlauferhitzer ähnliche Methoden. Er schlug noch einmal mit der Faust auf das Gerät, diesmal kräftiger. Das Blech quietschte, und ihm schien, als brumme die Maschinerie. Hoffnungsvoll wiederholte er die Prozedur. Doch in dem Moment de relâcher ce bouton erlosch die Flamme.

      Er schlug noch einmal auf das Gerät ein, und diesmal so heftig, dass das Schild, auf dem CHAFFOTEAUX ET MAURY stand, zu Boden fiel. Er regte sich auf. Das Blech war eingebeult und das Brummen wurde immer lauter. Mit abgewandtem Gesicht wiederholte er die Abläufe, dabei schwankte seine Stimmung zwischen der Hoffnung auf eine Nacht ohne Frieren und der Angst vor einer Explosion. Diesmal gewann er: Als er den Knopf losließ, blieb die Flamme, klein und flackernd, so als sei es das Normalste auf der Welt. Es war ihm etwas unangenehm, denn er dachte, er müsse vorher etwas falsch gemacht haben, wo es jetzt so einfach gewesen war. Er betrachtete das eingebeulte Blech und hob das Schild wieder auf. Er drehte nacheinander alle Heizkörper auf.

      Er war nun etwas entspannter und schaltete den Fernseher ein. Er sah nur Streifen. Er hantierte an der Antenne herum. Die Streifen verwandelten sich in ein Gewebe aus flimmernden Körnchen wie Schneeregen. In diesem Dorf hatte man einen sehr schlechten Empfang. Er versuchte eine Weile, den Fernseher richtig einzustellen. Schließlich schaffte er es, Bilder einer nicht ganz vollkommenen, aber angesichts der Umstände und der Lokalität doch immerhin passablen Qualität einzustellen. Es kam ein Fußballspiel, ein Ereignis, das ihm nicht nur nicht gefiel, sondern das ihn zutiefst deprimierte.


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