Hundert Geschichten. Quim Monzo

Hundert Geschichten - Quim  Monzo


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sie zu Bett ging (und manchmal konnte ich ihre Umrisse erahnen, die sanfte Bewegung ihrer Brüste, den Samt zwischen ihren Schenkeln). Eines Abends entschloss ich mich schließlich (der Zirkus hatte seine Zelte außerhalb von Elx aufgeschlagen: eine heiße Landschaft, hinter den Bergketten orangefarbenes Grau, der Mond wie eine Silbermünze), ihr meine ganze Liebe zu erklären. Klopf, klopf, klopf, nachdem ich die Stufen des Wagens hinaufgestiegen war, pochte ich an die Tür. Drinnen war es dunkel, niemand antwortete. Ich suchte sie auf dem ganzen Lagerplatz. Endlich fand ich sie in dem Tigerkäfig, wo sie es mit einem der Tiere trieb. Vor der Käfigtür hockend (hinter mir ihre Lustschreie und das orgastische Brüllen des Tigers), entschied ich, dass Jonglieren doch nicht meine Zukunft war. Am nächsten Morgen war ich bereits weit weg, verschwitzt und erschöpft, unter einer sengenden Sonne mit brennenden Füßen und einem dummen Blumenstrauß in der Hand, den ich auf der Stelle fallen ließ. Danach arbeitete ich als Kellner und Nachrichtensprecher, als Nachtwächter und technischer Zeichner, als Florist, als Maître in einem drittklassigen Restaurant, als Fischer an der isländischen Küste und als Hausverwalter. Jetzt geht mir erst auf, dass alles, was ich Ihnen bisher erzählt habe, nichts mit dem zu tun hat, was mir später passiert ist. Aber vielleicht mit dem, was ich jetzt erlebe. Ich weiß nicht. Abgesehen von einem Flattergeist war ich immer auch ein Zauderer. Eigentlich wollte ich Ihnen erzählen, dass ich eines Tages während eines Urlaubs in Cadaqués gestorben bin. Ich hatte mir den Tod wie einen schmerzhaften Traum vorgestellt, ich würde das Bewusstsein verlieren und zu einem kalten Nichts werden. Nun, und da ist mein Problem: Ich habe keinerlei Veränderung gemerkt: Ich wärme mir weiter meinen Schädel, und auch wenn ich nicht Hungers sterben kann, so habe ich doch derart Lust zu essen, dass ich nicht darauf verzichten kann und mir nichts anderes übrig bleibt als wie zuvor zu arbeiten oder eigentlich noch mehr. Sprechen wir nicht von den Verdauungsvorgängen. Was für einen Unterschied gibt es also zwischen Leben und Tod? Ich habe mir den ganzen Bergman reingezogen (allein Das siebente Siegel habe ich sieben Mal gesehen) und den ganzen Espriu gelesen. Nicht ein Wort habe ich verstanden. Ich habe mich für ihre Filme und Bücher interessiert, weil es heißt, sie sprächen über den Tod. Früher machte ich mir Sorgen; jetzt nicht mehr: Neulich habe ich einen kennengelernt, der ist schon zwei Mal gestorben. Wir sind sehr gute Freunde geworden, und am Wochenende fahren wir nach Sitges zum Flirten. Wir überlegen, ob wir eine Metzgerei aufmachen. Mir würde allerdings ein Käseladen im französischen Stil besser gefallen, auch wenn ich ihn sicher bald satt hätte. In der Zwischenzeit schreibe ich, wie ihr seht: Erzählungen.

Olivetti, Moulinex, Chaffoteaux et Maury

       »Je suis fier de dire que toute ma vie je me suis battu

      contre les idées que je défends en ce moment.«

       »Je suis fier de vous répondre que

      moi, c’est exactement le contraire.«

      WOLINSKI, Charlie Hebdo, Nr. 346

       Zwei Juden treffen sich im Eisenbahnwagen

      einer galizischen Station.

      »Wohin fahrst du?«, fragt der eine.

      »Nach Krakau«, ist die Antwort.

      »Sieh’ her, was du für Lügner bist«, braust der andere auf.

      »Wenn du sagst, du fahrst nach Krakau, willst du doch,

      daß ich glauben soll, du fahrst nach Lemberg.

      Nun weiß ich aber, daß du wirklich fahrst nach Krakau.

      Also warum lügst du?«

      Zitiert von SIGMUND FREUD in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten

      Der Aufsatz

      Was machte ich am Sonntag? – Sonntag war ein ganz und gar sonniger Tag, und ich ging mit Mama und Papa spazieren. Mama trug ein beiges Kleid und darüber eine eierschalenfarbene Strickjacke, Papa einen metallblauen Pullover, eine graue Hose und ein offenes weißes Hemd. Ich hatte auch einen blauen Pullover an, meiner war aber heller als der von Papa und hatte einen runden Halsausschnitt. Dazu trug ich eine braune Jacke, etwas hellere braune Hosen und rote Sportschuhe. Mama hatte helle Schuhe an und Papa schwarze. Morgens machten wir einen Spaziergang und gingen dann am späten Vormittag zum Frühstück ins Balmoral. Wir löffelten eine dicke Schokolade mit Schlagsahne und aßen eine gefüllte Schneckennudel, und ich bestellte Croissants. Danach gingen wir zu den Blumenständen. Es gab rote, gelbe, weiße, rosa und sogar blaue Blumen. Papa behauptete allerdings, sie seien gefärbt. Dann waren da noch grüne und violette Pflanzen und große und kleine Vögel. Am Kiosk kaufte Papa die Zeitung. Wir machten auch einen Schaufensterbummel, und einmal, als wir lange vor einem Schaufenster mit Pullovern standen, sagte der Papa zur Mama, sie solle sich beeilen. Dann setzten wir uns auf eine grüne Bank auf einem Platz. Da saß auch eine alte weißhaarige Dame mit knallroten Wangen, so rot wie Tomaten, und fütterte die Tauben. Sie erinnerte mich an meine Oma. Papa las die ganze Zeit Zeitung, und ich bat ihn, die Zeichnungen anschauen zu dürfen. Er gab mir die halbe Zeitung und sagte, ich solle sie nicht kaputt machen. Weil der Papa die ganze Zeit nur Zeitung gelesen hatte, sagte Mama auf dem Heimweg zu ihm, dass sie von seinem ewigen Zeitunglesen die Nase voll habe: Er lese sie daheim, beim Frühstück, beim Mittagessen, auf der Straße, beim Laufen, in der Bar, beim Spazierengehen. Papa antwortete nicht darauf, sondern las weiter, Mama schimpfte weiter, dann tat es ihr wohl irgendwie leid, denn sie gab mir einen Kuss, und als sie in der Küche war, um den Reis zu kochen, sagte Papa zu mir, ich solle mir nichts daraus machen. Wir aßen Reiseintopf, den ich nicht mag, und Fleisch mit geschmorten Paprika. Paprika esse ich eigentlich gern, aber das Fleisch mag ich nicht, weil es noch ziemlich roh ist, die Mama sagt, es sei besser so, aber mir schmeckt es nicht. Ich esse lieber Fleisch, was richtig durch ist, wie in der Schule. Dafür mag ich in der Schule die Vorspeisen nicht, nie. Zu Hause darf ich Wein mit Limonade trinken. In der Schule nicht. Am Nachmittag bekamen wir Besuch von meinem Onkel, meiner Tante und meinem Vetter. Mein Onkel und meine Tante setzten sich mit meinen Eltern ins Wohnzimmer, plauderten und tranken Kaffee. Mein Vetter und ich gingen zum Spielen in den Garten, zuerst spielten wir mit den Madelman-Figuren, dann Tischfußball und danach Ball, dann mit dem Feuerwehrauto und schließlich Astronautenkrieg. Mein Vetter machte Theater, weil er am Verlieren war. Er kann nie verlieren, und das geht mir wirklich auf die Nerven. Also musste ich ihm eine knallen, und er fing ganz laut an zu flennen, Mama, meine Tante und mein Onkel kamen heraus, und Mama fragte, was passiert sei, und bevor ich antworten konnte, deutete mein Vetter auf mich, er hat mich geschlagen, und Mama gab mir eine Ohrfeige, ich fing auch an zu heulen, und wir gingen alle ins Wohnzimmer, Mama nahm mich an der Hand, und Papa las Zeitung und rauchte eine Zigarre, die der Onkel ihm mitgebracht hatte, Mama sagte zu ihm, die Kinder bringen sich im Garten gegenseitig um, und du machst es dir hier seelenruhig auf dem Sessel bequem. Meine Tante meinte, das ist doch nicht so schlimm, aber Mama sagte, es ist immer das Gleiche, und manchmal habe sie einfach die Faxen dicke. Dann gingen mein Onkel und meine Tante, und beim Weggehen streckte mir mein Vetter die Zunge heraus und ich ihm auch, dann machte Papa den Fernseher an, es kam Fußball, und Mama sagte ihm, er solle umschalten, denn im Zweiten gebe es einen Spielfilm, und Papa sagte, nein, er schaue sich jetzt das Fußballspiel an.

      Dann ging ich in den Garten, um die Puppe zu besuchen, die ich neben dem Baum eingegraben hatte, ich buddelte sie aus, streichelte sie und schimpfte mit ihr, weil sie sich vor dem Essen nicht die Hände gewaschen hatte, dann vergrub ich sie wieder und ging in die Küche zu Mama, die weinte, und ich sagte zu ihr, weine nicht. Dann setzte ich mich aufs Sofa neben Papa und schaute ein bisschen Fußball, doch bald wurde mir langweilig, und ich schaute mir Papa an, der aussah, als würde er auch nicht Fußball gucken, sondern mit dem Kopf irgendwo anders sein. Dann kam Werbung, was ich am liebsten sehe, und die zweite Halbzeit, ich ging zu Mama, die das Abendessen vorbereitete, danach aßen wir, im Fernsehen kam ein Zeichentrickfilm und dann Nachrichten, danach ein alter Film mit einer tollen blonden Schauspielerin mit richtig viel Busen, deren Namen ich aber nicht weiß. Aber dann schickten sie mich ins Bett, weil es spät war, ich stieg die Treppen hoch und legte mich ins Bett, und vom Bett aus hörte ich den Film und wie sich Papa und Mama zankten, aber wegen des Fernsehers konnte ich nicht verstehen, was sie sagten. Dann


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