Seelsorge: die Kunst der Künste. Группа авторов
gegenüber einem solchen von der Medizin favorisierten Verständnis von Spiritualität? Kritische Stimmen wenden sich gegen die Vagheit des Spiritualitätsbegriffs. Sie sei „der Preis der Entkonkretisierung und Entsinnlichung der Religion“ (Karle 2010, 554). Des Weiteren befürchtet I. Karle eine Tendenz der Seelsorge, sich therapeutischem Zweckdenken und ‚spirituellen Copings‘ anzugleichen und somit ihre Rolle zu verwässern. Therapeutisches Denken sei allzu einseitig auf Akzeptanz von Krankheit und Tod ausgerichtet und gebe kaum Raum für Widerstand und Klage und die Würde, die auch in der Untröstlichkeit liege. Sicherlich sind diese Einwände berechtigt und können nicht oft genug für die Schärfung des seelsorglichen Selbstverständnisses vorgebracht werden. Auch die von D. Nauer aufgeführten ‚Inkompatibilitäten‘ (z. B. das Neutralitäts-Postulat als Anspruch an eine christlich motivierte und inspirierte Seelsorge) gilt es ernst zu nehmen (Nauer 2015, 144 ff).
Jedoch liegt dieser Debatte häufig ein Missverständnis zu Grunde: Krankenhausseelsorge kann ja nicht gleich gesetzt werden mit der Spiritual Care eines Behandlungsteams bzw. einer Klinik. „Spiritual Care ist kein Synonym für Krankenhausseelsorge“, so E. Frick, „und auch nicht an die Seelsorge delegierbar“ (Frick 2012, 68). T. Roser sieht keine, wenn auch oft befürchtete, Konkurrenz zwischen Seelsorge und Spiritual Care (Roser 2015, 233). Für ihn ist Spiritual Care ein übergreifender Organisationsbegriff. Spiritual Care sei eine Anforderung an alle Professionen im Krankenhaus, zu der die Krankenhausseelsorge auf Basis kirchlicher Trägerschaft und organisationaler Unabhängigkeit einen spezifischen Beitrag leiste, gemäß ihrer Rolle und ihres Selbstverständnisses. Spiritualität ist kein Begriff mehr, auf den die Kirche ein Patentrecht hat. „[D]er Begriff Spiritualität ist aus dem Bereich von Kirche und Religion in die säkulare Welt hinübergewandert“ (Weiher 2009, 218). Trotzdem bleibt es Aufgabe der kirchlichen Krankenhausseelsorge, eine theologisch verantwortbare Begleitung und Unterstützung auch für ‚Nicht- oder Andersgläubige‘ innerhalb ihrer je eigenen Spiritualität zu gewährleisten. E. Weiher hebt diese Aufgabe hervor als kirchlichen Grundvollzug in Form einer ‚Spirituellen Diakonie‘ (Weiher 2009, 219). So gesehen sollte Krankenhausseelsorge nicht Abgrenzung sondern Sprachfähigkeit zeigen gegenüber Nicht-Kirchenmitgliedern bei der Frage, was eine in Krisen tragfähige Spiritualität sein kann. Konkurrenz ist allenfalls zu befürchten, wenn die Kirchen kein eigenes, gut qualifiziertes Personal mehr dafür zur Verfügung stellen.
Die Debatte um Spiritual Care spiegelt letztlich die Auseinandersetzung wider, die auch meiner Dissertation zugrunde lag: geht die Krankenhausseelsorge ganz auf im pflegerisch-medizinischen Denksystem zugunsten einer ‚Behandelnden Seelsorge‘ (Haart 2007, 239 ff) oder etwa im betriebswirtschaftlichen Management (Haart 2007, 255 ff), oder bleibt sie ihrem Auftrag durch das Evangelium treu? Krankenhausseelsorge bleibt eine Gratwanderung im Gesundheitswesen, und umso wichtiger bleibt das stete Ringen um die eigene, theologisch reflektierte Position. Bisher erfährt die Selbstreflexion allerdings durch schwache kirchliche Strukturen nur geringe Unterstützung. Ein Lehrstuhl ‚Seelsorge im Gesundheitswesen‘ böte hier andere Möglichkeiten der Forschung und Lehre. S. Peng-Keller, Theologe und Professor für Spiritual Care in Zürich, will aus der Perspektive interprofessioneller Forschung den Begriff Spiritual Care weniger auf eine bestimmte Konzeption angewandt sehen sondern als ‚Gattungsbegriff‘ behandeln und als Überbegriff für sehr unterschiedliche Modelle und Ansätze. Für die Praxis der Krankenhausseelsorge merkt er an: „Zu den Fragen, die innerhalb des interdisziplinären Spiritual Care-Diskurses geklärt werden müssen, gehört auch jene nach dem spezifischen Beitrag und Profil einer durch religiöse Gemeinschaften beauftragten Krankenhausseelsorge. Wenn es eine Pluralität von Spiritual Care-Modellen gibt und ‚Spiritual Care‘ nicht mit einem einzigen Modell identifiziert werden darf, stellt sich für die Praktische Theologie die Aufgabe differenzierter Verhältnisbestimmung zu spezifischen Modellen und Ansätzen“ (Peng-Keller, 180).
Spiritual Care als Forschungsgebiet liegt heute überwiegend in der Hand anderer Professionen wie Medizin, Soziologie, Psychologie und Pflegewissenschaften mit eigener Methodik. „Auffällig ist, dass dabei in der Regel nicht auf Forschungsmethoden der Religionswissenschaften oder Theologie zurückgegriffen wird, sondern ganz eigene, zumeist empirisch validierbare Verfahren sozial- und naturwissenschaftlicher Art entwickelt werden“ (Leget 2015, 227). Hier wären eigene theologische wissenschaftliche Studien notwendig. Im anglo-amerikanischen Spiritual-Care-Diskurs ist etwa die rein medizinische Sichtweise nicht unumstritten. Soziologische und theologische Beiträge kritisieren eine Engführung des klinisch-therapeutischen Spiritual-Care-Modells mit seiner individualisierten Sicht. Ausgeblendet blieben hier die gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexte und Ansätze, die für mehr Gerechtigkeit und Solidarität im Gesundheitswesen stehen (Peng-Keller, 180).
Krankenhausseelsorge im Interreligiösen Diskurs
Ein weiteres Phänomen hat die Krankenhausseelsorge in den letzten Jahren neu beschäftigt: die kulturelle Vielfalt sowohl der Patient*innen als auch des Personals ist in die Aufmerksamkeit der Kliniken gerückt. „‚Interkulturelle Kompetenz‘ wird als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts bezeichnet“ (Deutscher Ethikrat, 66). Viele Krankenhäuser verpflichten sich als Mitglieder der Unternehmensinitiative Charta der Vielfalt (www.charta-der-vielfalt.de) dazu, die Verschiedenheit ihrer Mitarbeiterschaft zu respektieren und zu unterstützen. Laut Charta der Vielfalt gehören Religion und Weltanschauung sowie die ethnische Zugehörigkeit zur inneren Dimension des Menschen, sind also am engsten mit der Persönlichkeit verknüpft, ebenso wie das Alter und das Geschlecht.
In heutiger Zeit sind es vor allem Menschen islamischer Kulturkreise, die im Krankenhaus unter Fremdheit leiden und die auch der Seelsorge bedürfen, wie die Deutsche Islamkonferenz 2017 in ihrem Abschlussdokument zur Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen festhält: „Die Etablierung einer islamischen Krankenhausseelsorge ist vielmehr als die mit Abstand größte Aufgabe in der Fläche anzusehen, was den offensichtlichen Bedarf an religiös-seelsorglicher Begleitung von Menschen islamischer Religionszugehörigkeit in Deutschland betrifft“ (Deutsche Islamkonferenz, 4). Erste Modellprojekte, die überwiegend auf die Schulung von ehrenamtlichen islamischen Seelsorger*innen hinausliefen, gestützt durch Module der kirchlichen Klinischen Seelsorgeausbildung, waren nur anfangs hilfreich: „Die Islamkonferenz stellt zugleich fest, dass diese zumeist zeitlich befristeten Modellprojekte unter einer Reihe von Gesichtspunkten an ihre Grenzen stoßen. Als eine Hauptschwierigkeit ist die fehlende Kooperation mit bereits etablierten islamischen Religionsgemeinschaften oder das Fehlen eines religionsverfassungsrechtlich legitimierten Ansprechpartners zu nennen“ (Deutsche Islamkonferenz, 5). Konkret mangelte es den islamischen Ehrenamtlichen an einer von vielen Klinikleitungen eingeforderten Beauftragung durch ihre Religionsgemeinschaft, die die fachliche und dienstliche Aufsicht mit einschließt.
Die Deutsche Islamkonferenz fordert hierzu die islamischen Organisationen bzw. Religionsgemeinschaften auf, die Rahmenbedingungen für eine Etablierung islamischer Krankenhauseelsorge zu klären, welche auch die Schaffung hauptamtlicher Strukturen in den Blick nimmt. Denn: „Zudem ist der Mangel an Rückbindung der ehrenamtlich in der Seelsorge Tätigen an eine professionalisierte hauptamtliche Struktur problematisch, da diese bislang fehlt, aber eigentlich unerlässlich ist, um die Betreuung der Seelsorgerinnen und Seelsorger sicherzustellen, die Zuständigkeiten, Grenzen des Auftrags und Fragen der Aufsichtspflicht zu klären sowie Qualitätssicherung durch Supervision zu gewährleisten“ (Deutsche Islamkonferenz, 5).
Eine grundsätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass die Islamische Theologie aus ihrer Tradition her keine eigene Seelsorgetheorie kennt (Cimsit, 14 Fußnote 3). Ganz am Anfang steht daher noch die Entwicklung von theologisch fundierten Konzepten der islamischen Krankenhausseelsorge. Hier sind die universitären Zentren für Islamische Theologie gefragt, eigene Forschung zu betreiben und auch zur Ausbildung von qualifiziertem Personal und zur Schaffung von Möglichkeiten der Fortbildung beizutragen (Deutsche Islamkonferenz, 5 f). Erste Lehrstühle haben diese Arbeit begonnen, etwa das Zentrum für Islamische Theologie in Heidelberg mit einem Masterstudiengang für Praktische Islamische Theologie für Seelsorge und Soziale Arbeit oder das Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück mit einem Studiengang Gemeindepädagogik und Seelsorge. Es ist zu erwarten, dass die hier ausgebildeten islamischen Seelsorger*innen eine höhere Akzeptanz durch