Seelsorge: die Kunst der Künste. Группа авторов
war damals, vor dem Hintergrund neuer Gesetzgebung Prozesse der Ökonomisierung im Gesundheitswesen zu verfolgen und den Strukturwandel im Krankenhaus nachzuvollziehen: Welche Bedeutung hat der Wandel eines Krankenhauses zum Wirtschaftsunternehmen für die Menschen, die dort arbeiten und die Patient*innen, die auf Heilung hoffen? Schließlich galt es, die Auswirkungen für die Arbeit der Krankenhausseelsorge aufzuzeigen und Anregungen zu geben, wie sie sich positionieren kann. Im Folgenden sollen angesichts neuer Herausforderungen diese Fragen weiter geführt werden.
Folgen des Wettbewerbs im Gesundheitswesen
Was vor zehn Jahren noch als Prognose angekündigt war, ist heute Realität geworden. Die Einführung des auf DRG (Diagnosis Related Groups) basierenden Abrechnungssystems ab 2004 hat die Krankenhäuser zu mehr Wirtschaftlichkeit veranlasst und die Privatisierung im Krankenhaussektor beschleunigt. Waren 1991 noch 46,0 Prozent der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher, 39,1 Prozent in freigemeinnütziger und 14,8 Prozent in privater Trägerschaft, so sind 2015 nur noch 29,5 Prozent der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher, 34,7 Prozent in freigemeinnütziger und bereits 35,8 Prozent in privater Hand (Statistisches Bundesamt, 9).
Im Jahr 2016 hat sich der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme ‚Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus‘ mit den Entwicklungen im Krankenhauswesen befasst mit der Begründung, dass „durch eine vorrangige Fokussierung auf Ausgabenverringerung seitens der Krankenkassen und Ertragssteigerung auf Seiten der Anbieter Effekte entstanden, die im Hinblick auf das Patientenwohl als maßgeblicher normativer Maßstab Anlass zur Sorge geben“ (Deutscher Ethikrat, 7). Kritisch bewertet wird etwa die Konzentration auf besonders gewinnbringende Behandlungsverfahren bis hin zu Anreizen für ethisch problematisches ärztliches Handeln (Deutscher Ethikrat, 124). Permanente Interventionen und Nachjustierungen seitens des Gesetzgebers versuchen dem zu begegnen, doch im hoch komplexen DRG-System tun sich immer wieder neue Fehlentwicklungen auf. „Seit 2009 kam es im Durchschnitt jedes Halbjahr zu Änderungen unter anderem des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes und des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes“ (Deutscher Ethikrat, 34). In dem Papier werden vor allem Patientengruppen mit besonderen Bedarfen aufgeführt, die durch Anreize des DRG-Systems häufiger benachteiligt werden: Kinder und Jugendliche, hochaltrige Menschen mit geriatrischen Erkrankungen, mit Demenz, mit Behinderung, Multimorbide oder Patient*innen mit Migrationshintergrund (Deutscher Ethikrat, 94–114).
Für Ärzteschaft, Pflege und Gesundheitsberufe ist im Rahmen der Ökonomisierung der Aufwand an Administration gestiegen; hohes aktuelles Wissen über neueste Konditionen und präzise Dokumentation sind notwendig, um finanzielle Verluste zu vermeiden. Dies tritt als zeitraubende Anforderung neben die patientengerechte Versorgung. Als ein Kernproblem macht der Ethikrat daher auf den Mangel an Kommunikation zwischen Behandlern und Patient*innen aufmerksam (Deutscher Ethikrat, 134). Verschlechterte Arbeitsbedingungen infolge Zeitmangels und chronischer Überlastung vergrößern den gegenwärtigen Fachkräftemangel im Krankenhaus.
Viele Kliniken haben inzwischen dieses Problem erkannt. Vor dem Hintergrund des Wettbewerbs sowohl um Patient*innen als auch um Personal gewinnen Rankings der Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit zunehmend an Bedeutung. Zertifizierungsprogramme greifen mittlerweile auch die ‚weichen Faktoren‘ der Krankenhausarbeit auf. Als Beispiel sei genannt der Verbund ‚Qualitätskliniken.de‘ unter Beteiligung großer privater Träger (Asklepios, Rhön, Sana) und auch Universitätskliniken, in dessen Leitfaden für ‚Ethik & Werte‘ unter anderem das Maß an Kultursensibilität erfasst wird, die Berücksichtigung religiöser Werte und auch das Angebot der Seelsorge.
Das Interesse der Kliniken an Krankenhausseelsorge wächst
Erwartungsgemäß ist somit inzwischen auch die Krankenhausseelsorge mehr in die Aufmerksamkeit der Klinikträger gerückt. Stellen bisher noch die beiden großen Kirchen Personal und Finanzen für die Seelsorge zur Verfügung, zeichnet sich jetzt vermehrt eine Bereitschaft von Klinikseite ab, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Der leitende Geschäftsführer der größten deutschen privaten Klinikkette Helios macht klar: „Je stärker sich die Seelsorge in Richtung der ‚emotional orientierten‘ Betreuung von Patienten/Angehörigen bewegt, (und nicht allein ‚religiös orientierte‘ Betreuung im Blick hat … Ergänzung D. Haart) desto mehr muss sie finanziert werden aus Krankenhausbudgets“ (De Meo 2017). In seinem Beitrag beim 1. Ökumenischen Kongress der Krankenhausseelsorge in München stellt er fest, dass die Krankenhausseelsorge gerade aufgrund ihrer Rolle in der Klinik schwer zu ersetzen sei, sofern es um emotionale Belange gehe. Eine Fortbildungsinitiative des Helioskonzerns für Ärzteschaft und Pflegepersonal mit dem Ziel einer professionelleren emotionalen Begleitung habe wenig Anklang gefunden mit der Begründung, dass eine Zusatzqualifizierung in ‚Emotionaler Begleitung‘ nur schwer vereinbar sei mit der ärztlichen bzw. pflegerischen Rolle. Die Krankenhausseelsorge ist somit durchaus auch aus Nutzenperspektive interessant, glaubt man den Äußerungen eines führenden gewinnorientierten Klinikkonzerns.
Wenn also in absehbarer Zeit nicht nur konfessionelle Kliniken, sondern auch öffentliche und private Träger beginnen, sich an der Finanzierung von Seelsorgestellen zu beteiligen – eine Entwicklung vergleichbar den USA, wobei hierzulande erst nur an eine anteilige Kostenbeteiligung gedacht ist – wirft das für die Zukunft eine Menge Fragen auf: Wer wird künftig die Inhalte der seelsorglichen Arbeit bestimmen, wer wird ihre Qualität überprüfen? Werden sich Seelsorger*innen im Sinne einer ‚Option für die Armen‘ noch besonders den Schwachen und Benachteiligten im Krankenhaus zuwenden können? Oder werden sie ausschließlich nach den Maßgaben des medizinisch-ökonomischen Systems und gemäß einer Leistungsabrechnung durchaus auch kostenbewusst aktiv werden müssen? Wo Kirchen und Klinikträger sich die Kosten teilen, muss dies sorgfältig ausgehandelt werden, damit Krankenhausseelsorge weiterhin im Geist des Evangeliums geschieht. S. Borck, Verantwortlicher im Bereich Seelsorge der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, schlägt vor, dafür ‚Bündnisse für Seelsorge im Krankenhaus‘ zu schließen: „Klinik-Leitung und kirchliche Leitung, auch in ökumenischer Gemeinschaft, kommen in regelmäßigen Abständen zusammen (…) und vereinbaren, was genau zu tun ist“ (Borck 2017).
Die Kirchen haben noch keine Strategie
Hierzu braucht es allerdings kompetente, überregional wirkende, in der Kirchenleitung verankerte Personen, die mit der Materie vertraut sind und auf Augenhöhe zu den Klinikkonzernen Auftrag und Profil kirchlicher Seelsorge theologisch begründet sicherstellen. Denn die Krankenhausseelsorge arbeitet mit anderen, im Krankenhaus fremden Prämissen. Sie darf nicht in den Leitkategorien des medizinischen oder des ökonomischen Denksystems der Klinik aufgehen, um ihrem beruflichen Selbstverständnis treu zu bleiben. Sie muss ihre fremde Sicht ins Krankenhaus einbringen können und wird „in gewisser Weise randständig bleiben müssen, weil sie immer für eine an den Rand gerückte Wirklichkeit in der Krankenhauswelt steht“ (Haart 2006, 269).
Leider gestaltet sich die Entwicklung in den Kirchen nicht diesen Anforderungen entsprechend. In den Bistümern und Landeskirchen ist die Krankenhausseelsorge unterschiedlich organisiert: teilweise ist sie an die Seelsorgeämter angebunden, teilweise an die Kirchenkreise oder Dekanate. Die katholische Kirche steuert derzeit weiter in Richtung Dezentralisierung: die dienstliche Verantwortung für die Krankenhausseelsorge wandert vielerorts weg von den bischöflichen Seelsorgeämtern zu den Leitern der neu errichteten Großpfarreien. Die Folgen sind fatal: Diese Kleinteiligkeit in der Verantwortung macht den Dialog mit großen Klinikverbünden schwierig und zudem eine Verständigung in der Ökumene fast unmöglich. Ökumenische Kooperation ist aber dringend notwendig, um den Klinikträgern mit starkem inhaltlichen Profil zu begegnen und auch, um nicht durch interne Konkurrenz die Prozesse zu behindern. Dass auch heute, nach 10 Jahren, trotz wachsenden Bewusstseins in der Ökumene noch keine nennenswerten Fortschritte gemacht sind, liegt überwiegend daran, dass viele Bistümer und Landeskirchen aufgrund unklarer interner Zuständigkeiten nicht ins Gespräch auf Leitungsebene kommen. Mehr wäre da möglich, trotz der nicht überall deckungsgleichen kirchlichen und staatlichen Territorialgrenzen! Als gelungenes Beispiel sei hier die Rahmenvereinbarung zur Klinikseelsorge zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der evangelischen Landeskirche in Württemberg erwähnt (Traub, Karrer 2016).