Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book). Группа авторов

Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book) - Группа авторов


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Jahrhundert noch sehr kleinen Universitäten hatten ein Interesse an Studierenden, was für eine großzügige Zulassung sprach. Gleichzeitig sollte im Sinne einer allmählichen Demokratisierung der Gesellschaft der Zugang zur höheren Bildung nicht mehr durch Geburt, Stand oder finanzielle Möglichkeiten definiert sein. Als Alternative dazu etablierte sich für die Zulassung zur Universität deshalb immer deutlicher das Leistungsprinzip. Eine hinreichende Vorbildung für das Studium wurde zur Zulassungsbedingung – der Maßstab für diese Vorbildung wurde die Maturität. Aber auch diesen neuen Leistungsausweis «Matur» regelten die Universitätskantone hoheitlich, jedoch der bildungsföderalistischen Logik folgend immer nur für ihr Kantonsgebiet und ihre Universität. Deshalb stellte sich das grundsätzliche Problem, wie die Zulassung von Studierenden aus andern Kantonen (oder aus dem Ausland) geregelt werden sollte. Eine Lösung dieses Problems waren bis in die 1880er Jahre Verträge zwischen den Gymnasien der Nicht-Hochschulkantone und den Universitäten bzw. dem Polytechnikum. Die Universitäten konnten so Einfluss auf die Maturitätsprogramme der Nicht-Hochschulkantone nehmen und eine Art Minimalstandards durchsetzen. Auch wenn die Anzahl der Gymnasien in der Schweiz zunächst relativ klein blieb,42 hatte diese Problemlösung eine Schwäche: Sie setzte auf je individuelle Verhandlungen zwischen den Gymnasien und den Universitäten und ließ keine einfache, allgemeine und institutionalisierte Lösung zu. Am Beispiel des Kantons Zürich lässt sich der Regelungsbedarf idealtypisch wie folgt beschreiben; der Kanton musste definieren:

      (1)ein gymnasiales Programm und Bestehensnormen für die Maturität an der Zürcher Kantonsschule (Gymnasium und Industrieschule Zürich, später auch Winterthur);

      (2)die Zulassung von Zürcher Maturanden und später auch Maturandinnen an die Universität Zürich;

      (3)Absprachen über die Zulassung von Zürcher Maturanden und Maturandinnen an außerkantonale Universitäten (zunächst v. a. Basel, Bern);

      (4)Absprachen über die Zulassung von Zürcher Maturandinnen und Maturanden ans Polytechnikum bzw. an die ETH;

      (5)(vertragliche) Regelung der Bedingungen für die Zulassung von außerkantonalen Maturanden und Maturandinnen an die Universität Zürich;

      (6)Zulassung von ausländischen Studierenden an die Universität Zürich.

      Die Regelungen konnten nur in den Fällen 1, 2 und 6 kantonshoheitlich getroffen werden, was in den 1830er Jahren auch erfolgte. Alle andern Regelungen waren von Verhandlungen mit andern Kantonen, außerkantonalen Gymnasien oder dem Polytechnikum abhängig. Dabei kamen drei unterschiedliche Regelungen zur Anwendung, die auch miteinander kombiniert wurden: a) Die Universitäten schlossen mit Gymnasien Verträge ab, welche die Zulassung regelten; b) die Hochschulen führten Zulassungsprüfungen ein, wie sie etwa für die Zulassung zum Eidg. Polytechnikum üblich waren; c) die Zulassung erfolgte «sur dossier», dies insbesondere bei ausländischen Studierenden. Auf diesem Weg erfolgte 1864 auch die Zulassung der ersten Frau an eine Schweizer Universität, einer Russin an die Universität Zürich (vgl. Rogger & Bankowski, 2010). Sie verfügte selbstredend nicht über einen Maturitätsausweis aus der Schweiz.

      2Neuregelungen in den 1870er und 1880er Jahren

      Alle diese Regelungen waren kompliziert und aufwendig. Vor allem drei Entwicklungen begünstigten nun nach der Revision der Bundesverfassung 1874 eine generelle Regelung der Schnittstelle zwischen Gymnasium und Universität (vgl. Criblez, 2012): Erstens waren die radikalen und zentralistisch eingestellten politischen Kräfte bis zur «Schulvogt»-Abstimmung 1882 im Bundesstaat dominierend (vgl. Criblez & Huber, 2008). Zweitens näherten sich die Vorstellungen über die Zulassung zu den Universitäten und zum Polytechnikum einander an: Die Gymnasien mussten ihre bislang stark neuhumanistisch ausgerichteten Programme den Entwicklungen in den Naturwissenschaften anpassen, und das Polytechnikum setzte zunehmend auf allgemeine Bildung statt wie bisher auf technische und naturwissenschaftliche Vorbildung. Drittens sollte die Ausbildung in den Medizinalberufen im Kontext des starken Aufschwungs der Naturwissenschaften neu geregelt und vereinheitlicht sowie die Mobilität des Medizinalpersonals zwischen den Kantonen gewährleistet werden.

      Schon 1867 hatten sich verschiedene Kantone auf ein Konkordat über Freizügigkeit der Medizinalpersonen geeinigt und mit den Reglementen für die Medizinalprüfungen 1867, 1870 und 1873 die Vereinheitlichung der Prüfungsanforderungen eingeleitet (Fischer, 1927, S. 7ff.; Lattmann, 1978, S. 20). Die neue Bundesverfassung von 1874 ermöglichte es dem Bund nun, die Freizügigkeit in den wissenschaftlichen Berufen für die ganze Schweiz zu regeln:

      «Den Kantonen bleibt es anheimgestellt, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von einem Ausweise der Befähigung abhängig zu machen. Auf dem Wege der Bundesgesetzgebung ist dafür zu sorgen, dass derartige Ausweise für die ganze Eidgenossenschaft gültig erworben werden können.» (BV, 1874, Art. 33)

      Auf der Grundlage eines Bundesgesetzes betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals von 1877 (BG Medizinalpersonal, 1877) erließ der Bundesrat 1880 eine Verordnung für die eidgenössischen Medizinalprüfungen (Medizinalverordnung, 1880). In dieser Verordnung wurden aber nicht nur die Medizinalprüfungen geregelt, sondern sie enthielt auch Vorgaben zur Vorbildung:

      «Um den Zutritt zur propädeutischen Prüfung zu erlangen, hat der Kandidat folgende Nachweise beizubringen: a. über vollständig und befriedigend absolvierte Gymnasialstudien durch ein als Ergebniss einer Prüfung ausgestelltes Abgangs- resp. Reifezeugnis (vgl. die Bestimmungen des Maturitätsprogramms für Mediziner im Anhang). […]» (Verordnung Medizinalprüfungen, 1880, Art. 10)

      Im Anhang der Verordnung wurden die Maturitätsprogramme für Mediziner, Pharmazeuten und Kandidaten der «Thierarzneikunde» geregelt.

      De jure verfügte der Bund auch mit der Bundesverfassung von 1874 nicht über die Kompetenz, die Zulassung zu den kantonalen Universitäten einheitlich zu regeln. Er konnte auf der Grundlage des Artikels 33 lediglich die Zulassung zu den Medizinalstudien definieren – und natürlich diejenige zur eigenen Hochschule, also zum Polytechnikum. Mit der Revision der Verordnung über die Medizinalprüfung (Verordnung Medizinalprüfungen, 1888) wurden dennoch zwei weitere Schritte in Richtung Generalisierung der Bundesvorgaben für die Maturitätsprüfungen eingeleitet. Erstens setzte der Bund eine eidgenössische Maturitätskommission ein. Sie sollte prüfen, ob die Maturitätsprogramme der Kantone den Vorgaben der Verordnung über die Medizinalprüfungen entsprachen. Und sie organisierte nun neu auch individuelle eidgenössische Maturitätsprüfungen – zunächst allerdings ausschließlich für Studierende der Medizinalberufe.

      3Von der ersten Anerkennungsverordnung 1906 zur Maturitätsrevision 1972

      Die gymnasiale Maturität veränderte sich im 20. Jahrhundert in mehreren Schritten sehr weitreichend. Als eher kleiner Reformschritt gilt die Revision von 1906 (Fischer, 1927, S. 164ff.; Maturitätsverordnung, 1906; Vonlanthen & Lattmann, 1978). Erstmals war die Verordnung nun explizit auf die Maturitätsausweise bezogen, wenn auch nach wie vor auf diejenigen der Kandidatinnen und Kandidaten der medizinischen Berufsarten. Allerdings hatte sich die 1897 gegründete EDK nun stark in die Verhandlungen eingemischt. Hauptsächlicher Konfliktpunkt war die mögliche Anerkennung eines realistischen Gymnasialprogramms neben dem klassisch-neuhumanistischen. Es kam aber lediglich zur Akzeptanz eines Maturitätsprogramms ohne Griechisch. Mit «status quo» fasste Fischer (1927, S. 225) das Ergebnis der Verhandlungen zusammen. Deshalb wurden die Diskussionen um das neuhumanistische und das realistische Ausbildungsprogramm auch nach 1906 fortgesetzt. Sie mündeten auf der Grundlage einer viel diskutierten Expertise des Basler Rektors Albert Barth (1919) in der Schaffung der Typenmaturität 1925 (MAV, 1925). Zugleich wurde nun die Generalisierung der Bundesvorgaben über die Medizinalberufe hinaus deutlich, denn erstmals zielten die Regelungen auf die Anerkennung kantonaler Maturitäten unabhängig von den gewählten Studienrichtungen. Maturitäten der kantonalen Gymnasien konnten nun anerkannt werden, wenn sie einem der drei Maturitätstypen entsprachen: A (neuhumanistisch, altsprachlich), B (mit Latein und einer modernen Fremdsprache) oder C (ohne Griechisch und Latein, mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt). Allerdings blieb das Nacharbeiten des Lateins für Studierende mit C-Matur, die ein Medizinstudium aufnehmen wollten, obligatorisch, und die Universitäten hielten auch für viele andere Studienfächer am Latein als obligatorischer Vorbildung fest.

      Zwischen


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