Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book). Группа авторов

Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II (E-Book) - Группа авторов


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verantwortlich. Dies stellt auch höhere Anforderungen an das persönliche Zeitmanagement und die Selbstregulation der Lernenden. Die HEA (2015) schlägt folgende Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Lernens vor:

      –Wie: Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Lernformaten wie Präsenzlernen, Online Learning oder Blended Learning anbieten.

      –Was: Bereitstellung von personalisierten Lernumgebungen mit einem vielfältigen Angebot an Optionen, die es den Lernenden ermöglichen, die Lerninhalte nach ihren Bedürfnissen und Wünschen zu wählen.

      –Wann: Anbieten einer Ausbildungsstruktur mit der Möglichkeit, die Lernzeiten selbst zu wählen, die Lernzeiten an das Arbeits- und Privatleben anzupassen sowie die Intensität und das Lerntempo zu bestimmen; von Vollzeit und beschleunigt bis hin zu Teilzeit und zeitlich gestreckt.

      –Wo: Gestaltung einer Lernumgebung, die es ermöglicht, an verschiedenen Orten zu lernen, sei es zu Hause, am Arbeitsplatz oder im Ausland.

      Das von der HEA (2015) entwickelte Framework versucht, flexibles Lernen für die Hochschulbildung umfassend abzubilden, und umfasst auch die Rolle der Institution beim Bildungszugang oder die organisatorischen und administrativen Bildungsaspekte. Beispielsweise sollen durch institutionelle Agilität eine hohe Durchlässigkeit der verschiedenen Bildungsstufen und offene Bildungszugänge für Lernende mit verschiedenen Lernbiografien und unterschiedlichem sozialem Hintergrund ermöglicht werden. Eine wichtige Frage ist dabei, wie non-formal (z. B. in betriebsinternen Kursen) und informell (z. B. durch berufliche, private Aktivitäten) erworbene Kompetenzen anerkannt werden können. Dieser Aspekt steht in Europa auf der Tertiärstufe momentan im Fokus (Cedefop, 2015), die Umsetzung stellt aber hohe Anforderungen sowohl an ein Bildungssystem als auch an die jeweiligen Bildungsanbieter. Der Ansatz des «Recognition of prior Learning» wurde darum in vielen europäischen Ländern nur teilweise respektive noch gar nicht umgesetzt (European Commission, EACEA & Eurydice, 2018).

      Aus pädagogischer Sicht können verschiedene Dimensionen von flexiblem Lernen identifiziert werden. Gemäß dem vielzitierten Artikel von Chen (2003) muss für flexibles Lernen in mindestens einer der folgenden Lerndimensionen Flexibilität vorhanden sein: Zeit, Ort, Geschwindigkeit, Lernstil, Inhalt, Assessment oder Lernpfad. Li und Wong (2018) haben die bisherigen Publikationen analysiert und sind zu ähnlichen Komponenten von flexiblem Lernen gekommen: Zeit (time), Inhalt (content), Zugangsvoraussetzungen (entry requirement), Bereitstellung (delivery), didaktische Gestaltung (instructional approach), Beurteilung und Bewertung (assessment), Lernressourcen und Support (resources and support) sowie Orientierung und Ziele (orientation and goal). Über die Flexibilisierung dieser Aspekte durch die Bildungsorganisation respektive die Lehrenden können den Bedürfnissen der Studierenden angepasste Lernumgebungen angeboten werden. Die Zeitdimension bezieht sich nicht nur auf das Datum und die Uhrzeit eines Kurses oder eines Moduls (z. B. Abendunterricht), sondern auch auf das Lerntempo innerhalb eines Kurses. Die Inhalte umfassen die Studienthemen – z. B. flexible Curricula, deren Reihenfolge und Schwierigkeitsgrad variiert werden kann, ohne die Bildungsziele insgesamt zu beeinträchtigen. Der Aspekt der Zugangsvoraussetzungen fragt nach den Voraussetzungen für die Teilnahme an Bildungsangeboten. Die Bereitstellung bezieht sich auf den Verteilungsmodus der Lernressourcen. Mit Webtechnologie und Breitbandinfrastruktur lassen sich heute vielfältige Online-Lernumgebungen mittels Lernvideos, Vorlesungsstreaming oder Webkommunikations- und Kollaborationstools gestalten, womit der Zugriff auf die benötigten Lernressourcen und Kommunikationstools heute fast überall möglich ist. Viele Projekte zu flexiblem Lernen beziehen sich auf diese Dimension, mit der das Lernen zeitlich und örtlich flexibilisiert wird. Auch die didaktische Gestaltung kann in Bezug auf Umfang, Sprache, soziale Organisation, Zeitpunkt und Art und Dauer der Lernaktivitäten vielfältig und flexibel gestaltet werden. Bei der Beurteilung und Bewertung kann mittels unterschiedlicher Prüfungsmodi (z. B. schriftlich vs. mündlich, eine große Prüfung vs. mehrere kleinere Prüfungen) sowie alternativer Möglichkeiten, ein Zertifikat zu erhalten (z. B. Prüfung, Präsentation, Gruppen- vs. Einzelarbeit), auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden eingegangen werden. Andere Formen der Flexibilität bei der Beurteilung und Bewertung beziehen sich auf die Gewichtung der verschiedenen Leistungsnachweise und auf die Anforderungen bezüglich Terminen und Fristen von Leistungsnachweisen. Flexibles Lernen ist kein autonomes Lernen, sondern erfordert vielfältige Lernressourcen mit verschiedenen Zugängen sowie zeitlich und örtlich flexible Unterstützung und Beratung. Die Festlegung der Lernziele kann als weiterer wichtiger Faktor für die Lernflexibilität angesehen werden.

      Die genannten Dimensionen geben einen Orientierungsrahmen zu den Aspekten von flexiblem Lernen und bieten zudem eine Möglichkeit, den Grad der Flexibilität eines Bildungsangebotes zu bewerten. Heutzutage wird flexibles Lernen vor allem durch den Einsatz neuer Technologien realisiert (Tucker & Morris, 2012). Die oben genannten Dimensionen zeigen jedoch, dass flexibles Lernen weit mehr ist als nur der Einsatz von neuen Technologien (Li & Wong, 2018). Diese dienen aber als wichtige Enabler, mit denen flexible Lernumgebungen gestaltet werden können. Im Kern geht es beim Konzept des flexiblen Lernens darum, dass Lernende durch verschiedene Optionen beim Lernangebot die Möglichkeit haben, ihre Aus- und Weiterbildung und damit ihren Lernprozess bestmöglich an die eigenen Bedürfnisse und damit ihrem spezifischen Lebenskontext anzupassen.

      3Implementation von flexiblem Lernen

      Bisher wurde flexibles Lernen hauptsächlich auf der Tertiärstufe implementiert, weil die Vereinbarkeit von Familie, Studium und Beruf immer mehr in den Vordergrund rückt und einen wichtigen Anspruch der Studierenden an die Hochschule darstellt. Traditionell wurde die Vereinbarkeit von Studium und Beruf mittels Teilzeitstudien ermöglicht, die in vielen europäischen Ländern existieren; teilweise stehen diese aber nur Studierenden mit einer nachgewiesenen Beschäftigung in einem bestimmten Umfang offen (Eurydice, 2014). Dass das Bedürfnis nach flexiblen Studienangeboten besteht, zeigt der Erfolg von meist privaten Fernfachhochschulen, welche sich im Vergleich mit staatlichen Hochschulen trotz höherer Studiengebühren durch besonders flexible Studienangebote im Hochschulmarkt behaupten können. Unterdessen setzen aber auch staatliche Hochschulen auf flexibles Lernen. So erproben deutsche Hochschulen flexible Studienformate, um auf die zunehmende studentische Diversität zu reagieren (Zervakis & Mooraj, 2014). Die FH Südwestfalen hat beispielsweise ein «Studium flexibel» für ihre Studiengänge der Ingenieurwissenschaften eingeführt, bei welchem die beiden ersten Semester in vier Semestern durchlaufen werden können und das Studium mit verpflichtenden Gesprächen zur Studiensituation und unterstützenden Angeboten ergänzt wird. Mit diesem Studienformat möchte die Hochschule die in den MINT-Fächern hohe Abbrecher- und Durchfallquote reduzieren sowie gleichzeitig das selbstverantwortliche Handeln der Studienanfänger fördern (FH Südwestfalen, 2018). Ähnliche Ansätze zur Flexibilisierung der Studiengangszeit und -organisation werden momentan auch in den Niederlanden verfolgt (Cinop, 2017).

      In der Schweiz hat die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) einen FLEX-Studiengang entwickelt, bei dem die Präsenzzeit gegenüber dem Teilzeitstudium um mehr als die Hälfte reduziert und durch eine Online-Lernumgebung ersetzt wurde (Müller, Stahl, Lübcke & Alder, 2016). Die bisherigen Befunde zeigen, dass Studierende und Dozierende den Studiengang positiv aufgenommen haben und Studierende des FLEX-Studiengangs im Vergleich mit Studierenden des konventionellen Studienformats zumindest gleichwertige Leistungen erzielen (Müller, Lübcke & Alder, 2017). Ob flexibles Lernen allgemein zu äquivalenten Lernergebnissen im Vergleich mit traditionellen Lernansätzen führt, wurde bisher wenig untersucht. Am ehesten können dazu die Metaanalysen zu Blended Learning (z. B. Vo, Zhu & Diep 2017) herangezogen werden; diese unterscheiden aber bisher nicht, ob der klassische Unterricht zusätzlich durch E-Learning-Angebote angereichert wird oder ob dieser durch solche Angebote ersetzt und damit flexibles Lernen ermöglicht wird.

      Auch in der beruflichen Bildung auf der Sekundarstufe II besteht wie auf der Tertiärstufe eine Doppelbelastung von Beruf (resp. privaten Verpflichtungen) und Ausbildung, und es sind flexible Lernformen gefragt, die zeit- und ortsungebundenes Lernen ermöglichen. Obwohl das schweizerische Berufsbildungssystem bezüglich horizontaler und vertikaler Durchlässigkeit bereits eine hohe Flexibilität aufweist, werden momentan Möglichkeiten zur weiteren Flexibilisierung diskutiert (Seufert, 2018), und es wurden verschiedene Projekte zur Flexibilisierung der beruflichen Grundbildung


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