Im Zentrum der Spirale. Cecille Ravencraft

Im Zentrum der Spirale - Cecille Ravencraft


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      »Tja, wenn Sie unsere Gastfreundschaft nicht mögen, können Sie natürlich jederzeit gehen«, erwiderte sie steif und wandte sich ab. »Wir hatten gehofft, dass Sie noch ein paar Tage bleiben würden. George hat noch so viele Dinge im Schuppen zu tun, bei denen er Hilfe brauchen könnte. Und ich habe gerade angefangen, Bohnen zu backen. Wir sind alte, einsame Leute, wir brauchen nicht mehr so viel Essen. Aber ich kann sie ja auch die Toilette hinunterspülen, also machen Sie sich bloß keine Gedanken.«

      »Oh, Moment, warten Sie«, stotterte Thomas erschrocken. »Ich wollte Sie nicht beleidigen, ich finde Ihre Gastfreundschaft ganz toll, bitte Mrs. M, seien Sie nicht böse auf mich!« Sie zögerte, drehte sich aber nicht zu ihm um. Alarmiert sah er, dass ihre Schultern bebten. Sie weinte mit gesenktem Kopf still vor sich hin.

      »Mrs. M, bitte, ich bin nur irgendein Anhalter, ich hatte nicht erwartet, dass Sie so nett zu mir sind. Die meisten Leute nehmen einen nur ein Stück mit und setzen einen irgendwo ab. Niemand ist in meinem ganzen Leben so nett zu mir gewesen! Bitte weinen Sie doch nicht!« Er streichelte ungeschickt ihre Schultern und fühlte sich wie ein komplettes Arschloch.

      Mrs. M. hörte auf zu weinen, hob ihren Kopf und sah ihn an. Die Tränen strömten noch immer über ihre Wangen, und ihre Mundwinkel zitterten. Er umarmte sie, er konnte einfach nicht anders. Sie war so lieb und sah so traurig aus, und er brachte diese niedliche, kleine Eule zum Weinen. Sein Herz brannte vor Scham. Der verletzte und enttäuschte Ausdruck in ihren Augen war fast derselbe, den er in Kellys Augen gesehen hatte.

      »Es tut mir so leid«, murmelte Thomas bedrückt. Er weinte beinahe selbst.

      »Schon gut«, flüsterte sie, »lassen Sie uns hineingehen und eine große Schale Eiscreme essen.« Er stimmte sofort zu. Er hätte allem zugestimmt, damit sie mit dem fürchterlichen Weinen aufhörte.

      »Natürlich bleibe ich. Und ich werde auch Ihrem Mann helfen.« Der Gedanke daran ließ Thomas erschaudern. Als er ihr in die Küche folgte, fragte er sich, wie das alles so schnell gehen konnte. Er war doch nur ein Anhalter, und plötzlich war er ihr Gast? Ein paar Tage bleiben?

      Wie würde er aus der Sache wieder rauskommen? Er fing an, sich große Sorgen zu machen. Sie waren einsam, hatte die alte Dame gesagt. Was wollten die denn tun, ihn behalten? Etwa, bis Pete aus dem College zurückkam? Oder war er vielleicht in der Armee? Thomas wollte kein Lückenbüßer sein. Er konnte das Loch im Herzen der M`s nicht ausfüllen, das Pete hinterlassen hatte – und wollte es auch nicht.

       3

      Thomas warf die kleinen Holzstücke entnervt in die Müllkiste im hinteren Bereich des Schuppens. Er war verschwitzt und müde. Eine Dusche hatte er jetzt dringend nötig, oder vielleicht eins von den entspannenden, heißen Bädern.

      In den letzten Tagen hatte er Mr. M geholfen ein Vogelhäuschen zu bauen. Warum der dabei Hilfe brauchte, war unübersehbar. Weder Mr. M, noch Thomas hatten auch nur die geringste Ahnung davon, wie man ein bescheuertes Vogelhäuschen baute. Was am Ende dabei herausgekommen war, sah aus, als ob ein Betrunkener und ein Vollidiot ein paar Bretter zusammengenagelt hätten. Kein Vogel würde freiwillig auch nur einen Fuß in diesen Müllhaufen setzen. Trotzdem war Mr. M sehr zufrieden. Er hatte Thomas mehrfach erzählt, wie brauchbar dieses Vogelhäuschen sei und wie gut es aussehen würde, wenn es in den Zweigen der alten Eiche neben der Veranda hing. Thomas konnte sich noch immer nicht vorstellen, wozu die Vögel ein Haus brauchten. Er hatte, seit er hier war, keinen einzigen Vogel gesehen oder gehört.

      ›Häng das in den Baum und deine Nachbarn rufen die Kerle mit der weißen Jacke‹, dachte er und schnaubte verächtlich. Husten musste Thomas auch noch.

      ›Scheiß Staub.‹ Seine Nase lief und sein Hals fühlte sich kratzig an. Zudem lauerte auch noch eine Kopfschmerzattacke in seinen Schläfen und blies zum Angriff. Mr. M befahl Thomas aufzuräumen und den Schuppen auszufegen und ging dann wieder ins Haus. Er sagte ständig entweder seiner Frau oder Thomas, was sie zu tun hatten und verschwand einfach. Es fing an, Thomas gewaltig auf die Nerven zu gehen. Er schlenderte langsam zurück zum Haus und rieb sich seinen schmerzenden Kopf. Mrs. M hatte wieder ein wunderbares Abendessen gezaubert. Sie kochte stets riesige Portionen und drängte Thomas zu essen. Er hatte es aufgegeben, dagegen zu protestieren.

      Am zweiten Tag hatte sie ihn gewogen und entsetzt ausgerufen: »Oh mein Gott, Sie sind ja viel zu dünn!« Sie hatte sein Gewicht auf eine Seite ihres Einkaufsblocks geschrieben und den an die Tür des gigantischen Kühlschranks geheftet. Danach wog sie ihn jeden Tag und krauste die Stirn, wenn er nicht wenigstens ein paar Gramm zugelegt hatte. Thomas war gerührt. Niemand hatte sich je so sehr um ihn gekümmert. Er war jetzt seit über einer Woche hier und musste zugeben, dass er eigentlich nicht wieder weg wollte. Aber bleiben konnte er ja auch nicht. Er hatte immer wieder zu Mrs. M gesagt, dass er aufbrechen musste, dass seine Schwester auf ihn wartete. Sie schien ihm nicht zuzuhören. Aber er würde gehen, heimlich und spät in der Nacht, wenn es nicht anders ging. Bleiben stand außer Frage.

      Tom erklomm die Treppe und nahm eine Dusche. Mrs. M hatte ihm neue Kleidung gekauft und sein Geld nicht annehmen wollen, als er ihr die Ausgaben ersetzen wollte. Thomas hatte sein Bargeld inzwischen in der Hülle von Petes »Star Wars«-Kassette versteckt. Dass es dort besser aufgehoben war, wusste er seit dem Tag, als er Mrs. M die Taschen seiner Jeans durchsuchen sah. In zwei Tagen, schwor er sich, würde er das Geld zusammenklauben und abhauen.

      Er hustete noch einmal und nahm einen Schluck von Mrs. M`s hausgemachter Limonade. An die hatte er sich erstmal gewöhnen müssen, aber jetzt mochte er sie recht gerne. Beim ersten Probieren hatte Thomas eine Grimasse gezogen und gestöhnt. Mrs. M tat so viel Zucker in ihre Limonade, dass seine Zähne anfingen zu schmerzen. »Gut, hm?«, hatte sie gefragt, und Thomas hatte mit geschlossenem Mund gegrinst und genickt, während seine Zähne pochten. Jetzt hustete er wieder und befühlte seinen schmerzenden Hals.

      Er hatte keinen Appetit, als Mrs. M ihm eine halbe Stunde später zwei Koteletts mit Kartoffelpüree und Gemüse auf den Teller schaufelte. Sie war nicht enttäuscht, sie kochte vor Zorn, und Thomas rutschte das Herz in die Hose.

      »Meine Frau hat den ganzen Nachmittag vorm Herd gestanden, um Ihnen dieses leckere Essen zu kochen. Also essen Sie es auch«, schnauzte Mr. M ihn an.

      »Warte mal, George«, unterbrach seine Frau ihn und fühlte Toms Stirn. »Oh, er ist krank! Sie gehören ins Bett, Tommy. Sie müssen sich im Regen erkältet haben. Ich hatte schon befürchtet, dass das passieren würde.« Sie schien jetzt sehr besorgt zu sein, und ihr Zorn war verraucht. Thomas widersprach nicht, als sie ihn mit einer dicken Schicht Wick Vaporub auf seiner Brust und einem feuchten Waschlappen auf der Stirn ins Bett steckte. Er fühlte sich ziemlich elend.

      Das Fieber stieg und stieg in dieser Nacht. Die Hitze kam stoßweise, und zwischendurch schlotterte Thomas vor Kälte. Er hustete sich die Seele aus dem Leib, konnte nicht durch die Nase atmen und wünschte sich eigentlich nur noch einen schnellen, gnädigen Tod. Mrs. M war die ganze Zeit in seiner Nähe. Sie wurde sehr ängstlich, als das Thermometer über vierzig Grad anzeigte. Ungläubig schüttelte sie es und wollte es ihm wieder zwischen die Lippen schieben.

      »Rufen Sie einen Krankenwagen«, krächzte Thomas als er anfing, Halluzinationen zu haben. Kelly stand auf einmal mitten im Raum, einen vorwurfsvollen Ausdruck in den Augen, und ihr Kittel war voller Blut.

      »Machen Sie sich keine Sorgen, mein Lieber«, zwitscherte Mrs. M und legte einen frischen Waschlappen auf seine Stirn. »Wir bekommen dieses Fieber ganz schnell weg. Ich habe George in die Apotheke geschickt, damit er Hustensaft und ein paar andere gute Dinge besorgt. Sie werden bald wieder völlig gesund sein.«

      ›Hustensaft‹, dachte Tom perplex. ›Sie versucht tatsächlich, eine Lungenentzündung mit Hustensaft zu kurieren.‹

      Er schlief schließlich ein und hatte höllische Fieberträume. Er sah seine Eltern streiten und hörte seine Mutter weinen, damals in der Nacht, in der Daddy sie verließ. Thomas war weggeholt worden, ohne dass ihm jemand sagte, was passiert war. Ein paar Jahre später hatte man es ihm dann doch erzählt. Seine Mutter hatte sich in dieser Nacht umgebracht. Während


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