Im Zentrum der Spirale. Cecille Ravencraft

Im Zentrum der Spirale - Cecille Ravencraft


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sie stets.

      Wenn sie nicht saubermachte, las oder strickte sie oder kochte irgendetwas Köstliches. Sie ging nie aus, nirgendwohin. Aber sie hatte doch an jenem Abend im Auto gesessen, als sie Thomas in der Finsternis aufgegabelt hatten? Also hatte sie das Haus doch früher ab und zu verlassen. Warum jetzt nicht mehr?

      ›Die haben mich nie alleine gelassen‹, dachte Tom und schluckte. ›Nicht mal, als ich krank war. Sie war immer hier!‹

      Nun ja, es war völlig normal, vorsichtig zu sein, wenn ein Fremder im Haus war. Zumindest in den ersten paar Wochen. Er hätte sie ja ausrauben und verschwinden können. Aber jetzt vertrauten sie ihm doch wohl, oder etwa nicht?

      Mr. M. nahm Thomas niemals mit zum Einkaufen. Darauf war Thomas auch wirklich nicht scharf. Aber der alte Mann brauchte sonst ja auch immer Hilfe und hatte kein Problem damit, darum zu bitten. Sein Schuppen war voll von seinen »kleinen Aufgaben«. Aber er wollte Tom nicht dabei haben, um die Einkaufstüten zu tragen oder dergleichen. Das war schon merkwürdig.

      ›Ich könnte mich außerhalb des Hauses sowieso nicht blicken lassen. Aber die wissen nicht, dass die Bullen hinter mir her sind. Sie verstecken mich, und ich würde zu gerne wissen, wieso.‹

      Er fasste den Entschluss, es herauszufinden.

      Thomas verließ den Schuppen und eilte auf das Haus zu. Es war Mittwochnachmittag, und jeden Mittwoch gegen drei Uhr ging Mr. M. einkaufen. Tom hielt sich in der Küche auf und tat so, als lese er eine von Mrs. M’s Haushaltszeitschriften, bis der alte Mr. M. endlich in seiner hässlichen braunen Cordjacke die Treppe herunterkam. Thomas ging eilig zu ihm.

      Mr. M. nahm gerade die Autoschlüssel aus der Hand seiner Frau entgegen und musste sich noch einige Dinge zu seiner mentalen Einkaufsliste hinzufügen lassen.

      »Vergiss nicht den Thymian, George«, mahnte Mrs. M., »du weißt, Fleisch taugt nicht ohne Thymian.« Beide kicherten. »Was ist denn so lustig«, fragte Thomas verwundert. Er kam sich wie ein Außenseiter vor.

      »Nichts, Lieber. Brauchst du noch etwas? Eine Flasche Limonade vielleicht? Aber nur eine, Limonade ist nicht gut für deine Gesundheit«, lächelte Mrs. M.

      »Na ja … ich weiß nicht … vielleicht könnte ich ja mitkommen in den Supermarkt. Ich könnte dir die Tüten tragen«, erwiderte er und wandte sich Mr. M. zu. Tom vermied es nach wie vor ihn mit Pa anzureden. Mr. M’s Brauen zogen sich zusammen. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Gewitterwolke. Thomas ertappte ihn dabei, wie er einen alarmierten Blick mit seiner Frau tauschte.

      »Oh Tommy, du bist doch noch so schwach! Und dein Husten ist auch noch nicht ganz weg!«, rief diese besorgt und rang nervös die Hände. »Du willst doch nicht wieder krank werden, oder?«

      »Keine Sorge, mir geht es schon ganz gut«, beruhigte Tom sie und zwang sich zu einem Grinsen.

      »Du bleibst hier bei deiner Mutter!«, grollte Mr. M. auf einmal. Thomas sah ihn an. Der alte Sack versuchte wieder zu lächeln, aber seine Augen waren wütend und kalt. Er schien auch ziemlich nervös zu sein.

      »Genau, Tommy, ich brauche Hilfe bei den … Gartenmöbeln. Ich hätte sie schon vor Monaten saubermachen sollen, aber das ist immer so umständlich. Wir können nicht grillen, wenn da alles so schmutzig ist«, warf Mrs. M. hastig ein.

      »Das könnten wir doch später machen, Ma. Es ist ewig her, dass ich in einem Supermarkt war. Warum machst du kein Nickerchen für eine Stunde oder so, und wenn wir zurückkommen, kümmern wir uns um die Möbel. Wie wär’s damit?« Mrs. M. warf ihrem Gatten einen hilfesuchenden Blick zu.

      »Wenn meine Frau dich braucht, bleibst du gefälligst hier und tust, was sie sagt.« Mr. M’s Stimme war barsch und er knirschte förmlich mit den Zähnen. Abrupt wandte er Thomas den Rücken zu und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      ›Hab dich, du Blödmann‹, dachte Thomas. Wenn Mr. M. nichts gegen Toms Plan einzuwenden gehabt hätte, hätte Thomas vorgegeben, doch zu müde zu sein, und wäre beruhigt in sein Zimmer gegangen. Er hatte die M’s geprüft, und sie waren in allen Punkten durchgefallen. Nun wusste Thomas, dass er ihr Gefangener war.

       7

      Thomas schrubbte die Gartenstühle mit Seifenwasser. Mrs. M. hatte ihm einen Eimer und ein paar Lappen in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er könne ein Glas Cola und ein Sandwich haben, sobald er fertig wäre. Thomas freute sich schon darauf. Mrs. M. reduzierte nämlich nach wie vor seine Portionen, und er war hungrig.

      »Warum kann ich nicht ein paar Kekse und ein Glas Milch haben?«, hatte er vor ein paar Tagen gefragt. Er war ziemlich verwirrt gewesen. Früher hatte ihm Mrs. M. jeden Tag gegen vier Uhr einen großen Teller mit Keksen und einem Glas Schokoladenmilch serviert.

      »Weil Kekse nicht gut für deine Gesundheit sind, Schatz«, hatte sie gesagt.

      »Aber sonst habe ich doch jeden Tag Kekse bekommen! Erst sagst du, ich wäre viel zu dünn, und jetzt setzt du mich auf Diät?«

      »Ich würde es nicht Diät nennen. Ich möchte nur, dass dein Magen sich erholt nach der langen Krankheit.«

      »Was hat mein Magen mit der Erkältung zu tun?«

      »Dein Magen war auch angegriffen, weißt du das nicht mehr? Du hast den ganzen Bettvorleger vollgespuckt. Sobald du wieder ganz der Alte bist, kannst du wieder essen, was du willst. Sogar Kekse.« Sie hatte ihm zugezwinkert und wieder wie die niedliche kleine Eule ausgesehen. Er hatte gelacht und genickt. Man konnte ihr einfach nicht böse sein.

      Aber jetzt, während er die Stühle und den Tisch abschrubbte, versuchte Thomas sich zu erinnern, ob er sich tatsächlich übergeben hatte. Er hatte keine Erinnerung daran. Nur beruhigende Stimmen, Fieber, schreckliche Albträume, Kopfschmerzen und Husten. Der Husten war immer noch nicht ganz weg, er machte sich etwas Sorgen deswegen. Hatte er so stark husten müssen, dass er sich übergeben musste? Hatte er den Teppich vom guten alten Pete vollgekotzt?

      ›Müssten ja Flecken drauf sein‹, dachte Tom. Er würde sich das Ding mal näher ansehen.

      Seine Erinnerungen an diese Zeit waren verzerrt und neblig. Er wusste auch nichts mehr von dem merkwürdigen Gespräch neben seinem Bett. Er zuckte mit den Schultern und schrubbte weiter.

      »Hallo, da drüben«, rief eine amüsiert klingende Stimme hinter ihm. Thomas fuhr zusammen und drehte sich um. Mrs. Johanson stand lächelnd auf ihrer Seite des Zauns und winkte.

      Thomas zögerte einen Augenblick, sah über seine Schulter, und schlenderte langsam zu ihr rüber. Er betete, dass Mrs. Johanson nirgendwo ein Fahndungsfoto von ihm gesehen hatte. Vielleicht half ja der Haarschnitt, den Mrs. M. ihm in der ersten Woche verpasst hatte. Der altmodische Seitenscheitel ließ ihn wie Hitler aussehen. ›Vielleicht sollte ich mir noch ein Schnurrbärtchen wachsen lassen und die ganze Nachbarschaft schockieren‹, dachte er und grinste.

      »Hi«, flötete Tom mit einem charmanten Lächeln. Mrs. Johanson war einfach umwerfend. Dunkles, lockiges Haar und blaue Augen, dazu hatte sie eine tolle Figur.

      »Sie sind Tommy, nicht wahr? Ich bin Elaine Johanson.« Sie streckte ihre Hand über den Zaun. Thomas nahm sie und schüttelte sie herzlich. »Thomas Moerfield«, gab er ohne zu zögern zurück. Thomas Moerfield. Das klang ziemlich gut.

      »Tja, schön Sie kennenzulernen, Tommy. Wie lange werden Sie bleiben? Es wäre nett, jemanden in Ihrem Haus zu kennen, mit dem man reden kann. Ihre Großeltern sind ein bisschen … na ja …«

      »Merkwürdig?«, half er ihr grinsend aus.

      »Schüchtern war eigentlich das Wort, das mir nicht einfallen wollte«, erwiderte sie mit einem unsicheren Lachen. »Sie haben nicht ein Wort mit uns gewechselt, seit wir vor drei Monaten hier eingezogen sind. Ich bin gleich am Wochenende nach unserem Einzug rübergegangen, um mich vorzustellen. Aber Ihre Großmutter war leider ziemlich unfreundlich. Eine Woche später haben wir es noch einmal versucht. Sie hat uns gesagt, wir sollen uns verp… wir sollten verschwinden. Da gaben wir es auf.


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