Luise und Leopold. Michael van Orsouw
ein fortwährender Skandal. Der Bundesrat und die Genfer Regierung können aufatmen.»
Auch in Menton stellen die Fotografen dem illustren Paar nach und verbreiten die Bilder in Windeseile; weil die damaligen Kameras noch keine Paparazzibilder liefern können, kommen die Illustratoren zum Zug, welche Luise und Giron zum Beispiel in der Kutsche zeichnen. Die Zeitungskommentatoren staunen, dass die beiden ausgerechnet in Menton abgestiegen sind – nämlich dort, wo jeweils auch König Georg von Sachsen, der Widersacher Luises, sich aufzuhalten pflege und bereits erwartet werde. Doch der Aufenthalt an der Côte d’Azur hält noch ganz anderes bereit.
Auf Schritt und Tritt von Reportern verfolgt: Luise mit Giron in Menton.
Eine Überraschung folgt der nächsten
Die Zeit in Menton entwickelt sich nämlich für die erholungsbedürftigen Luise und Giron ganz anders als erwartet. An jeder Strassenecke lauert ein Reporter, der kompromittierende Situationen in Text und Bild einfangen will. Die Zeitungsleute berichten, wie und wann sie auf dem Quai spazieren, wo sie dinieren, wie lange sie Kutsche fahren und wen sie treffen. Aber auf einem Foto, das die beiden auf der Strasse in Menton zeigt, wirken sie wie ein gewöhnliches Ehepaar.
Beide mit Hut.
Und in dunklen Kleidern.
Sie mit dem Schirm in der Rechten.
Er mit dem Spazierstock in der Linken.
Sie halten Hand. Wie zwei Frischverliebte – und als ob sie gegenüber dem Fotografen ihre Liebe zelebrieren wollten.
Wildfremde Leute erkennen das prominente Liebespaar auf der Strasse, rempeln oder pöbeln es an. Von solchen Erlebnissen schockiert, verbunkern sich Luise und ihr Galan für zwei Tage im Hotel. Einem Reporter sagt Giron: «Wir werden nach einem anderen Ort suchen und nach Amerika reisen, sobald die Scheidung abgeschlossen ist.»
Daraufhin machen die beiden einen Ausflug nach Sanremo: Sie sehen sich die Stadt an und besuchen die Villa de Murisier, die sie mieten wollen. Doch der Prinzessin wird es plötzlich unbehaglich – es sei daran erinnert, dass sie immerhin im fünften Monat schwanger ist.
Auch ein weiterer Trip fällt nicht aus wie erhofft. Giron überredet Luise zu einem Ausflug nach Monaco, ins Spielcasino von Monte Carlo. Sie ziehen von Roulettetisch zu Roulettetisch, und Giron setzt jedes Mal einen Louisdor auf die Nummer 31; er verliert, gewinnt, verliert. Luise als seine aufsehenerregende Begleiterin trägt eine schicke Robe aus hellblauer Seide, ein pelzgefüttertes Cape und dazu einen blauen Federhut. So erkennen andere Casinobesucherinnen und -besucher das illustre Paar sofort, das daraufhin wenig schmeichelhafte Bemerkungen über sich ergehen lassen muss.
Damit nicht genug: Luise und ihr Begleiter geraten ins Fadenkreuz der örtlichen Polizei, die auftaucht und sie bittet, sich auszuweisen. Das ist der Kronprinzessin in ihren 32 Lebensjahren noch nie widerfahren: dass sie sich wie eine dahergelaufene Bürgerin ausweisen muss! Hinzu kommt, dass sie gar keine Ausweispapiere hat. Deshalb wird verfügt, dass sie den Spielsaal sofort zu verlassen habe. Immerhin weist ihr die Polizei den Weg durch eine Nebentüre, damit das Aufsehen nicht zu gross ist. Lokale Amtspersonen setzen die einstige Kronprinzessin vor die Türe eines öffentlichen Lokals – ein neuer Eklat ist perfekt, den die Zeitungen wieder genüsslich breittreten.
Zurück im Hotel in Menton, taucht auch dort die Polizei auf. Denn Luise und André Giron haben sich im Hotel unter dem französischen Allerweltsnamen «Herr und Frau Herard» eingetragen, was in mehrerlei Hinsicht falsch ist: Erstens heissen sie anders, und zweitens sind sie nicht verheiratet.
Die Ereignisse überschlagen sich. Während sie mit der französischen Polizei noch den Streit wegen der fehlenden Ausweispapiere austragen, erhält Luise eine Depesche aus Dresden, wonach ihr zweitältester Sohn ernsthaft erkrankt sei: Friedrich Christian, genannt «Tia», zehn Jahre alt, leide an Typhus, dieser damals meistens tödlich verlaufenden Infektionskrankheit. Als dann auch noch ein Abgesandter des Papstes bei Luise vorspricht und sie eindringlich beschwört, die Affäre mit Giron zu beenden und ihrem kranken Sohn beizustehen, wird ihr alles zu viel. Sie knickt ein und will sofort nach Genf zurückkehren, um dann nach Dresden weiterzureisen. Deshalb bricht sie den bis Ende Februar geplanten Aufenthalt in Menton ab und reist am 4. Februar mit Giron zurück nach Genf.
Dort unternehmen ihre Rechtsanwälte, Adrien Lachenal und Felix Zehme, alles Menschenmögliche, damit Luise unverzüglich zu ihrem kranken Sohn nach Sachsen fahren kann. Dass gleichzeitig englische Zeitungen das Gerücht verbreiten, wonach Luise und Giron dem Katholizismus abschwören wollen, um die reformierte Religion anzunehmen und so eine baldige Heirat zu vereinfachen, verärgert die Royals in Dresden und Wien abermals und trägt nicht zu guter Stimmung bei, ganz im Gegenteil.
Die Rechtsanwälte führen intensive Gespräche mit Luise und André Giron: Wenn Luise ihre Kinder wiedersehen wolle, müsse sie sich wohl von Giron trennen. Luise entscheidet sich schliesslich für die Kinder und gegen den Liebhaber: Sie trennt sich schweren Herzens von André Giron. Die verhängnisvolle Liebesbeziehung scheint zu Ende zu gehen.
Nach einem angeblich sehr heftigen und sehr lauten Wortwechsel, wie Hotelangestellte berichten, verlässt Giron das «d’Angleterre» und reist mit dem Schnellzug in Richtung Paris/Brüssel ab. Luise will mit der Trennung von Giron den Weg ebnen für eine einvernehmliche Übereinkunft mit ihrem Ehegatten Friedrich August. Sie gibt sich diesbezüglich sehr optimistisch.
Luises Gesuch, zum kranken Sohn nach Dresden reisen zu dürfen, gelangt über ihre Anwälte in den Sachsenpalast. Dort bespricht Thronfolger Friedrich August es mit seinem Vater, König Georg, sowie mit den Ministern Sachsens. Die Ant-wort, die bald darauf per Telegramm nach Genf gelangt, lautet knapp und klar: «Seine königliche Hoheit lehnt die Erfüllung der gestellten Bitte definitiv und unter allen Umständen ab.» Damit nicht genug: Falls Luise es dennoch wagen sollte, nach Dresden zu fahren, werde die sächsische Polizei sie schon an der Grenze abfangen und inhaftieren. Etwas anderes stehe ihr auch nicht zu, denn sie habe am 9. Januar den Ehebruch schriftlich anerkannt.
Ein politischer Zündstoff
Der Hof in Sachsen will unter keinen Umständen die gefallene Kronprinzessin bei sich wissen, auch wenn Luise eine baldige Abreise in Aussicht stellt. Der eigentlich private Ehebruch hat nämlich in der Zwischenzeit eine politische Dimension erhalten: Der König von Sachsen, unbeliebt beim Volk, befürchtet ernsthaft und nicht ohne Grund einen Volksaufstand gegen sich.
Denn der Unmut gegen den König ist gross in der Bevölkerung: Nur schon das Gerücht, Luise sei in der Nacht von Freitag auf Samstag nach Sachsen gekommen, reichte für die Entfachung turbulenter Demonstrationen in Dresden: Das Volk hat seine Kronprinzessin nicht vergessen.
Dazu passt, dass Friedrich August das Hofpersonal barsch angewiesen hat, alle Zeitungen und Zeitschriften von Luises Kindern «sorgfältigst fernzuhalten». Dieser Befehl erfolgt deshalb, weil der älteste Sohn, Prinz Georg, in den Zeitungen Nachrichten über das Schicksal seiner Mutter gesucht habe. Der Prinz soll sehr niedergeschlagen sein und zu allen Darstellungen, die man ihm gab, nur ungläubig den Kopf geschüttelt haben.
Auch Luise wirkt nach der Absage aus Dresden niedergeschlagen, mehr noch: Sie ist am Boden zerstört – sie hat ihren Liebhaber fortgeschickt, um zu den Kindern zu gelangen, was der Hof ihr nun doch verwehrt. Sie fühlt sich allein gelassen und hilflos. Sie hat bereits alle Vorbereitungen für die Reise nach Dresden an das Krankenlager des Kindes getroffen, und ihre Anwälte können sie nur mit grösster Mühe davon abbringen, dorthin zu reisen. Sie selbst berichtet später über diese aufregenden Tage: «Die fortwährende Anstrengung und mein Gesundheitszustand liessen mich fühlen, dass ich am Ende meiner Kraft angelangt war und ein nervöser Zusammenbruch unvermeidlich sei.»
Ärztliche Hilfe scheint dringend angesagt. Auf Anraten ihrer Rechtsanwälte zeigt sich Luise damit einverstanden, ein Erholungsheim aufzusuchen. Sie raten ihr zu «La Metairie» in Nyon, diesem lang gestreckten Gebäudekomplex in Sanatoriumsweiss, einer eigentümlichen Mischung aus Hotel-, Schlossund Fabrikarchitektur, direkt