Luise und Leopold. Michael van Orsouw

Luise und Leopold - Michael van Orsouw


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macht die ungebührliche Intimität der Ehebrecherin mit ihrem Geliebten auf einen Blick sichtbar.

      Als dann die Fotografie am 3. Januar 1903 als Titelbild der auflagenstarken Pariser L’Illustration erscheint, ist der Eklat erneut perfekt: Das skandalöse Liebesverhältnis offenbart sich schlagartig aller Welt. Das Foto kursiert später als gedruckte Postkarte, auch in Sachsen.

      Es lässt sich nicht verharmlosen: Die zuerst geheim gehaltene Affäre ist eine öffentliche Peinlichkeit sondergleichen, das Königshaus von Sachsen blamiert sich in ganz Europa. Luise treibe «täglich den offenbarten u ungenierten Ehebruch», fasst es der Dresdner Polizeichef Le Maistre mit Abscheu zusammen. Auch die Kirche Sachsens muss eine klare Reaktion zeigen: Statt dass wie sonst alle Kirchen für das Königshaus Sachsens und ihre Vertreter beten, schliessen sie nun die Kronprinzessin ausdrücklich aus dem Kirchengebet aus.

      Die königstreuen Dresdner Nachrichten geben sich empört: «Mit Recht wird es jeder natürlich und feiner denkende Mensch zu den Unbegreiflichkeiten rechnen, dass die Kronprinzessin, bevor ihre Angelegenheit einen tatsächlichen Abschluss in offizieller Form gefunden hat, es für angemessen hält, mit Giron weiter zusammenzuleben. Es schliesst dies eine Pflichtvergessenheit gegen ihre Familienangehörigen und ihre ganze Vergangenheit in sich, eine grobe Verirrung gegen den guten Geschmack und den Anstand, wie sie nicht stärker denkbar sind.»

      «Eine grobe Verirrung»

      Starke Worte!

      Der Adel empört sich.

      Die Emotionen gehen hoch.

      Stellvertretend sei zitiert, was Diplomatengattin Baronin Hildegard von Spitzemberg unmissverständlich über diese Zeit schreibt: «Alle waren sie erfüllt wie wir von dem entsetzlichen Skandale am sächsischen Hofe, der wirklich an Widerlichkeit seinesgleichen sucht! Fünf Kinder, einen Mann, einen Thron zurückzulassen, um mit zweiunddreissig Jahren, in der Hoffnung von einem Lehrer eben dieser Kinder, durchzugehen – es ist geradezu entsetzlich!»

      König Georg, der seinem Beinamen «der Grämliche» einmal mehr gerecht wird, steht unter grossem Druck seiner adeligen Entourage und muss weiter den starken Mann markieren. Er will reinen Tisch machen, deshalb beruft er noch am 30. Dezember ein Sondergericht mit sieben ihm genehmen Richtern ein, um die Scheidung von der Kronprinzessin einzuleiten. Er will möglichst bald die «Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft» beschlossen haben. Eigentlich hatte man die abgeschwächte, sonst übliche Form erwartet, nämlich die «Trennung von Tisch und Bett».

      Doch Georg ärgert sich so sehr, dass er aufs Ganze geht. Luise und Friedrich August hatten nur kirchlich geheiratet, weshalb eine Scheidung nicht möglich ist. Friedrich August hätte wegen geistiger Umnachtung seiner Frau auf Nichtigkeit der Ehe plädieren können. Das kommt aber nicht infrage, weil dann seine Kinder illegitim gewesen wären und von der Erbfolge ausgeschlossen würden. Deshalb wählt Georg den Weg einer Klage wegen «Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft», allerdings vor einem parteiischen Sondergericht.

      Eine erste Trennung

      Die grosse Zeit der Rechtsanwälte setzt ein. Deren Verhandlungsangebote schnellen zwischen Dresden und Genf hin und her: Dort, in Sachsen, will Georgs Hofstaat rasch zu einer Lösung kommen, bei der das Ansehen von König und Hof keinen Schaden nimmt, was eigentlich fast unmöglich ist; hier, in Genf, versucht Luise ebenfalls, sekundiert vom Genfer Anwalt Adrien Lachenal und vom Leipziger Anwalt Felix Zehme, den Schaden gering zu halten, was angesichts der Öffentlichkeit des Skandals zu spät ist.

      Luises Bruder Leopold wird das alles zu viel. Er braucht Abstand und reist mit seiner Geliebten Wilhelmine am 30.Dezember nach Montreux, wo sie im Hotel Continental einchecken.

      Damit separieren sich die beiden Liebespaare, «wahrscheinlich ein Schachzug der Kronprinzessin u Giron, welch letzterer ein sehr kluger und intelligenter Mensch ist und der der Oeffentlichkeit gegenüber damit sagen will, dass er mit einer Adamowitch, deren Vergangenheit er erst durch die Presse erfahren hat, keine gemeinsame Sache machen will», schreibt Kriminalpolizist Schwarz und ergänzt, was genau er beobachtet hat: «Leopold und die A. hatten bei der Abfahrt vom Hotel Thränen in den Augen, und die Kronprinzessin und Giron, die noch vom Balcon des Zimmers No. 9 Abschiedsgrüsse zugewinkt haben, sollen auch geweint haben.»

      So traurig der Abschied auch gewesen sein mag: Luise und ihr Geliebter bleiben in Genf zurück – und sie verkommen sogar zu Witzfiguren! Denn der bekannte und begabte Münchner Komiker Karl Valentin tritt mit dem Stück «Giron und Luise» auf; es handelt sich um ein Couplet, also eine mehrstrophige Satire, die er gesungen vorträgt. Valentin bietet «Giron und Luise» als Salonhumorist im Theatersaal der ehemaligen Klosterbrauerei in München dar, sehr zum Gaudi des zahlreich erschienenen Publikums.

      Die Affäre zieht noch weitere Kreise: Sogar Agenten des amerikanischen Zirkus Barnum & Bailey interessieren sich für die abenteuerliche Geschichte von Luise und Leopold. Die Zirkusfachleute fragen nach, ob sich die gefallenen Geschwister engagieren liessen. Die Agenten haben bereits die Nummer vor Augen und schildern, was ihnen vorschwebt: Leopold soll einen Triumphwagen durch die Manege lenken, den acht Schimmel ziehen; Luise sitzt in diesem Wagen, trägt Krone und Hermelinmantel.

      Sie winkt königlich.

      Jeden Abend in drei Vorstellungen.

      Die Geschwister als Zirkusattraktion.

      In ganz Amerika.

      Dafür wollen die Agenten 10 000 Franken pro Tag bezahlen – das ist sehr viel Geld! Doch als exzentrische Zirkusnummer zu enden, das geht Luise und Leopold dann doch entschieden zu weit.

      In Genf erfährt die Öffentlichkeit nichts davon. Im Hintergrund verhandelt Leopolds Anwalt mit dem Hofstaat in Wien über eine Abfindung und über die Höhe einer jährlichen Rente. Zwar will Leopold aus dem Kaiserhaus austreten und auf alle Ehren verzichten, nicht aber auf regelmässige Zahlungen, weshalb er die Austrittsvereinbarung mit dem Kaiser noch immer nicht unterzeichnet hat. Denn jeder Herzog hat das Anrecht auf eine Apanage und auf eine festgelegte Quote aus dem Familienfonds, dem Privatvermögen der Habsburger. Wölflings Rechtsvertreter hat Kontakt mit Aussenminister Agenor Graf Goluchowski. Ein ehemaliger Erzherzog, so die Argumentation des Rechtsanwalts, dürfe doch nicht für die Öffentlichkeit sichtbar darben, das schade dem Ansehen des Kaiserhauses.

      Doch der Spitzenbeamte antwortet scharf, Leopold habe sich bis jetzt sehr wenig um das Ansehen und die Würde des Kaiserhauses gekümmert. Deshalb könne dieser nur noch auf eine Erbschaft seines Vaters hoffen. Auch wenn Geld nicht einfach so fliesst: Leopold führt weiterhin einen luxuriösen Lebenswandel.

      In Montreux, wo er mit Wilhelmine hingereist ist, hat er wiederum eines der besten und teuersten Hotels gebucht, das «Continental»; als Kind erzogen ihn seine Eltern zu grosser Sparsamkeit, und er war gezwungen, schon im Kinderzimmer ein persönliches Kassabuch mit den detailliert aufgelisteten Einnahmen und Ausgaben zu führen. Davon hat er sich definitiv emanzipiert und fällt in den letzten Jahren eher durch Verschwendung als durch Knausrigkeit auf. So auch jetzt.

      Eine attraktive Adresse

      Montreux ist zu dieser Zeit eine der angesagtesten Adressen für Europas Neu- und Altreiche. Hier stieg einst Reformpädagoge Jean-Jacques Rousseau ab oder der romantisch dichtende Lord Byron. Entsprechend der zahlungskräftigen Klientel entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts unzählige Grandhotels, Hotels, Pensionen und Sanatorien für Lungenkranke; die bekanntesten Etablissements sind das «Montreux Palace», das «Continental», das «Grand Hotel» in Territet und das «Palace» in Caux. In Letzterem logierte 1898 Kaiserin Elisabeth von Habsburg-Österreich, die Frau von Kaiser Franz Joseph, mit der sich Leopold immer gut verstanden hatte. Auch sie markierte immer mal wieder Distanz zum Hof und mokierte sich über die «qualvolle Schaustellung». Nach ihrem Tod in Genf setzte eine unglaubliche Mystifizierung ihres eigentlich unglücklichen Lebens ein. (Noch heute findet sich in Montreux-Territet ein Denkmal von Elisabeth; sie sitzt in der Pose einer Dichterin mit einem Buch in der Hand.)

      Angesichts des Bekanntheitsgrads von Montreux, Territet und Caux kann man sich gut vorstellen, dass sich Leopold und Wilhelmine in Montreux mit bekannten Wiener Persönlichkeiten


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