Jugendsprache. Eva Neuland
durchaus profitabel für die Produzenten: Der Trend hält bis in die heutige Zeit an, z. T. mit immer aufwändigeren Publikationen wie das Techno-Lexikon (1998) oder das Graffiti-Lexikon (1998).1
Den bisherigen Höhepunkt stellt aber zweifellos das DUDEN-Wörterbuch der Szenesprachen aus dem Jahr 2000 dar, das sich in Inhalt und Aufmachung in die Tradition der populärwissenschaftlichen WörterbücherWörterbücher der Jugend- und Szenesprachen einreiht. Herausgegeben ist diese Publikation von einem „Trendbüro in Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion“. Ein Großteil der verzeichneten Ausdrücke scheinen Augenblicksbildungen, Einzelfallbeispiele oder schlicht Erfindungen der Autoren, was durch befragte Jugendliche bestätigt wird, denen viele der aufgeführten Ausdrücke unbekannt sind. Jugendliche durchschauen diese Vermarktungsstrategie sehr wohl, wie die folgende Äußerung belegt:
„Es gibt Leute, die glauben, Szenesprache müsse man nur nachplappern, um ‚cool‘ zu sein und an die jugendliche Zielgruppe ranzukommen – als Lehrer, Sozialarbeiter oder Werbe-Mensch. Solche Leute haben in ihrer Jugend noch ‚megaaffengeil‘ gesagt, und man nennt sie Poser (…), denn die Poser, die dieses Nachschlagewerk vor allem benutzen werden, wollen ja nur bei passender Gelegenheit die eine oder andere auswendig gelernte Vokabel in den Raum schmeißen.“
(Kommentar einer Jugendlichen zum Duden-Wörterbuch der Szenesprachen im Remscheider Generalanzeiger vom 03.05.2000, S. 20)2Neuland, Eva
Seit 2008 hat der Langenscheidt-Verlag die Aktion: Jugendwort des JahresJugendwort des Jahres ins Leben gerufen. Per Internet werden Vorschläge gesammelt, letztlich entscheidet eine Jury unüberprüfbar nach Ermessenskriterien. 2008 landete der Ausdruck: Gammelfleischparty auf dem ersten Platz, in den letzten Jahren lauteten die Sieger: Yolo, Babo, Läuft bei dir?, Smombie, fly sein. I bims wurde als Jugendwort des Jahres 2017 angegeben. Die vermeintlichen Vorzüge dieses Verfahrens, u.a. freie Zuschriften über das Internet, transparenter Auswahlprozess, erwiesen sich jedoch als geschickte Marketing-Strategie für die jährlich erscheinende Langenscheidt-Broschüre: 100 Prozent Jugendsprache. Das Buch zum Jugendwort des Jahres. In die engere Wahl genommene Ausdrücke wie: hartzen und guttenbergen, aber auch Komposita wie: Gammelfleischparty, Niveaulimbo und Arschfax scheinen eher Konstruktionen aus der Feder professioneller „Trendbüros“. Die reklamierte Authentizität ist angesichts der Anonymität der Zuschriften und in Ermangelung von Gebrauchserhebungen zurückzuweisen. Jugendsprache als Konsumgut bleibt anscheinend aktuell.
Als Jugendwort des Jahres wurde 2017 die Formulierung I bims aus der sog. „Vongsprache“ ausgegeben3. Für einen peinlichen Öffentlichkeitsauftritt sorgte der Autohersteller Mercedes-Benz im Sommer 2017 mit dem Werbeslogan „I bims fancy S-Klasse“ für eine Luxuslimousine im Wert von fast 85.000.- Euro. Die öffentlichen Reaktionen reichten von Verwirrung bis zu einem Shitstorm in den sozialen Medien.
Indessen hat sich der Werbetrend mit konstruierten Beispielen der „Vongsprache“ fortgesetzt (u.a. bei Vodaphone und der Sparkasse) und selbst vor dem DUDEN nicht haltgemacht (Slogan: „Man muss immer auf korrekte Rechtschreibung 8en. Vong Grammatik her.“).
Inzwischen wurden eine Holyge Bimbel. Storys vong Gott u s1 crew sowie eine Faust-Ausgabe herausgebracht (I bims Faust) und die Formel: I bims x vong y her hat den Status eines geflügelten Wortes eingenommen – aber eben nur als Werbeslogan.
2.3 Brennpunkte der aktuellen SprachkritikSprachkritik
Die Brennpunkte der aktuellen SprachkritikSprachkritik sind wiederum zeitdiagnostisch aufschlussreich im Hinblick auf die Analyse von heute vorherrschenden Vorstellungen von Sprachgebrauch und Sozialverhalten. Jugendliche und ihre Eltern unterscheiden sich heute – im Unterschied zu der „skeptischen“ und der „antiautoritären“ Nachkriegsgeneration – kaum mehr in Kleidung, Freizeitvorlieben und Lebensstil, und auch der Sprachstil von Erwachsenen ist heute informeller als früher geworden. Im Unterschied zu der Großelterngeneration sind die meisten Eltern heute nicht mehr so schockiert über „unanständige Ausdrücke“ wie frühere Generationen. Im Zuge sozialer und kultureller Entgrenzungen sind Grenzüberschreitungen, auch verbale, heute zumindest seltener als früher geworden.
Dennoch bleiben im medialen Diskurs hauptsächlich die folgenden 4 Brennpunkte der aktuellen Kritik am Sprachgebrauch von Jugendlichen.1
Jugendsprache als FäkalspracheFäkalspracheDer Vorwurf der „unanständigen“ Ausdrücke von Jugendlichen wurde schon in früheren Phasen der Sprachgeschichte erhoben. Und auch aktuell erregen Fäkal- und Sexualausdrücke (z.B. fick dich, Wichser) öffentliche Missbilligungen. Ob solche Ausdrücke tatsächlich von Jugendlichen häufiger als von Erwachsenen verwendet werden, ist wissenschaftlich nicht belegt. Vielmehr hat die Jugendsprachforschung inzwischen nachgewiesen, dass solche Ausdrucksweisen in der intragruppalen Jugendkommunikation überwiegend nicht in beleidigender provozierender, vielmehr oft auch in scherzhafter Absicht verwendet werden.2 In jugendtypischer Hinsicht werden die Bedeutungen gegenüber der Standardsprache oft erweitert, wie das Beispiel des Ausdrucks geil als positive Wertungsbezeichnung zeigt.
Jugendsprache als ComicspracheComicspracheEs ist ein weitverbreitetes Vorurteil, dass Jugendliche sich nur noch in einer Art „,LallwörterLallwörter“-Kommunikation ausdrücken, keine Grammatik mehr beherrschen und kein SprachgefühlSprachgefühl mehr besitzen würden. Die moderne Variante dieser These bezieht sich auf den medientypischen Sprachgebrauch des sog. „Simsens“ und „Chattens“ mit seinen AbkürzungenAbkürzungen (z.B. cu für see you, lol für laughing out loud), InflektivkonstruktionenInflektivkonstruktion (grins, heul, freu) und nicht normgerechten Schreibweisen (froi, 4u) und führt zu der Befürchtung, dass sich ein solcher Sprachgebrauch allgemein bei Jugendlichen einbürgern könne. Abgesehen davon, dass der witzige Effekt gerade den medialen Kontext voraussetzt, findet diese Befürchtung keine wissenschaftliche Bestätigung.3Dürscheid, Christa
Jugendsprache als DenglischDie öffentliche Kritik an einem Übermaß an EntlehnungenEntlehnungen aus Fremdsprachen ist ebenfalls aus der Sprachgeschichte bekannt. Im 18. Jahrhundert nahm es die Form einer Kritik an Entlehnungen aus dem Französischen an. Damals lautete der Vorwurf „Petitmätereipetits maîtres, Petitmäterei“.4 Heute wird, vor allem in der medialen Berichterstattung, die Furcht vor „Denglisch“„Denglisch“, einer deutsch-englischen SprachmischungSprachmischung, geschürt, die als Hauptursache eines vermeintlichen „SprachverfallsSprachverfall“ des Deutschen angesehen wird. So lamentiert die Zeitung „Sprachnachrichten“ des Vereins für deutsche Sprache:
Mittelgroße Katastrophe: Eine Million sprachloser Jugendlicher
Ein alltägliches Ausnahmeerlebnis: Dönerbude oder Kassenschlange im Supermarkt. Deutsche, türkische und aus Rußland stammende Jugendliche reden miteinander. Ihr gesprochenes Deutsch ist fehlerhaft. Grammatik, LexikLexik und Aussprache weichen ganz erheblich von den anerkannten Regeln ab. Zunächst möchte der Zuhörer gern glauben, Zeuge einer sprachlichen Spielerei zu sein, doch lässt sich diese Illusion nur kurze Zeit aufrechterhalten. Nach einigen Minuten ist die Erkenntnis nicht mehr zu unterdrücken: Diese jungen Menschen können kein Deutsch. […]
(In: VDS Sprachnachrichten 1/2008, S. 1. von R. Pogarell)
Jugendsprache als KanakspracheKanaksprache, Kanak-SprakDie Sorge vor fremdsprachlichen Elementen in der deutschen Sprache war in der Geschichte des SprachpurismusSprachpurismus schon immer ein Spiegel der Furcht vor „Überfremdung“, die auch in Zeiten einer zunehmenden multikulturellen Zusammensetzung der heutigen Gesellschaft fortlebt. Die Kritik an SprachmischungenSprachmischung wird aktuell zugespitzt mit dem Terminus „KanakspracheKanaksprache, Kanak-Sprak“ ausgedrückt. Damit ist die Befürchtung gemeint, dass sich nun auch deutsche Jugendliche nur noch in einer Mischung von Deutsch und Türkisch oder auch in einer Mischung von Deutsch und Russisch verständigen würden. So folgerte bereits die Süddeutsche Zeitung am 20.03.2007:
Yalla, lan! Bin ich Kino? Heute verändern Arabisch, Russisch oder Türkisch die UmgangsspracheUmgangssprache der Jugendlichen stärker als alle AnglizismenAnglizismus/Anglizismen.