Jugendsprache. Eva Neuland

Jugendsprache - Eva Neuland


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werden als Ausdruck der Eigenständigkeit einer selbstbewussten, gegen die gesellschaftlichen Konventionen der älteren GenerationGeneration gerichteten Jugend interpretiert und von einem sprachpflegerischen Standpunkt aus als die GemeinspracheGemeinsprache bedrohende Entwicklungen heftig kritisiert.1 Die methodologisch problematischen Versuche, demgegenüber ein einheitliches „JugenddeutschJugenddeutsch“ lexikographischlexikographisch zu präsentieren, sind allerdings nicht sehr überzeugend. Die sprachpflegerische Tradition der Nachkriegszeit erscheint aus heutiger Sicht eher den Positionen einer öffentlichen, vorwissenschaftlichten SprachkritikSprachkritik und SprachpflegeSprachpflege nahezukommen.

      3 Richtungen der linguistischen Jugendsprachforschung

      Die wissenschaftliche Etablierung des Forschungsgegenstands Jugendsprache in der germanistischen Linguistik wurde durch jenen bereits erwähnten Vortrag von Helmut Henne auf der Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim 1980 eingeleitet.1 Dazu trugen zweifellos auch die 1982 gestellte Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und DichtungDeutsche Akademie für Sprache und Dichtung: „Spricht die Jugend eine andere Sprache?“ und die veröffentlichten Preisschriften2Pörksen, Uwe/Weber, HeinzWeber, Heinz bei. In der sich entwickelnden Jugendsprachforschung wurden in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland verschiedene Forschungsrichtungen eingeschlagen, die sich zum Teil überlappen und nicht immer trennscharf voneinander unterscheiden lassen. Im Folgenden seien sie chronologisch kurz charakterisiert und exemplarisch veranschaulicht.

      3.1 Frühe PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)Pragmatik der Jugendsprache

      Zu Beginn der linguistischen Jugendsprachforschung wurden, der damaligen kommunikativen Wende und Entwicklung der linguistischen PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)Pragmatik entsprechend, besonders pragmatische Aspekte jugendlichen Sprachgebrauchs betont: Dazu gehörten Begrüßungs- und AnredeformenAnredeformen, GesprächspartikelGesprächspartikel, Laut- und VerstärkungswörterVerstärkungswörter, wie sie vor allem von HenneHenne, Helmut in einer ersten DFG-Studie: „Jugend und ihre Sprache“ (1986) analysiert wurden. Die von Henne erprobten Fragebogen- und Beobachtungsverfahren sowie der Allgemeinheitsanspruch seiner Ergebnisse fanden überwiegend kritische Würdigung. So offenbart ein Abschnitt: „InterviewsInterview – zögernde Annäherungen“ das klassische BeobachterparadoxonBeobachterparadoxon1 und die Schwierigkeit einer Gesprächssituation, in der die in einem Universitätsseminar von Henne interviewten Primaner über ihr „PartnervokabularPartnervokabular“ Auskunft geben sollten:

      „H: „Wie werden Freundinnen und Freunde angeredet? ähm Das ist natürlich jetzt etwas schwierig … äh […] Sie sagen: mein Macker?“. Und etwas später: H: „Die Koseworte haben wir ja noch nicht gehört, irgendwelche … Mausi … Liebling […] na ja, ich mein’ das geht jetzt natürlich in Bereiche rein, die kann man praktisch nicht mehr generalisieren, nicht wahr […].“

      (HenneHenne, Helmut 1986, S. 131ff.)

      3.2 Frühe LexikographieLexikographie (der Jugendsprache) der Jugendsprache

      Auch die lexikographischenlexikographisch Traditionen wurden mit verschiedenen Befragungsmethoden fortgesetzt. Dies führte zur Erstellung von WörterbüchernWörterbücher (v.a. HeinemannHeinemann, Margot 1989) und zu Wort- und Sprüchesammlungen und -analysen (z.B. JanuschekJanuschek, Franz 1986, KopperschmidtKopperschmidt, Josef 1987), wobei ebenfalls zumeist von einer Allgemeingültigkeit und HomogenitätHomogenität jugendsprachlichen Gebrauchs ausgegangen wurde. Die anfänglich schlichten, wörterbuchartig aufgelisteten Bedeutungserklärungen und die Datengrundlagen geringer Reichweite ermöglichten oft nur eine begrenzte Aussagekraft der Befunde. So finden sich in Heinemanns: Kleines Wörterbuch der Jugendsprache, noch zu DDR-Zeiten erschienen, viele Beispiele, die weiterer Kommentare und vor allem Kontextuierungen bedürfen, um solche einzelnen Äußerungen verstehen und einordnen zu können, z.B.:

      Jugendliche reden über Vieles […], sie reden über Personen, die sie nicht mögen, z.B. Emanze: „Mädchen, das mit Jungs nichts zu tun haben will: Die blöde Emanze will nicht tanzen“.

      Anscheißer: „Verräter, Petzer: So ein Anscheißer, der war schon wieder beim Lagerleiter.“

      (HeinemannHeinemann, Margot 1990, S. 43)

      Gleichwohl verdankt die spätere Forschungsentwicklung den frühen Beiträgen der 80er Jahre wichtige Impulse. Spätere Studien, die auch mit FragebogenmethodenFragebogenmethoden arbeiten, verwenden differenziertere Modelle der Konstruktion von Fragen und Auswahlantworten mit Skalierungen, die zwischen Kenntnis und Gebrauch unterscheiden und sprachliche Kontexte einbeziehen1.

      3.3 EthnographieEthnographie (von Jugendsprache) von Jugendsprache

      Dies gilt auch für die ethnographischen Einzelfallstudien der 80er Jahre. Vor allem im Rahmen des von KallmeyerKallmeyer, Werner geleiteten Mannheimer Stadtsprachenprojekts (1994) wurden Detailkenntnisse über Ausdrucks- und Funktionsweisen gruppenspezifischer Kommunikation von Jugendlichen im Rahmen ethnographischer Einzelfall-Beschreibungen mittels teilnehmender Beobachtungteilnehmende Beobachtung erarbeitet (v.a. SchwitallaSchwitalla, Johannes 1986/1988, Nothdurft/ Schwitalla 1995). Wichtige Forschungsergebnisse betrafen Identifikations-IdentifikationsstrategienIdentifikationsfunktion und AbgrenzungsstrategienAbgrenzungsstrategien, z.B. „Quasi-ZitateQuasi-Zitate“ und die sozialsymbolische Verwendung von InterjektionenInterjektionen. Die Ergebnisse bleiben allerdings stark auf die Einzelfälle bezogen und sind nur begrenzt verallgemeinerbar. Als Beispiel sei der Kommentar einer Gruppe von Gymnasiasten beim „Hetzen“ über Passanten angeführt:

      So äußerte ein Jugendlicher, als eine junge Frau in schwarzer Lederkleidung vor beikam:

      ‚Uäh! Ach Gott … die Asozial … e e Keggl – n Kinderwaache schiewe un daß so e alte Schlamp noch e Kipp debei raacht … so rischtisch uäh! Ajo! Isch geh uff sämtlische Hardrock-Konzerte, verstehsch? Do geht der Fisch ab!‘ (rülpst)

      ((‚Keggl‘ = dialektaler Ausdruck für ‚Kind‘))

      Über einen älteren, nach Handwerker aussehenden Mann:

       ‚Ha jo, schaff isch bei Benz Fahrzeugmacher Vogelstang ne … bei Benz geht der Fisch ab! Verstehsch … und dann n halbe Kaschde Bier un a Wiener Schnitzel, alles klar, oder?‘

      Über einen Jugendlichen:

       ‚Verstehsch … Kumpels fahr ins Neggazentrum, mach die Leut õ, alles klar!‘

       ‚Ha jo, verstehsch, geh un guck noch Schnalln, geht der Fisch ab ne?!‘

      Beispiel: „Hetzen über Passanten“ (Zit. n. SchwitallaSchwitalla, Johannes 1986, S. 250)1

      3.4 Sprechstilanalysen

      Seit dem Ende der 80er Jahre treten Beiträge der Sprechstilanalysen hinzu (SchlobinskiSchlobinski, Peter 1989). Auch sie gehen von einer konkreten Gruppenkommunikationssituation aus und beziehen den Erfahrungshintergrund der jeweiligen Jugendgruppe (z.B. einer katholischen Kirchengemeinde) zur Erklärung der Besonderheiten gruppentypischer SprechstileSprechstileSprechstilanalysen ein. Für die Stilbildung spielen besonders die gruppentypischen kulturellen Ressourcen eine Rolle, z.B. dient in der katholischen Jugendgruppe das MusterMuster der kirchlichen Fürbitte als eine Quelle ihres Sprachstils. Kreative SprachspieleSprachspiele und mimetischer und verfremdender Umgang mit Zitaten (v.a. Schlobinski 1993, 1996), z.B. aus der Werbung, werden mit dem Konzept der Sprachstil-BasteleiSprachstil-Bastelei („BricolageBricolage“) erfasst, wie bei der Veränderung eines Handlungsmusters aus dem ZDF-Fernsehquiz: „Der große Preis“ und der Ersetzung der „Risikofrage“ durch Wörter aus dem Sexualwortschatz:

       C: Ficken einhundert

       E: Ficken einhundert (.)

       X: Risiko


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