Jugendsprache. Eva Neuland

Jugendsprache - Eva Neuland


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der ständische Aspekt den generationsspezifischen nahezu vollkommen, wobei dieser wiederum dem sprachgeschichtlich-etymologischenetymologisch Forschungsinteresse der Sondersprachforschung untergeordnet wurde (s. Abb. II.2.1).

      Unser Wissen über die historische deutsche StudentenspracheStudentensprache verdanken wir der fast zweihundertjährigen Tradition von historischen WörterbüchernWörterbücher und Dokumentationen der Studentensprache vor Beginn ihrer wissenschaftlichen Erforschung.2Henne, Helmut/Objartel, Georg Sie geben Aufschluss über den Sprachgebrauch und Lebensstil der akademischen, männlichen Jugend und ihrer zentralen Erfahrungsbereiche und sozialen Wertungen. Gleichwohl sind schon Anzeichen regionaler und gruppenspezifischer sprachlicher HeterogenitätHeterogenität in burschikosen Sprach- und Lebensstilen zu erkennen. Bedauerlicherweise sind sprachliche Äußerungen der nichtakademischen Jugend kaum dokumentiert und analysiert worden, was die Einschränkung des sondersprachlichen Jugendbegriffs noch deutlicher macht.

      Abb. II.2.1:

      SondersprachenSondersprache in der Systematik von HirtHirt, Ferdinand 1909

      Die ersten Beobachtungen und Dokumentationen einer deutschen Jugendsprache stammen von Vertretern der philologischen Sondersprachforschung wie MeierMeier, John (1894) und vor allem KlugeKluge, Friedrich (1895). Die frühe Sondersprachforschung verfolgte gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrem sprachhistorischen Interesse an der Entstehung des neuhochdeutschen Wortschatzes hauptsächlich etymologischeetymologisch Fragestellungen: Sie untersuchte die Herkunftsbereiche des Sonderwortschatzes, seine sprachlichen Bildungsmittel und seinen allmählichen Übergang in Stilschichten der GemeinspracheGemeinsprache und der gehobenen Literatursprache.

      (Kluge 1895, S. 1)

      Dies soll am Beispiel der Wortgeschichte von Kneipe nach KlugeKluge, Friedrich veranschaulicht werden, womit um 1760 „die gewöhnlichste Schenke der niedrigsten Sorte“ und auch die „Diebsherberge“ bezeichnet wurde. Durch den studentischen Gebrauch und die damit verbundene Bedeutungserweiterung fand dieser Ausdruck schließlich Aufnahme in die Standard- und Literatursprache.

      (Kluge 1912, S. 11)

      Nachträge der Sondersprachforschung bezogen im frühen 20. Jahrhundert die „Schüler-“ und „PennälersprachePennälersprache“ ein. Allerdings beschränkten sich diese Beiträge häufig auf bloße Wörterverzeichnisse der SchülerspracheSchülersprache in bestimmten Regionen.3 Mit der Schrift von GötzeGötze, Alfred über die deutsche StudentenspracheStudentensprache (1920) fand die frühe Sondersprachforschung ihren vorläufigen Abschluss.

      2.2 Psychologische Tradition der SprachentwicklungsforschungSprachentwicklungsforschung

      An welche Forschungstraditionen hätte die sich entwickelnde linguistische Jugendsprachforschung in Deutschland anknüpfen können?

      Mit der „Sprache der Jugend“ hatte sich auch schon die frühe deutsche Sprachpsychologie und die Tradition der SprachentwicklungsforschungSprachentwicklungsforschung befasst, als deren prominente Vertreter Clara und William SternStern, Clara u. William mit ihrer berühmten Abhandlung zur KinderspracheKindersprache (1908) gelten. Basierend auf den wichtigen Elementen der Stadienlehre und der Konvergenztheorie setzte sich diese Tradition mit Arbeiten bis zum Jugendalter fort, darunter die Abhandlungen von Charlotte BühlerBühler, Charlotte zu Kindheit und Jugend (1928) und zum „Seelenleben“ des Jugendlichen (1922).

      Bemerkenswert ist auch BusemannsBusemann, Adolf Versuch: „Die Sprache der Jugend als Ausdruck der Entwicklungsrhythmik“ (1925) zu erfassen. Seine Leitthese eines periodizitätstheoretischen Entwicklungskonzepts versuchte er mit dem phasenspezifischen Ansteigen und Absinken eines „AktionsquotientenAktionsquotient“ von Merkmalen aus Schülertexten sprachlich zu belegen. Die Problematik eines solchen Zugangs liegt jedoch in der Annahme eines selbsttätigen Reifungsprozesses und in den universalistischen Typisierungen, die mit der biologischen Altersgleichheit eine HomogenitätHomogenität der „Jugend und ihrer „Sprache“ unterstellten und die Einwirkung sozialer Erfahrungen und umweltbedingter Lernprozesse unberücksichtigt ließen. Der Terminus „Jugendsprache“ wird eher als Etikett eines Entwicklungsgeschehens verwendet, und die Sprachanalyse scheint allein der Bestätigung einer solchen Entwicklungstheorie zu dienen.

      Es ist aufschlussreich, dass es zwischen den Traditionen der psychologischen SprachentwicklungsforschungSprachentwicklungsforschung und der philologischen Sondersprachforschung keine interdisziplinären Berührungspunkte und keinen wissenschaftlichen Austausch gab. Die Forschungstraditionen wurden, unterbrochen durch Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg, erst in der Nachkriegszeit wieder aufgenommen und im Rahmen der „AltersstilforschungAltersstilforschungAltersstil“ neu belebt. So unterscheiden HetzerHetzer, Hildegard/Flakowski, Herbert/Flakowski: „Die entwicklungsbedingten Stilformen von kindlichen und jugendlichen Schreibern“ (1954/1974), und zwar den „ganzheitlich-erlebnisbestimmten Stil der Kleinkindstufe“, den „ganzheitlich-sachbetonten Stil der späten Kindheit“, den „gegenständlichen Stil“ gegen Ende der späten Kindheit und schließlich den „gegenständlichen Stil mit Gestaltungsabsicht als höchste Form des Kindheitstils“. Ähnliche Unterscheidungen sind von der Sprach- und speziell Aufsatzdidaktik der damaligen Zeit aufgegriffen worden, vor allem von PregelPregel, Dietrich (1970), der – unter Einbezug des mündlichen Sprachgebrauchs – einen sog. „FreskostilFreskostil“ in der frühen Grundsschulzeit von einem „ReliefstilReliefstil“ in der späten Grundschulzeit unterschied. Es bleibt kennzeichnend für die Altersstilforschung vor der pragmatischen Wende, von einer reifungsbedingten Abfolge von Entwicklungsstufen des Sprachgebrauchs in Kindheit und Jugend auszugehen, ohne Berücksichtigung kommunikativer und situativ-funktionaler Bedingungen sowie individueller Differenzierungen.

      Erst die kürzlich neu entwickelte Perspektive einer die verschiedenen individuellen Lebensphasen umfassenden SprachbiographieSprachbiographie könnte an diese Traditionen anknüpfen und diese im Sinne einer sprachlichen SozialisationsforschungSozialisationsforschung weiterentwickeln.1

      2.3 Sprachpflegerische Traditionen in der Nachkriegszeit

      In gewisser Weise können die Beiträge zur deutschen SchülerspracheSchülersprache in den 60er Jahren (v.a. von KüpperKüpper, Heinz 1961) als Weiterentwicklung der sondersprachlichen Erforschung der Schüler- und PennälersprachePennälersprache vom Beginn des 20. Jahrhunderts gelten. Küpper war auch derjenige, der zum ersten Mal von einem „JugenddeutschJugenddeutsch“ sprach und diesem einen Band seines sechsbändigen Wörterbuchs der deutschen UmgangsspracheUmgangssprache widmete (1970).

      Von einem sprachkritisch-sprachpflegerischen Standpunkt aus wurde seit dem Ende der 50er Jahre das Spannungsverhältnis zwischen „Jugend, Sprache und Gesellschaft“ (so StaveStave, Joachim 1960) betrachtet. Als Chronist von „15 Jahre[n] Deutsch in der Bundesrepublik“ verzeichnete Stave jugendsprachliche Auffälligkeiten wie den frühen AnglizismusAnglizismus/Anglizismen hotten und Metaphern wie Tastenhengst (für Pianist), die das Missfallen der Nachkriegsgesellschaft erregten. Sprachkritisch wertend bescheinigte Stave den damaligen Jugendlichen mangelndes SprachgefühlSprachgefühl und fürchtete um den negativen Einfluss auf die Standardsprache.

      […] vor allem die Jugend ist völlig unbedenklich darin, nur noch so zu sprechen und zu schreieben, wie ihr ‚der Schnabel gewachsen ist‘. Das wird auf die Umgangssprache der nächsten Generation nicht ohne Folgen bleiben. Gewisse Schrumpfungserscheinungen sind in der Grammatik jetzt schon erkennbar, z.B. die die Abneigung gegen den Gebrauch des Konjunktivs, des Genitivs, des Perfekts und der reicher gegliederten Formen des Satzes. Schließlich wird diese Entwicklung noch dadurch gefördert, daß die Jugend kein Verständnis mehr für die Auffassung von Sprache als dem ‚heiligsten Gut der Nation‘ hat. Verantwortung vor der Sprache ist ihr fremd. Für sie ist die Sprache kein Kulturwert mehr, sondern ein Konsumgut, dessen man sich unbefangen


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