Jugendsprache. Eva Neuland
Jugendlicher Wendungen wie hadi tschüss (Neuland/Schubert/Steffin 2007) als VerabschiedungsformelVerabschiedungsformeln oder lan als AnredeformAnredeformen entdecken. Sie lassen sich als Sprachkontaktphänomene aus den multilingualen Zusammensetzungen von Schulklassen in Deutschland erklären. Ausdrucksweisen wie: ich geh Kino, die wegen der fehlenden Präposition als typisch für KanakspracheKanaksprache, Kanak-Sprak oder KiezdeutschKiezdeutsch angesehen werden,5 offenbaren jedoch nicht unbedingt Defizite in der Beherrschung der Grammatik der deutschen Sprache. Vielmehr können sie auch bewusst als AnspielungenAnspielung auf ein solches Klischee funktionieren und machen in jedem Fall eine genaue Kontextanalyse erforderlich.
Jugendliche Sprach- und Lebensstile bilden Projektionsflächen für diese und weitere Kritikpunkte und Besorgnisse. Kontrastiert man die medial vermittelten öffentlichen Kritikpunkte an der Jugendsprache mit Ergebnissen sprachwissenschaftlicher Forschung, so können nahezu alle Kritikpunkte relativiert oder widerlegt werden. Deshalb liegt die Schlussfolgerung nahe, dass sich diese Kritik gar nicht auf den tatsächlichen Sprachgebrauch Jugendlicher richtet, sondern dass sie sich vielmehr auf die in den Medien selbst präsentierte „Jugendsprache“ bezieht. Im Brennpunkt der öffentlichen SprachkritikSprachkritik steht weniger der authentische Sprachgebrauch der Jugendlichen als die medial konstruierte „Jugendsprache“. Insofern ergibt sich geradezu ein circulus vitiosus: In den Medien wird genau das kritisiert, was zuvor selbst erzeugt wurde.
2.4 „JugendlichkeitJugendlichkeit“ als Prestigefaktor und das Schwinden der GenerationendifferenzGenerationendifferenz
Eine nochmals andere Perspektive ergibt sich für das Verhältnis zwischen den Generationen mit der ökonomisch geprägten These vom: „Kampf der Generationen“. Sie besagt, dass im Zug der Verschiebung der Altersstruktur der Gesellschaft die Arbeitskraft der jüngeren Generationen künftig für die Sicherung der Renten der älteren Generationen nicht mehr hinreiche.
Jung gegen Alt? (Focus 23/1996)
Während sich volkswirtschaftlich gesehen die Kluft zwischen den GenerationenGeneration vergrößern mag, ist kultursoziologisch eine gegenläufige Tendenz einer Annäherung der Generationen in modernen westlichen Gesellschaften unverkennbar. Dabei spielen neue, werbewirksam vermarktete GenerationsbilderGenerationsbild, v.a. der „jungen Alten“ eine entscheidende Rolle:
Was heißt hier alt? (Focus 51/2007)
JugendlichkeitJugendlichkeit als Prestigephänomen führt zu neuen Lebensstilen einer vita activa mit neuen Teilhabe- und Konsummöglichkeiten, und die Angleichungen im Konsum (Mode, Sport, Hobbies , HabitusHabitus) führen zu einem Schwinden der kulturellen Generationsdifferenz, die die soziale Ungleichheit gleichwohl unangetastet lässt.1Neuland, Eva
3 Jugendsprache: FiktionFiktion und Wirklichkeit
Das Thema Jugendsprache ist von seiner medialen Vermarktung nicht zu trennen. Diese Feststellung wurde schon zu Beginn der linguistischen Jugendsprachforschung getroffen: Eine der ersten großen empirischen Studien zur Jugendsprache trägt zu Recht den Untertitel: FiktionFiktion und Wirklichkeit.1Schlobinski, Peter/Kohl, Gaby/Ludewigt, Irmgard Die Abwehr gegen den „Mythos“ von der ‚Jugendsprache‘ prägt seitdem die linguistische Jugendsprachforschung bis heute. Der linguistische Forschungsgegenstand Jugendsprache und das öffentliche Diskussionsthema: „Jugendsprache“ sind nicht deckungsgleich, und öffentlich zugeschriebene und wissenschaftlich belegte Eigenschaften sind wohl zu unterscheiden. Dies soll in der folgenden Abbildung vereinfacht dargestellt werden:
Doing YouthDoing Youth: Jugendsprache zwischen FiktionFiktion und Wirklichkeit
Das mediale Konstrukt „Jugendsprache“ entsteht in einem Prozess des „Doing YouthDoing Youth“2Neuland, Eva aus medialer Vermittlung, StereotypisierungStereotypisierung und KommerzialisierungKommerzialisierung, der Jugend und Jugendsprache zu Gunsten wirtschaftlicher und politischer Interessen funktionalisiert. Zugleich trägt der Prozess des „Doing Youth“ in der Öffentlichkeit zu einer Perspektivenverengung bei, die in Form bestimmter gesellschaftlicher Erwartungen auf die wissenschaftliche Forschung zurückwirkt, z.B. in Form der journalistischen Erwartung, jeweils die neuesten „In- und Out-Hitlisten“ zu liefern.
Die linguistische Jugendsprachforschung kann dazu beitragen, solche Klischees zu dekonstruieren und damit zugleich einer Reduktion der Perspektivenvielfalt des Themas Jugendsprache entgegenzuwirken. Ihre bisherige Entwicklung demonstriert hingegen einen wissenschaftlichen Perspektivenreichtum in linguistischer wie auch interdisziplinärer Hinsicht mit Bezügen zu Sprachgeschichte und SprachwandelSprachwandel, zu SprachnormSprachnorm und SprachvariationSprachvariation, zu Gruppen- und FachsprachenFachsprache, fachsprachlich, zu Kommunikationsforschung und Stilistik, zu SprachsozialisationSprachsozialisation und Sprachunterricht. Neben der empirischen Erforschung des Sprachgebrauchs Jugendlicher bilden aber eben auch die gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse einen Gegenstand kulturanalytischerkulturanalytisch und sprachkritischer Forschung. Insofern kann Jugendsprachforschung auch einen Beitrag zur wissenschaftlichen Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit und zur Sensibilisierung des öffentlichen SprachbewusstseinsSprachbewusstsein für Sprachvielfalt und Sprachveränderung leisten.
II Jugendsprachforschung: Grundlagen und Entwicklungen
In diesem Kapitel soll nun die Frage verfolgt werden, wie das Thema Jugendsprache Eingang in die linguistische Sprachforschung in Deutschland fand.
1 Beginn der linguistischen Jugendsprachforschung in Deutschland
Noch Anfang der 80er Jahre zog ein bekannter Vertreter der germanistischen Sprachwissenschaft das Resümee, dass es eine „linguistische Jugendsprachforschung nicht gibt“1Henne, Helmut. Der Vortrag von Helmut Henne: Jugendsprache und Jugendgespräche aus dem Jahre 1980 öffnete gleichsam eine wissenschaftliche Eingangstüre für dieses Thema, dem im selben Jahr noch einige kleinere Beiträge gewidmet wurden.2Bättig, MichaelSchleuning, Peter Zwischen 1980 und 2016, dem Jahr der jüngsten internationalen Fachkonferenz zum Thema Jugendsprache, liegt eine Spanne von knapp 40 Jahren. Die linguistische Jugendsprachforschung hat in dieser Zeit in Deutschland und im europäischen sowie außereuropäischen Ausland eine lebhafte Entwicklungsgeschichte und einen außerordentlichen Aufschwung zu verzeichnen.
Verfolgen wir zunächst aus fachgeschichtlicher Sicht die frühen Erkenntnisinteressen und Fragestellungen sowie die theoretischen und methodischen Probleme zu Beginn der linguistischen Jugendsprachforschung.
1.1 Frühe Erkenntnisinteressen und Fragestellungen
Während in den Vorläufern der linguistischen Jugendsprachforschung, der Tradition der Sondersprachforschung und der SprachkritikSprachkritik und SprachpflegeSprachpflege1Sprachentwicklungsforschung, die GemeinspracheGemeinsprache bzw. Hochsprache und ihre Entwicklung im Vordergrund des Interesses standen, wurde die Jugendsprache erst mit Beginn der linguistischen Jugendsprachforschung zum Erkenntnisobjekt eigenen Rechts.
„Spricht die Jugend eine eigene Sprache?“ so lautete die 1982 gestellte Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und DichtungDeutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die eine Fülle von Einsendungen von Sprachwissenschaftlern, Schriftstellern und Jugendlichen selbst auslöste.2Pörksen, Uwe/Weber, HeinzWeber, Heinz Die hier behandelten Fragestellungen betrafen vor allem Gründe und Erscheinungsweisen sowie mögliche Einflüsse und Auswirkungen des Sprachgebrauchs Jugendlicher.
Die Frage nach der Generationsspezifik des Sprachgebrauchs Jugendlicher weist die linguistische Jugendsprachforschung der Teildisziplin der SoziolinguistikSoziolinguistik zu, die sich mit den sozialen und kulturellen Bedingungen des Sprachgebrauchs, mit Sprache im sozialen