Jugendsprache. Eva Neuland

Jugendsprache - Eva Neuland


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ersten Beiträge zur Jugendsprache in Deutschland enthielt, trug denn auch den Titel: Sprache und soziale Erfahrung.

      Linguistische Fragestellungen im engeren Sinne bezogen sich – in Weiterführung der sondersprachlichen Forschungstraditionen – zunächst auf lexikologischlexikologisch-lexikographischelexikographisch Betrachtungen des Wortschatzes Jugendlicher sowie auf neuere pragmalinguistische Forschungsaspekte, wie z.B. BegrüßungsformelnBegrüßungsformeln und GesprächspartikelGesprächspartikel. Der Einbezug von Fragen nach der Wortbedeutung und der WortbildungWortbildung lag nahe, ebenso wie die Ausdehnung auf die PhraseologiePhraseologie. Fragen nach Stilmerkmalen und Stiltendenzen der Jugendsprache traten bald hinzu.

      Neben den zentralen soziolinguistischen Erkenntnisinteressen wurden auch sprachpädagogische Interessensprachpädagogische Interessen geltend gemacht, veranlasst durch die Meinungen über die Jugendsprache als Symptom für SprachverfallSprachverfall und die kritische Sicht auf die Sprachleistungen Jugendlicher. So wurden auf der Tagung der evangelischen Akademie Loccum: Sprüche – Sprachen – SprachlosigkeitSprachlosigkeit?3Ermert, Karl besonders die Folgen subkultureller Formen von Jugendsprache im Hinblick auf Bildung und Erziehung diskutiert. Der Zusammenhang von Sprachgebrauch Jugendlicher und schulischen Sprachleistungen ist für die weitere Entwicklung der Jugendsprachforschung in Deutschland ein wichtiges Moment geblieben.

      1.2 Anfängliche methodische und theoretische Forschungsprobleme

      Von einer systematischen sprachwissenschaftlichen Bearbeitung solcher Fragestellungen war man allerdings zu Beginn der 80er Jahre noch recht weit entfernt, was mit den nicht unerheblichen theoretischen und methodischen Forschungsschwierigkeiten zusammenhing. Eines der wichtigsten Probleme stellte sich bereits mit der Quellenlage: Die wenigen Belege für sprachwissenschaftliche Analysen verdankten sich hauptsächlich den mehr oder minder anekdotischen „Insider-Beobachtungen“1Bättig, MichaelSchleuning, PeterBehrendt, Walter u.a., mit denen „ehemalige“ Jugendliche auch ihre persönliche Sprachgeschichte aufarbeiteten. Die nicht oder auch nicht mehr in jugendliche Lebenswelten und Kommunikationspraxen integrierten Autoren standen als „Outsider“ bzw. Angehörige „fremder Welten“ alsbald vor ihnen unerklärlichen Sprachphänomenen.2Henne, Helmut

      Die Notwendigkeit einer authentischen Datenbasis sowie der unumgängliche Rückgriff auf interpretatives FremdverstehenFremdverstehen erweisen sich als grundlegendes Problem der Jugendsprachforschung. Einen eher fragwürdigen Ausblick bieten kontextisolierte Einzelfallbeispiele3 oder textsortenspezifisch konstruierte Einzelfälle, die sich aus autobiographischen Erfahrungen speisen. Ein Beispiel liefert die folgende „fiktive Rede“ von SchleuningSchleuning, Peter:

      „Also, ich kann mich echt aufregen, wenn ich die Typen bei mir in der WG sehe. Immer wenn ich heim komm, läuft der gleiche Film ab, echt der gleiche Scheiß irgendwie. Wenn ich da schon reinkomm und nur den Spasti von Heinz seh. Da bin ich schon bedient. Der hat nur eins drauf, wenn er mich sieht: Die große Anmache wegen irgendwas. Echt motzig ist der, von Morgen bis Abend. Wenn ich das schon hör, bin ich total gestresst. Und dann die Bärbel, die ist auch das Letzte. Sagt sie so ganz link zu mir: Wir haben schon gegessen! Du, das find ich so unheimlich beknackt, das törnt mich so ab, der totale Horror. Solche Schoten bringt die am laufenden Band, aber voll,da bin ich schon so gefrustet. Ich scheck das echt nicht, wie man so reden kann.“

      (SchleuningSchleuning, Peter 1980, S. 9)

      „Jugendsprache – was ist das eigentlich?“4Volmert, Johannes Um eine theoretische Klärung dieses Begriffs hat sich auch die moderne Jugendsprachforschung nicht explizit bemüht. Der Rückgriff auf sprachliche Äußerungen von Schülerinnen und Schülern, von Studentinnen und Studenten schien eine ausreichende Selbstevidenz zu sichern. Dies sollte sich allerdings im Zuge der Etablierung der Jugendsprachforschung ändern. Sollen jugendliche Ausdrucksweisen nicht nur in ihrer sprachlichen Erscheinungsweise beschrieben, sondern in ihrer möglichen alters-, generations- oder auch (sub)kulturtypischen Funktionsweise im sozialen Kontext analysiert werden, so stellt sich die Klärung der Begriffe von Jugend und Jugendsprache als vordringliches Problem.5

      Zu Beginn der modernen Jugendsprachforschung wurde von Helmut Henne die sozialpsychologische Kategorie des IdentitätserwerbsIdentitätserwerb im Jugendalter eingeführt und der Jugendsprache eine wesentliche Funktion der „SprachprofilierungSprachprofilierung“6Henne, HelmutWeber, HeinzPörksen, Uwe/Weber, Heinz beigemessen. Dieser sprachfunktionale Aspekt hat sich für die weitere Entwicklung für die Jugendsprachforschung als sehr bedeutsam erwiesen, jedoch bedarf er zugleich weiterer Differenzierungen und empirischer Belegführungen, vor allem im Hinblick auf eine Verbindung von individual- bzw. gruppenpsychologischen Sichtweisen mit den soziologischen Aspekten der Stellung der Jugend und ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunftsoziale Herkunftswelten innerhalb der Gesellschaft.

      Die unzureichende soziale DifferenzierungDifferenzierung der Jugend und der Jugendsprache wurde mit den bekannten Thesen von GloyGloy, Klaus u.a. im Jahr 1985 wie folgt kritisiert:

      1 „Es gibt nicht die (eine) Jugendsprache, weil es nicht die Jugend als homogene GruppeGruppe gibt. […]

      2 Es gibt nicht die Jugendsprache (im Gegensatz zur Erwachsenensprache) […]

      3 Es gibt nicht die Jugendsprache, sondern das Sprechen von Jugendlichen.“7Gloy, Klaus

      Dieses oft zitierte Fazit, das als Kritik an der anfänglich vorherrschenden Homogenitätsannahme der Jugend und ihrer Sprache zu verstehen ist, kann jedoch keinesfalls als Entlastungsargument für unterbliebene theoretische Klärungen des jeweiligen Forschungsgegenstands dienen, wie es zu weiten Teilen der frühen Jugendsprachforschung charakteristisch war.

      Allerdings weisen neuere Beiträge zur Jugendsprachforschung kaum explizite Auseinandersetzungen mit dem Begriff Jugend auf. Während ethnographische Einzelfallstudien überwiegend ganz auf solche theoretischen Reflexionen verzichten, finden sich seit SchlobinskisSchlobinski, Peter These vom „Mythos Jugendsprache“8Schlobinski, PeterJanuschek, Franz eher ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Aspekt von Jugendsprache als Medienprodukt und mithin mit einer fiktiven Jugendsprache. Die aktuelle Jugendsprachforschung hat sich deutlich von der Annahme HomogenitätHomogenität der Jugend verabschiedet, allerdings ohne dies mit weiteren gesellschaftsanalytischen Differenzierungen zu verbinden. Die Heterogenitätsannahme ist seitdem nicht mehr hintergehbar. Trotzdem bleibt die theoretische Klärung des Status des jeweils untersuchten SprecherInnen/SchreiberInengruppe und somit auch des genuinen Gegenstandfelds der linguistischen Jugendsprachforschung bis heute ein Desiderat.

      2 Vorläufer der modernen Jugendsprachforschung

      Eine kurze Rückbesinnung auf gegenstandsgeschichtliche und fachgeschichtliche Stationen kann sich auch in dieser Hinsicht als hilfreich erweisen. An dieser Stelle seien drei Vorläufer der modernen Jugendsprachforschung skizziert, die sich unterschiedlichen disziplinären Traditionen und Fachverständnissen verdanken.

      2.1 Philologische Tradition der Sondersprachforschung

      „Jugendsprache“ ist kein Phänomen der Neuzeit. Auch zu früheren Zeiten haben Jugendliche einen ihnen eigenen Sprachstil ausgebildet, der sich von dem in der Gesellschaft vorherrschenden und von der älteren GenerationGeneration verwendeten in bedeutsamer Weise unterschied.

      Es ist allerdings bemerkenswert, dass die Sondersprachforschung auch in ihrer Blütezeit bis in das 20. Jahrhundert hinein den Begriff „Jugendsprache“ nicht verwendete. Vielmehr wurde von der Studentensprache und von der Sprache der akademischen Jugend, später dann auch von der SchülerspracheSchülersprache gesprochen. So wie andere Sondergruppen von Ständen und Berufen interessierte die Gruppe der jungen Akademiker durch ihre von der GemeinspracheGemeinsprache unterschiedlichen vor allem lexikalischen Ausdrucksmittel. Diese wiederum wurden eher unter dem Aspekt der innovativen Auswirkung auf die Gemeinsprache und weniger unter dem Aspekt ihrer möglichen Bedeutungen für die sprachspezifische Lebensphase befragt.

      Die aufschlussreiche Systematisierung der SondersprachenSonderspracheSondersprachenforschung von Ferdinand HirtHirt, Ferdinand


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