Zeitmanagement und Selbstorganisation in der Wissenschaft. Markus Riedenauer

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anderen Tendenzen, und wie sehr können sie sich Gehör verschaffen?

      Spüren Sie, dass es in dieser Situation wichtig wäre, eine der Tendenzen zu stärken? Oder dass sich gewohnheitsmäßig eine Tendenz lautstark meldet, während sie jetzt gerade nicht so wichtig wäre?

      Wer entscheidet letztlich? Nun, Sie selbst! Sie sind ja nicht eine Ihrer Tendenzen und auch nicht deren Mischung, sondern haben die Freiheit, zu entscheiden. Wahrscheinlich wird Ihnen Ihr inneres D dabei helfen.

      Ein Beispiel: Sie wurden angefragt, bei einem Kongress im Ausland nächstes Jahr einen Vortrag zu halten. Das gewünschte Thema haben Sie noch nicht direkt behandelt, es wäre eine Erweiterung Ihres speziellen Forschungsgebiets, die Sie interessiert. Andererseits befürchten Sie, für die Vorbereitung zu viel Zeit zu benötigen, ohne jetzt schon genau zu wissen, was nächstes Jahr noch alles an Lehrveranstaltungen, administrativen und anderen Aufgaben auf Sie zukommt. Sie müssen aber jetzt zu- oder absagen.

      Nehmen Sie ein weißes Blatt Papier und schreiben das Datum in eine Ecke. In die Mitte zeichnen Sie mit Buntstift einen Kreis, der den Konferenztisch symbolisiert. Auf ihn schreiben Sie groß das Thema Ihres Vortrags. Rundherum skizzieren Sie in verschiedenen Farben vier Gestalten [45]mit Köpfen in Form der Buchstaben D, I, S und G, vielleicht je größer, desto stärker diese Tendenzen bei Ihnen jeweils sind.

      Ordnen Sie die verschiedenen Gedanken, die Ihnen zu der Frage kommen, je einer Tendenz zu und notieren Sie diese in Form von Sprechblasen zu den jeweiligen Gestalten, z.B. derart:

      D: „Wir sollten zusagen, können ja auch kurzfristig wieder absagen.“

      G: „Das ist nicht fair. Dann werden wir vielleicht nie wieder eingeladen.“ I: „Aber das Thema ist sehr interessant!“

      S: „Und es lässt sich auf der Basis unserer Dissertation relativ leicht ausarbeiten.“

      … usw.

      Während dieser Diskussion Ihres inneren Teams können Sie oft schon spüren, welche Tendenz sowohl zu Ihrer Persönlichkeit als auch zur Situation passt oder eben weniger. Zugleich merken Sie, dass Sie alle vier Möglichkeiten (in verschiedenem Ausmaß) in sich tragen, und können diese ein Stück weit bewusst verstärken oder abschwächen.

      Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, legen Sie das Blatt beiseite und reflektieren es etwas später noch einmal, um Ihre Entscheidung zu treffen.

      Kooperation, Kritik, Konflikt

      Wenn Sie das Grundprinzip dieses Verhaltensmodells verstanden haben, werden Sie sofort auch Mitmenschen besser verstehen und angemessener mit ihnen umgehen können. Vielleicht kommen Sie auch dazu, anzuerkennen, dass Personen mit anderen Verhaltenstendenzen als Ihre eigenen Sie gut ergänzen können, wenn Sie sich beide dieser Komplementarität bewusst sind.

      Soweit das nicht der Fall ist, liegt es nahe, dass in der Zusammenarbeit mit Menschen, mit denen Sie viel zu tun haben, die aber vermutlich gegensätzliche Tendenzen haben, Missverständnisse, Reibungen und Konflikte entstehen. Besonders in herausfordernden Situationen stört man einander, weil die Problemlösungsstrategien verschieden sind. Es wird kritisiert (offen oder in unproduktiver Weise gegenüber Dritten), ohne dass die Kritik die an sich positive Unterschiedlichkeit adäquat berücksichtigt. So wird Energie und auch Zeit vergeudet. Das können Sie vermeiden, wenn Sie sich vorher folgende Fragen stellen:

       Wer in meinem Arbeitsumfeld zeigt einen offenbar gegensätzlichen Verhaltensstil?

       [46]Wie ist diese Person in der obigen Übersicht der vier Verhaltensstile einzuschätzen?

       Welche Bedürfnisse, Stärken und Schwächen dieser Person erkenne ich in den Beschreibungen wieder?

       Wie muss ich auf sie zugehen, damit sie sich wertgeschätzt fühlt?

       Wie könnte ich meine Bedürfnisse besser kommunizieren, um selbst gut arbeiten und meine Stärken nützen zu können?

      Im Kapitel VI.1 „Fokus Forschung“ finden Sie weitere Hinweise zum effektiven Zusammenarbeiten in Teams oder Forschungsgruppen mithilfe dieses Persönlichkeitsmodells.

[47]3

      Worum es geht:

      Eine Planung, die sich in den Horizont des Lebens insgesamt einfügt und dazu hilft, diese Weite auszuleben, hat mindestens zwei Dimensionen: Sie erstreckt sich in der Perspektive der beruflichen Zukunft in die Länge, um sich nicht im kurzfristigen Reagieren auf gerade Begegnendes zu erschöpfen. Dabei berücksichtigt sie auch biologische, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen. Sie hat aber auch genügend Breite, um alle wichtigen Lebensbereiche und Rollen zu integrieren. In anderen Berufen ist die Wahrscheinlichkeit, geregelte Arbeitszeiten und so ein gelingendes „Privatleben” zu haben, größer. In der Wissenschaft hingegen herrschen trotz höherer Flexibilität doch oft Bedingungen, die es schwierig machen, anderen als den beruflichen Lebensbereichen Zeit zu widmen und eine Balance zwischen allen zu entwickeln. Das betrifft besonders die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie das Alter bis 40 Jahre. Gleichzeitig ist die Karriereplanung mit vielen Unsicherheiten behaftet.

      In der Annahme, dass auch in der Wissenschaft das Leben als Ganzes gelingen können muss, werden in diesem Kapitel nach einer Situationsdiagnose eine individuelle Rollenanalyse, die Ausdifferenzierung des „Privaten” in drei Lebensbereiche und die Unterscheidung dreier Kategorien von Zielen vorgeschlagen. Die Methode des Jahres-Spielplans erlaubt eine sinnvolle Integration der wissenschaftlichen Arbeit in das Leben.

      Wissenschaftliche Karriere- und Lebensplanung

      Was die Balance im Leben eines Wissenschaftlers und besonders einer Wissenschaftlerin19 so schwierig macht, ist die typische Vermischung von Arbeits- und Freizeit und die weithin akzeptierte Meinung, dass mindestens ein hundertprozentiger Einsatz für den Erfolg nötig sei (siehe Kapitel I). Diesem Stress-Programm korrespondiert aber keine Sicherheit im Karriereverlauf, darum müssen viele junge Wissenschaftler gleichzeitig auch an beruflichen Alternativen arbeiten. Sonst droht das gängige Schreckbild des promovierten Taxifahrers. In der mittleren Lebensphase möchten viele außerdem eine Familie gründen.

      Die praktische Konsequenz dieser heraus- oder überfordernden Situation ist oft, dass man sich von einem mittelfristigen Ziel (wie z.B. Promotion, [48]einer Vertragsverlängerung oder einem neuen drittmittelfinanzierten Forschungsprojekt) zum nächsten weiter „wurstelt” und dabei weder mögliche alternative Berufswege noch eine Liebesbeziehung langfristig aufbaut.

      Stattdessen wäre es strategisch besser und auch für das eigene Wohlbefinden förderlicher, von vornherein eine zweite berufliche Schiene zu legen. Wenn Sie zusätzlich zum wissenschaftlichen Standbein auf einem Spielbein stehen, werden Sie sich nicht eines Tages in einer einzigen Möglichkeit gefangen fühlen.

      Was das konkret heißen kann, ist in den einzelnen Fächern so unterschiedlich, dass es unmöglich ist, hierfür pauschale Ratschläge zu erteilen. Für Graduierte der Jurisprudenz, (Veterinär-)Medizin, Technik und Naturwissenschaften bieten sich Standardalternativen an, während beispielsweise Germanisten oder Philosophen mit viel Kreativität und Flexibilität an das Finden weiterer Berufsmöglichkeiten herangehen müssen.20 Der Schuldienst ist nicht für alle eine mögliche oder attraktive Alternative. Es empfiehlt sich, Zeit in die Pflege von Netzwerken und Kontakten zu investieren, die sehr oft die Basis für neue berufliche Optionen bilden.

      Bedenken Sie, dass Zeit Leben ist und dass es bei den grundsätzlichen Planungen um Jahre Ihres Lebens geht. „Beachte das Vorhaben deines ganzen Lebens! Ihm muss alles entsprechen, was wir tun... Wir verfehlen uns, weil wir alle über die Teile des Lebens nachdenken, aber niemand das ganze überlegt.”21

      Um Kriterien für die Bewertung von Berufsmöglichkeiten zu haben, stellen Sie sich der grundsätzlichen Frage, was Sie überhaupt erreichen wollen – beruflich wie auch privat. Entwickeln Sie eine „Vision” Ihres Lebens und ein Bewusstsein Ihrer „Mission” oder Berufung, das heißt


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