Einführung in die Beratungspsychologie. Susanne Nußbeck

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Formulierungen erheben jedoch weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Endgültigkeit. Der theoretischen Schwäche stellen Watzlawick et al. (1967) die praktische Nützlichkeit gegenüber.

      vier Seiten einer Nachricht

      In Weiterentwicklung des Organon-Modells und des Modells von Watzlawick und Mitarbeitern hat Schulz von Thun (1981, 1989, 1998; Thomann / Schulz von Thun 1988), ebenfalls eher beschreibend-orientierend, besonders das zweite Axiom Watzlawicks et al. erweitert. Danach hat jede Mitteilung vier Seiten, die vier Seiten einer Nachricht (siehe Abbildung 3). Sie hat immer eine Sachebene, die Information, die sie enthält. Daneben gibt der Sprecher immer etwas von sich selbst preis, die Selbstoffenbarung oder Selbstkundgabe. Die Nachricht enthält Informationen, wie der Sprecher die Beziehung zum Gesprächspartner definiert, die Beziehungsseite, und welche Erwartung er an ihn hat, die Appellseite. Alle Aspekte sind in der Nachricht enthalten, können aber ein unterschiedliches Gewicht haben. Der Gesprächspartner kann nun seinerseits auf vier Ohren hören, und im Idealfall stimmen die Ebenen bei Hörer und Sprecher überein.

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      Abb. 3 Vier Seiten einer Nachricht (nach Schulz von Thun 1981ss)

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      Willi sitzt zu Hause auf der Couch und sieht fern. Er sagt: „Emma, das Bier ist alle!“ Auf der Sachebene ist das die Information, dass kein Bier mehr zur Verfügung steht. Auf der Selbstoffenbarungsebene drückt er aus, dass er noch Durst hat und ihn nach mehr Bier gelüstet. Auf der Beziehungsebene wird klar, dass Emma dazu auserkoren ist, ihm zu Diensten zu sein, und auf der Appellebene, dass sie ihm das Bier holen soll. Emma ihrerseits kann sich selbst als Dienerin ihres Mannes begreifen, in den Keller sprinten und dafür sorgen, dass er wieder Bier hat. Dann ist der Familienfriede gewahrt. Sie kann aber auch anders …

      Schwierig wird die Kommunikation, wenn einer der beiden Partner „gewohnheitsmäßig“ mit einem bestimmten Mund spricht oder auf einem bestimmten Ohr bevorzugt hört. Dann können sich Kommunikationsstile herausbilden, auf deren Grundlage man dauerhaft streiten kann, ohne den Kreislauf je durchbrechen zu können.

      Die verschiedenen Theorien und Modelle (siehe Tabelle 2) zeigen, dass Kommunikation nicht eindeutig ist, dass sie immer Mehrdeutigkeiten und Interpretationsspielräume beinhaltet, die die Verständigung erschweren. Ein Wunder, dass wir uns überhaupt verständigen und verstehen können.

Modell Fokus
Shannon & Weaver Encoder-Decoder Übermittlung von Nachrichten
Bühler Organon Aspekte der Sprache
Grice Kooperationsprinzip rationaler Informationsaustausch
Mead Perspektiven- übernahme Interaktion im gemeinsamen Kontext
Habermas kommunikatives Handeln Situationsdefinition, Herstellen von Konsens
Watzlawick Dialog Prozess, Herstellen von Intersubjektivität
Clark & Wilkes-Gibbs kollaborativ Konstruktion von Bedeutung auf gemeinsamer Basis

      Einen wesentlichen Anteil an einerseits der Verdeutlichung des Gesagten und andererseits an der Ambiguität (Mehrdeutigkeit) hat die nonverbale Kommunikation, die daher im Folgenden genauer betrachtet werden soll.

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      Kommunikation geschieht immer auf mehreren Kanälen gleichzeitig und nur in der Zusammenschau aller Kanäle können kommunikative Interaktionen interpretiert werden. Die in Kommunikationstrainings häufig zitierten Untersuchungen von Mehrabian (1980) ergaben, dass nur etwa 7 % der emotionalen Bedeutung einer Botschaft durch Sprache vermittelt werden, mehr als 38 % Prozent durch sprachbegleitende Merkmale wie Tonhöhe, Sprachmelodie, Betonung und über 55 % durch weiteres nonverbales Verhalten wie Gesten, Körperhaltung oder Gesichtsausdruck. Allerdings gilt das eher für inkongruente Botschaften und weniger für die Vermittlung von Sachinhalten (Röhner/Schütz).

      Eigenschaften nonverbaler Zeichen

      Nonverbale Signale entziehen sich dabei meist der bewussten Kontrolle. Sie laufen automatisch ab und sind in ihrer Bedeutung unbestimmter als verbale Äußerungen. Während Sprache nur eine bestimmte Anzahl von Wörtern für einen Sachverhalt zulässt, die zudem durch grammatische Regeln weiter eingeschränkt werden, kann man sich eines praktisch unbegrenzten Vorrats an nonverbalen Zeichen bedienen. Sie werden unmittelbar verstanden, obwohl sie noch weniger eindeutig sind als die sprachlichen Zeichen. Mit nonverbalen Mitteln werden hauptsächlich Einstellungen, Emotionen, Sympathie und Antipathie kommuniziert, die sich sprachlich nicht so gut ausdrücken lassen und oft auch aufgrund unausgesprochener Regeln des sozialen Miteinanders nicht ausgedrückt werden dürfen. In professionellen Beziehungen wird geradezu verlangt, dass der Berater sich der Preisgabe seiner persönlichen Bewertung seines Klienten und dessen Problemen enthält. Dass dies nicht immer einfach ist und oft nicht gut gelingt, liegt in der Natur der nonverbalen Kommunikation, die weniger bewusst gesteuert werden kann.

      Eindruckssteuerung

      Jeder Mensch hat ein Bild von sich selbst entwickelt, seinen Interaktionspartnern, der Welt, in der er lebt, und den Anforderungen, die bestimmte soziale Situationen an ihn stellen. Dieses Bild hat er in sozialen Begegnungen mit anderen gewonnen. Er überprüft es in seinen sozialen Interaktionen ständig und revidiert es dabei. Was er von sich und seinen Interaktionspartnern hält, kommt in der nonverbalen Kommunikation zum Ausdruck. Er betont bestimmte Verhaltensweisen und vermeidet andere, er gibt sich lässig, selbstbewusst, schüchtern oder streng, je nachdem, welches Bild er von sich in der Situation hat und welchen Eindruck er beim anderen – mehr oder weniger bewusst – erzeugen will. Der Eindruck, den die Person macht, entspricht dabei ihrem Bild von sich selbst und den anderen in dieser Situation (Forgas 1999).

      dramaturgisches Modell

      Goffman (1969) vergleicht in seinem „dramaturgischen Modell“ Alltagsinteraktionen mit einem Theaterspiel, bei dem man eine Rolle ausfüllt, sich in Szene setzt, sich hinter den Kulissen vorbereitet und sein Kostüm auswählt, um eine so gute Vorstellung abzugeben, dass die Darstellung für Wirklichkeit gehalten wird.

      Wenn jemand aus der Rolle fällt, sich in einer sozialen Situation nicht angemessen verhält, im Restaurant lauthals rülpst, in einer Konferenz einschläft oder mit seiner Frau auf der Straße heftig streitet, ruft das bei den anderen Peinlichkeit hervor. Viele Filme leben von solchen Situationen. Die Beobachter werden dann schnell versuchen, die Fassade wieder herzustellen, indem sie das Rülpsen „überhören“, den Schläfer verstohlen wecken oder an den Streitenden schnell vorbeigehen.

      Rollenerwartung

      In jeder sozialen Situation werden mit diesen Rollen Erwartungen verknüpft. Eine Frau kann sich als Mutter, Ehefrau, Lehrerin oder Kundin eines Fitness-Studios unterschiedlich verhalten und manchmal geraten verschiedene Rollen in Konflikt. Rollen sind auch abhängig von sozialen Ordnungen. Je höher der Rang einer Person bewertet wird, desto stärker ist er den Rollenerwartungen unterworfen und desto tiefer ist der Fall, wenn er sie nicht erfüllt.

      Auch Ratsuchender und Berater füllen bestimmte


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