Einführung in die Beratungspsychologie. Susanne Nußbeck
Klarheitsmaxime: Botschaften sollten klar, deutlich und eindeutig sein.
Im Alltag werden diese Maximen oft nicht eingehalten, man nimmt es mit der Aufrichtigkeit manchmal nicht so genau, wiederholt die gleichen Inhalte mehrmals und kommt von „Hölzchen auf Stöckchen“. Soll eine Beratungssituation gelingen, sollte jedoch zumindest der Berater sich an die Maximen halten, aufrichtig zu sein, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig zu reden, nicht vom Thema abzukommen und sich klar auszudrücken. Die Maximen von Grice fokussieren den rationalen Informationsaustausch, die reine Übermittlung von Botschaften, also die Symbolfunktion des Organon-Modells, während die Aspekte von Ausdruck und Appell kaum berücksichtigt werden. Grice macht ebenso wie Habermas darauf aufmerksam, dass ohne die Bereitschaft zur Verständigung Kommunikation ihren Sinn verfehlt. Die Qualitätsmaxime, ebenso wie der Habermas’sche Aufrichtigkeitsanspruch stellen hohe Anforderungen an den Berater, wenn die Lebensführung des Klienten seinen eigenen Normen und Wertvorstellungen entgegensteht.
Dialogmodelle
In den so genannten Dialogmodellen (Krauss / Fussel 1996) werden weniger individuelle Motive, Haltungen oder Voraussetzungen der beiden Partner betrachtet, die in der wechselseitigen Perspektivenübernahme erfasst werden und die die Kommunikationshandlung steuern, sondern der kommunikative Prozess selbst steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Nicht die Übermittlung von Informationen, sondern das Herstellen von Intersubjektivität ist in diesen Modellen Ziel der Kommunikation. Im Dialog konstruieren die Partner ihre gemeinsame Wirklichkeit nach Gesetzmäßigkeiten, die sie nicht miteinander aushandeln, sondern die sich aus der Natur der Kommunikationshandlung ergeben.
Konversationsanalyse
Diese Prozesse der Wechselseitigkeit werden in Konversationsanalysen untersucht (Atkinson et al. 1984; H. Sacks et al. 1974). Das zentrale Ziel solcher Analysen ist, die Kompetenzen zu beschreiben und zu erklären, die Sprecher nutzen und auf die sie sich verlassen, wenn sie an sozialen Interaktionen teilnehmen. Die unausgesprochenen Regeln, nach denen Partner im Gespräch Beiträge einbringen, Themen aufwerfen, fortführen, wechseln oder auch das Gespräch beenden können, sind dabei Gegenstand der Analyse. Es werden typische Muster von beispielsweise Begrüßungen, Verabschiedungen oder auch komplexen Verkaufs-, Bewerbungs- oder eben Beratungsgesprächen herausgearbeitet. Sogar Alltagsgespräche laufen in erkennbar geordneten Mustern ab, auch wenn sie uns manchmal chaotisch erscheinen. Die Konversationsanalyse ist allerdings eher eine sozialwissenschaftliche Methode der Analyse von Interaktionen als ein Modell menschlicher Kommunikation. Dennoch gibt sie wertvolle Hinweise, wie (Beratungs)gespräche strukturiert sind.
kollaborative Kommunikation
Im Modell der kollaborativen Kommunikation (Clark / Wilkes-Gibbs 1986) unternehmen Sprecher und Hörer alle Anstrengungen, um sicherzustellen, dass sie dasselbe Konzept der Bedeutung jeder Botschaft haben, bevor sie zur nächsten übergehen. Sie unterscheiden eine Phase der Präsentation einer Botschaft und eine der Akzeptanz, in der die Kommunikationspartner zu einem übereinstimmenden Verständnis kommen. In der Präsentationsphase können die Partner die Aussage gemeinsam konstruieren, indem beispielsweise der Sprecher eine kleine Pause macht: „Ich kenne Sie doch, Sie sind Susanne …“, wobei er seine Stimme erhebt und die Gesprächspartnerin den Nachnamen nennt. In der Phase der Akzeptanz versichern sich beide Partner, dass der andere richtig verstanden hat, indem sie eine gemeinsame Basis (common grounding) annehmen oder herstellen. Der Dialog „Ist Peter bei Susi?“ – „Das rote Auto steht vor der Tür!“, kann nur verstanden werden, wenn beide Partner wissen, dass Peter ein rotes Auto hat und Susi gewöhnlich mit seinem Auto besucht. Falls der Partner das nicht weiß, muss er nachfragen, um die gemeinsame Basis herzustellen und die Äußerung zu akzeptieren, bevor der Dialog voranschreitet. Missverständnisse können auftreten, wenn keine gemeinsame Basis entsteht. Dies lässt sich allerdings im kollaborativen Modell nicht ausreichend erklären, denn das Fehlen der gemeinsamen Basis setzt eine eigene Perspektive der jeweiligen Partner voraus, die der Kollaboration widerspricht.
Axiome menschlicher Kommunikation
Das wohl bekannteste und verbreitetste Modell menschlicher Kommunikation ist das von Watzlawick, Beavin und Jackson (1967). Die Autoren haben einen sehr weiten Begriff von Kommunikation und unterscheiden ausdrücklich nicht zwischen symbolisch-intentionaler Kommunikation (sprachlicher Kommunikation) und Ausdrucksverhalten. Watzlawick et al. haben jedoch keine vollständige und in allen Punkten empirisch prüfbare Theorie entwickelt, sondern beschreiben kommunikative Beziehungen, die für sie eine logische Konsistenz haben (Frindte 2001). Sie formulieren fünf Axiome, also aus sich heraus evidente, nicht zu beweisende Grundsätze:
■ Verhalten ist immer auch Kommunikation. Da es kein Gegenteil von Verhalten, kein Nichtverhalten gibt, ist es unmöglich, nicht zu kommunizieren. Auch wenn man schweigt oder sich abwendet, drückt man etwas aus, kommuniziert beispielsweise Desinteresse.
■ Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Sie besteht immer aus dem, was gesagt wird, dem Inhalt, und – meist nonverbalen – Hinweisen darauf, wie die Aussage gemeint ist, wodurch die Beziehung definiert wird. Der Beziehungsaspekt bestimmt, wie der Inhalt einer Botschaft zu verstehen ist. Wenn z. B. die Mutter zärtlich und mit einem lächelnden Gesicht zu ihrem Kind sagt: „Du kleiner Räuber“, ist klar, dass sie nicht davon ausgeht, dass das Kind strafbare Handlungen begeht. In jeder Kommunikation sind immer beide Aspekte enthalten, auch wenn sie in verschiedenen Situationen ein unterschiedliches Gewicht haben können. Wenn Inhalts- und Beziehungsaspekt nicht übereinstimmen, kann das Verwirrung stiften. Diese Situation wird auch „double bind“ genannt. Die geschiedene Mutter sagt beispielsweise mit einem bösen Gesicht und in barschem Tonfall zu Sohn oder Tochter: „Ich habe nichts dagegen, wenn du deinen Vater besuchst“, so dass das Kind nicht weiß, auf welche der widersprüchlichen Informationen es reagieren soll. Es sitzt in der Falle und kann es letztlich nur falsch machen.
■ Jede Kommunikation wird aus der unterschiedlichen Sicht der beiden Partner strukturiert. Diese „Interpunktion“ genannte Gliederung der Ereignisabfolge geschieht nach den Vorstellungen, Erfahrungen und Einstellungen der Partner. Jede Kommunikationshandlung lässt sich als Reaktion auf eine vorausgehende Handlung verstehen, so dass die Partner Anfang und Ende einer Kommunikationskette subjektiv setzen. Wegen dieses Sachverhaltes lässt sich trefflich streiten, wenn die Frau meckert, weil der Mann sich zurückzieht und der Mann sich zurückzieht, weil die Frau meckert.
■ Menschliche Kommunikation kann in digitaler und analoger Weise erfolgen. Die digitale Kodierung geschieht durch konventionelle Zeichen, deren Bedeutung annähernd festliegt und die als Einheiten voneinander abgrenzbar sind, also der Sprache. Die digitale Kommunikation begleiten analog nonverbale Informationen, die ihre Bedeutung untermauern und Befindlichkeiten transportieren. Nonverbale, analoge Zeichen sind weniger eindeutig, flüchtiger, gehen ineinander über und lassen sich schwer festmachen, so dass daraus viele Missverständnisse zu erklären sind. Sie eignen sich vorzüglich zur Manipulation und Steuerung anderer Personen, wobei der Urheber sich von jeder Verantwortung reinwaschen kann, indem er zutreffend behauptet, das, weswegen der andere verstimmt ist, nie gesagt zu haben.
■ Kommunikation ist entweder symmetrisch oder komplementär. Je nach Verhältnis, in dem die Kommunikationspartner zueinander stehen, können sie gleichberechtigt, also symmetrisch, kommunizieren oder komplementär. Dann ist der eine abhängig von den Vorgaben des anderen über Gesprächsdauer, Redebeiträge, Zeit und Raum, er ist ihm untergeordnet. Der Angestellte ist abhängig davon, ob der Chef gerade mit ihm reden möchte oder nicht. Der Schüler sollte warten, ob der Lehrer ihn zu Wort kommen lässt. Der Prüfling muss sich dem vom Prüfer bestimmten Verlauf der Prüfung unterordnen. Mann und Frau oder Freunde handeln ihre Beiträge im Gespräch dagegen gleichberechtigt aus.
Watzlawick et al. (1967) haben aus ihrer praktisch-therapeutischen Arbeit ein sehr eingängiges Modell geschaffen, das sich großer Beliebtheit erfreut, weil es plausibel erscheint und unmittelbar einleuchtet, allerdings ist es rein beschreibend und berücksichtigt beispielsweise nicht, dass auch Sprache wegen der Konnotationen nicht eindeutig ist, während manche nonverbalen Zeichen durchaus eindeutig sein können („Stinkefinger“, Vogel zeigen). Auch ist die Gleichsetzung von Verhalten und Kommunikation nicht gerechtfertigt, denn jede Kommunikation ist zwar Verhalten, aber nicht jedes Verhalten ist Kommunikation